Architektur als Design-Wissenschaft

Carsten Krohn schreibt über das ambivalente Verhältnis von Architekten zu Buckminster Fuller

Von Faruk MuratRSS-Newsfeed neuer Artikel von Faruk Murat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahre 1929 präsentierte Buckminster Fuller der amerikanischen Öffentlichkeit ein Haus, das "wie ein technisches Industrieprodukt maschinell und serienmäßig gefertigt werden sollte". Das "Dymaxion" Haus (der Name steht für maximale Dynamik) sollte durch sein extrem geringes Gewicht und seine modulare Bauweise mit dem Hubschrauber an jeden beliebigen Ort transportierbar sein. Im gleichen Jahr propagierten die Protagonisten der europäischen Moderne (Mies van der Rohe, Le Corbusier, u. a.) mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart das "neue Bauen".

Sowohl Fuller als auch diese Architekten hatten das gleiche Ziel: die Revolutionierung der Baubranche auf der Grundlage der industriellen Produktion. Aber die Methoden waren grundlegend verschieden.

Fuller hatte seine Ausbildung bei der Marine mit der Konstruktion von Schiffen absolviert. Er ging davon aus, dass Häuser wie ein Flugzeug oder ein Auto durch zahlreiche Techniker über einen langen Zeitraum entwickelt werden sollten. Die Form würde sich "im Laufe einer intensiven und notwendigen Forschungsphase ständig ändern". Sein "Beitrag lag auf einer anderen Ebene als der Gestaltung eines Endprodukts". Im Gegensatz dazu hielten die Architekten der Moderne an den traditionellen Entwurfsprozessen fest: die Handschrift des Architekten sollte lesbar bleiben.

In seiner abbildungsreichen Publikation "Buckminster Fuller und die Architekten" geht Carsten Krohn auf dieses ambivalente Verhältnis ein. Dabei liegt sein Schwerpunkt nicht auf der Darstellung des Werkes von Fuller, das er nur im ersten Abschnitt grob skizziert (eine ausführliche Werkbeschreibung ist vor fünf Jahren als Ausstellungskatalog mit dem Titel "Your Private Sky" erschienen), sondern auf dessen Einfluss auf zahlreiche Architekten. Der Autor stützt sich auf die These, dass das Werk Fullers "nicht losgelöst von dessen Wirkung betrachtet werden kann, denn die Rezeption Buckminster Fullers ist das Werk selbst". Fuller selbst hatte Zeit seines Lebens die zunehmende Beachtung seines Werkes mittels einer statistischen Kurve dokumentiert. Die Kurve verläuft bis zu Beginn der 50er Jahre relativ flach, steigt aber danach nicht zuletzt wegen Fullers geodätischen Kuppeln, die genau zu jenem Zeitpunkt an Popularität gewannen, rasant an.

Und hier beginnt Krohns Rezeptionsanalyse, die sich gegliedert in drei geografische Schwerpunkte über die Kapitel zwei bis vier erstreckt: Im Kontext der USA betrachtet er im zweiten Abschnitt seiner Publikation das "Spannungsfeld von Design und Wissenschaft" und beschreibt die Einflüsse Fullers auf Architekten wie Louis Kahn, Charles Eames und Konrad Wachsmann. Ray und Charles Eames hatten genauso wie Fuller die "Vision von einer übergreifenden Gestaltung". Dieser Vision kamen sie in zahlreichen gemeinsamen Projekten wie z. B. beim Bau eines Radioteleskops (1954) und bei der "American National Exhibition in Moskau" (1959) näher. Fuller und Kahn teilten die Auffassung, dass "Ordnung das grundlegende, unveränderliche Gesetz [sei], das die Organisation der natürlichen Strukturen bestimme und dass jedes existierende Element von einem Atom bis zu einer Galaxie auf dem gleichen Prinzip basiere". Dieses "monistische" Weltbild, das auf der Philosophie Ernst Haeckels beruhte, war Wachsmann fremd. Er teilte jedoch mit Fuller das Ziel, das Bauen mit einer "Präzision und Effizienz einer Maschine" zu vollziehen. Um diesem Ziel näher zu kommen, reduzierte er Bauten "auf technisch perfekte Konstruktionen".

