Zum Lob der Frauen?

Das "Damen Conversations Lexikon" von Carl Herloßsohn

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel verrät den Inhalt. Es ist ein Lexikon für "Damen". Und es geht um "Conversation". Nimmt man die beiden Begriffe zusammen, erhält man eine treffende Beschreibung von Absicht, Zweck, Adressaten und Aufgabe des vorliegenden Werks. Noch genauer findet man eine Beschreibung im Lexikon selbst unter dem Eintrag "Frauen": "Die Kulturgeschichte der Frauen ist zugleich die der ganzen Menschheit; denn die Frauen sind der Hebel, ihre Bildung ist der Maßstab für jede Kultur. Wo das Weib die Sclavin des Mannes, wo sie ohne höhere Liebe an ihn gefesselt, wo sie ausgeschlossen ist vom öffentlichen Leben, wo sie keine berathende Stimme hat im großen Familienverbande der Nation, da gibt es keine Kultur!"

Und damit wird dann auch gleich die Begründung für das Werk "an sich" geliefert. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft hatte sich zum ausgehenden 18. Jahrhundert entscheidend geändert. Die soziale Funktion von Frauen veränderte sich, emanzipatorische Entwicklungen waren mit der französischen Revolution in Gang gesetzt worden, Frauen wurden auf dem Buchmarkt "entdeckt", denn die Ende des 18. Jahrhunderts anteilig größte den Literaturmarkt erobernde "Lesergruppe" waren Frauen. Durch die Rollenveränderung und die neuen Geschlechterdefinitionen nach 1800 wurden neue Themen interessant, die dem Lesebedürfnis der weiblichen Leserschaft entsprachen. Hinzu kam die neue gesellschaftliche "Aufgabe", sich in geselligen Zirkeln zu treffen, einen geistigen Austausch zu kultivieren und damit wesentliche Aufgaben innerhalb der kulturellen Tradition und Tradierungen zu übernehmen. Vorläufer waren die um 1800 entstandenen geselligen Zirkel, so genannte Salons, die oft von gesellschaftlich exponierten, umfassend gebildeten Frauen initiiert wurden und die verschiedene Gruppen von Intellektuellen, Literaten, Naturwissenschaftlern und Künstlern um sich versammelten und deren geistigen Austausch beförderten. Dass es in der Nachfolge des Salons nicht um die "grenzenlose" Emanzipation der Frauen ging, sondern um eine "begrenzte" Verselbständigung, dies wiederum macht der Lexikonartikel "Erziehung" deutlich: "[...] Alle Erziehung besteht in Entwickelung der natürlichen Fähigkeiten des Wesens, das erzogen werden soll; so wie in der Richtung, welche die Entwickelung seiner Fähigkeiten erhält. [...] Was die Richtung dieser Fähigkeiten anlangt, so ist dabei die Bestimmung des Wesens in's Auge zu fassen, [...] dessen allgemeine sowohl, als dessen persönliche Bestimmung. Beide hängen von den natürlichen Eigenschaften (Anlagen, Fähigkeiten) der Wesen und von den Verhältnissen ab, worin selbe die Geburt versetzt. [...] Das Weib muß anders erzogen werden, als der Mann; eben weil es Weib ist; weil dessen natürliche Anlagen verschieden von denen des Mannes sind; weil dem zu Folge die Frauen eine andere Stellung im bürgerlichen Leben, als derselbe haben." Der Artikel, in dem diese Ausführungen zu finden sind, ist nicht mit dem Begriff "Erziehung" überschrieben, sondern "Erziehung (weibliche)". Einen Artikel über Erziehung im allgemeinen wird man vergeblich suchen - was nach den zitierten "Erziehungsgrundsätzen" aber auch nicht weiter verwunderlich ist.

Das "Damen Conversations Lexikon" bewegt sich zwischen "Emanzipation" und "Restauration". Es erfüllte vor allem einen praktischen Zweck, zumindest waren wohl so die Überlegungen von Herausgeber und Verleger. Die Lesergruppe "Frauen" war Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts so angewachsen, dass sich ein relativ aufwendiges Projekt - eben ein Konversationslexikon speziell für Frauen - finanziell lohnte. Durch die schon im Titel formulierte Rollenfestlegung war die Zielgruppe klar umrissen. Frauen wurden als Zielgruppe ernst genommen. Man hatte im Vergleich zum 18. Jahrhundert ihre Teilnahme am geistigen Leben akzeptiert und Frauen waren nicht mehr eine von Bildung und Kultur ausgeschlossene gesellschaftliche Gruppe. Hier könnte man emanzipatorische Aspekte vermuten. Andererseits geben die restaurativen Ausführungen in Bezug auf die Rolle der Frau den Hinweis darauf, dass es bei dem Lexikon vor allem auch um Erziehung im Sinne der Restauration vorhandener und antiemanzipatorischer Positionen geht. Den "Frauen" wird der ihnen in der Gesellschaft gebührende Platz - d. h. der von den Männern zugestandene und zugewiesene - "vorformuliert".

Gerade in diesem Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Restauration bietet das Lexikon einen unerschöpflichen Fundus an Material zum Verständnis von "weiblicher" Bildung und Kultur, von spezifischen (männlichen) Vorstellungen, wie Frauen Bildung erfahren sollten und wie diese in die Gesellschaft eingebracht werden sollte. Ein hervorragendes Quellenwerk zur Pädagogik, zur Kulturgeschichte und zur Rollendefinition der Geschlechter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Titelbild

Carl Herloßsohn (Hg.): Damen Conversations Lexikon. Neusatz und Faksimilie der 10-bändigen Ausgabe Leipzig 1834 bis 1838. 1 CD-ROM.
Directmedia Publishing, Berlin 2005.
45,00 EUR.
ISBN-10: 3898535185

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