Im gleichen Abschnitt geht Krohn auf den Einfluss Fullers auf Architekten und Ingenieure wie beispielsweise Frei Otto in Deutschland ein. Hier wird deutlich, dass der Versuch, die Rezeption Fullers innerhalb nationaler Grenzen zu beschreiben - die Abschnitts-Titel implizieren dies - ein schwieriges Unterfangen darstellt, das Krohn oft nicht konsequent durchhalten kann. Die Rezeption eines global agierenden Fullers ist schwerlich auf ein paar Länder zu beschränken.

In Deutschland war es vor allem die Hochschule für Gestaltung in Ulm, die direkt (durch Rudolf Doernach) oder indirekt (durch Wachsmann) von Fullers Ideen beeinflusst wurde. Die Hochschule war Anfang der 50er Jahre als Nachfolgeinstitution des Bauhaus' ins Leben gerufen worden. Rudolf Doernach spielte dabei als Vorsitzender des Rektoriatskollegiums und "Fuller-Anhänger" die Vermittlerrolle. Doernach hatte mit einem Stipendium in "Fullers amerikanischem Forschungslabor direkt mit ihm zusammengearbeitet". Mit Studenten der HFG entwickelte er auf der Grundlage von Fullers geodätischen Prinzipien eine aneinanderreihbare Stabwerkskuppel auf quadratischen Grundriss.

Fullers Ideen wurden von vielen Architekten nicht nur positiv aufgenommen. Die Angst, durch Fullers propagierte Design-Methoden die Stellung des "genialen" Architekten zu verlieren, spitzte sich in der Aussage von Oswald Matthias Ungers zu, die 1961 in der Architekturzeitschrift "Bauwelt" veröffentlicht wurde: "Ich warne alle Hochschulen davor, die ,leeren Worte' Buckminster Fullers in ,greifbare Tatsachen' umzuwandeln. Ich warne sie davor, die Freiheit des Geistes durch die Macht des rechnenden Apparates zu ersetzen. Ich warne vor allem die Architekturstudenten, sich zu wissenschaftlichen ,Funktionären' degradieren zu lassen. Widersetzt euch denen, die euch wie Roboter auf dieselbe Wellenlinie einstellen wollen."

In der Beschreibung von Fullers Werk im ersten Abschnitt wie auch zu Beginn von Krohns Rezeptionsgeschichte erfolgt eine eher distanzierte Betrachtung, so dass man stellenweise beinahe schon einen Funken von Enthusiasmus vermisst, den man bei einer Diskussion des revolutionären Werkes von Fuller vielleicht erwarten würde. Dies ist zum einen sicher auf die Tatsache zurückzuführen, dass das Buch auf der Dissertation des Autors beruht und deshalb in einem wissenschaftlichen Kontext geschrieben wurde. Zum anderen ist diese anfängliche Distanziertheit offensichtlich auch der Tatsache geschuldet, dass Krohn wahrscheinlich kaum amerikanische, für die Frühphase von Fullers Schaffen relevante Zeitzeugen gefunden hat, denn in die beiden letzten, erfrischender geschriebenen Abschnitte fließen dagegen viele persönliche Gespräche des Autors mit Zeitzeugen wie David Greene, Yona Friedman, Dennis Crompton, Michael Webb, Kiyonori Kikutake, Kenji Ekuan und Toyo Ito ein.

Unter dem Aspekt "Utopie und Pragmatismus" beschreibt Krohn im dritten, dem längsten Abschnitt seines Buchs die Rezeptionsgeschichte in Großbritannien. Mitglieder der "Independent Group", eine lose zusammengefügte Gruppe von Künstlern, Kunsthistorikern und Architekten, begannen in den 50er Jahren, sich für Fullers Werk zu interessieren. Vor allem der Künstler John McHale und Reyner Banham spielten dabei eine zentrale Rolle. In den 60er Jahren begann die Gruppe Archigram Fullers Werk in ihr Schaffen einzubeziehen. Seine Entwürfe stellten eine wichtige Inspirationsquelle für die Flucht aus der starren Rasterordnung der vorherrschenden Bebauung der 60er Jahre dar. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in der dritten Ausgabe der Archigram-Zeitschrift "die Gruppe neben ihren eigenen Projekten Fullers Dymaxion Bathroom, sein Dymaxion Car, sein Wichita House" veröffentlichte. In dem Kapitel "Norman Foster - Maximale Effizienz" geht Krohn, der selbst im Büro von Foster gearbeitet hat, vor allem auf die Schwierigkeiten ein, die das Anpassen der idealisierten Typen an einen spezifischen Kontext bereiteten. Bei dem Bürogebäude von der Firma Willis Faber & Dumas in Ipswich schlug Fuller vor, "das Gelände im ganzen zu überkuppeln, um im Inneren eine "totale Flexibilität" zu erreichen". Aber das von Forster realisierte Gebäude entsprach kaum mehr dem idealisierten Modell Fullers, sondern "fügte sich letztlich vollkommen in das Grundstück ein und nahm bei einer maximalen Ausnutzung dessen geschwungene Form an."

Im vierten und letzten Abschnitt untersucht Krohn unter dem Titel "Natur und Technik" die Fuller-Rezeption im japanischen Kontext. Dabei resultieren die Einflüsse nicht wie in den anderen Fällen aus direkten Verbindungen. 1960 bilden die Architekten Kisho Kurokawa und Kiyonori Kikutake zusammen mit anderen die Gruppe der Metabolisten. "Metabolismus ist ein Begriff aus der Biologie, der für Stoffwechsel steht". Das Naturverständnis der Japaner ist u. a. durch die ständige Konfrontation mit den Naturgewalten geprägt. "Der shintoistische Ise-Schrein, das Nationalheiligtum, wird seit über 1500 Jahre alle 20 Jahre abgerissen und wieder aufgebaut". In diesem Sinne setzen sich die Architekten der Metabolisten-Bewegung - auch als Protest gegenüber der gängigen und starren Architekturproduktion - mit beweglichen und veränderbaren Strukturen auseinander. Fuller ist dabei eine wichtige Inspirationsquelle: "Meine Idee von Architektur umfasst nicht nur das Aufbauen, sondern auch das Abbauen. In diesem Sinne bedeuten mir die Projekte von Fuller viel" sagt Kikutake 1998 in einem Gespräch mit dem Autor. Als Antwort auf das Scheitern der Metabolisten auf der sozialen Ebene suchen die Architekten Itsuko Hasegawa und Toyo Ito, die beide in den 60er Jahren bei Kikutake gearbeitet haben, nach einer subtileren Herangehensweise. "In Ihrem Anspruch, ästhetische und soziale Aspekte zu verknüpfen, begannen Hasegawa und Ito die Frage nach dem Verhältnis von Architektur und Bewohner neu zu stellen und entwickelten eine Minimalarchitektur, deren extreme Leichtigkeit auch an Buckminster Fullers Konzepten basiert."

Insgesamt betrachtet bietet Carsten Krohn eine interessante Auseinandersetzung mit Buckminster Fuller, die durchaus neue Perspektiven auf die Reichweite und den Einfluss seines Werkes eröffnet und nicht zuletzt durch die zahlreichen Gespräche mit Zeitzeugen unerwartete Querverbindungen aufdeckt. Es ist allerdings verwunderlich, dass er angesichts der Entwicklung des Fertighausmarktes in den letzten Jahren in seiner Zusammenfassung die Meinung vertritt: "Während in den älteren Monographien die Realisierbarkeit seiner [Fullers] Konzepte herausgestellt wurde, erscheinen seine Projekte aus der historischen Perspektive als Utopie." Denn gemäß Martin Pawley, der eine der ersten Werkmonografien über Fuller herausgegeben hat, ist "heutzutage die Wirklichkeit seiner [Fullers] Hinterlassenschaft größer als das Leben und ist überall zu sehen. Das ist wichtig mit Blick auf den ständig zunehmenden Gebrauch vorgefertigter Teile bei der Konstruktion, den Bankrott der traditionell auf dem Handwerk basierenden Hausbauindustrie und dem Triumphzug des Fertighauses, das inzwischen fast die Hälfte des Marktes in Japan beherrscht."

Titelbild

Carsten Krohn: Buckminster Fuller und die Architekten.
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2004.
238 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3496013036

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