Frühneuzeitliche Medizin und ganz und gar (nicht) gefühllose Herzen

Rose Tremain gestaltet in "Des Königs Narr" ein buntes Bild Englands nach der Restauration

Von Sandra SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Genre des historischen Romans wird aufgrund seines unterhaltsamen Charakters des Öfteren als trivial verdammt. Mit "Des Königs Narr" jedoch legt die vielfach preisgekrönte britische Autorin Rose Tremain alles andere als bloße Unterhaltungsliteratur vor. Die vielfältigen historischen Anspielungen lassen ein plastisches Bild Englands in den 1660er Jahren entstehen, wo sich wissenschaftlicher Aufbruch und tief verwurzelter Glaube, ein übersättigter Adel und die große Armut der niederen Schichten gegenüberstehen. Aufstieg und Hochmut, Beugung, Fall und Läuterung des Protagonisten Robert Merivel, dessen Sehnsucht allein der Liebe des Königs gilt, sind die Stationen dieses Entwicklungsromans 'in historischer Kostümierung'.

Gleich fünf Anfänge gibt es zu dieser Geschichte, die kurze Episoden seines 'vorhöfischen' Lebens schildern: Merivel, der als Kind einen Vogel seziert; Merivel, der im Laufe seines Anatomiestudiums feststellt: "Ergo, das Organ, das wir Herz nennen und von dem, wie wir meinen, alle starken Gefühle ausgehen [...], ist an sich ganz und gar gefühllos"; Merivel, der durch seinen Vater, den königlichen Handschuhmacher, den König trifft und sich gleich zum Narren macht; Merivel, dessen Eltern bei einem Brand ums Leben kommen, der jedoch des Königs Hund heilen kann; Merivel, der eine Anstellung bei Hofe bekommt und Leibarzt der königlichen Hunde wird.

Dieser Protagonist ist ein hässlicher, doch eitler und vor allen Dingen zunächst einmal unausstehlicher Mann, ein verweichlichter und empfindlicher Dilettant. Sein Studium in Padua bei dem großen Anatomen Fabricius hat er aufgegeben. Am Hofe tut er sich durch schlechten Geschmack und schlechte Manieren hervor - und doch erhält er "königliche Küsse" und darf dem süßen Leben frönen. Charles II. ist seit der Restauration der Monarchie im Jahre 1660 gerade seit einem Jahr auf dem Thron und eifert dem französischen Absolutismus nach. Als nun seine erste Mätresse eifersüchtig wird auf die neue Favoritin Celia, bittet er Merivel, diese zu heiraten - unter der Bedingung, dass dieser Celia niemals anrühre. Dafür erhält er Bidnold, ein Anwesen in Norfolk, weit entfernt vom König und Celia, wo Merivel ein formidables, aber ausgesprochen müßiges Leben führt. Natürlich verliebt sich der schweinsborstige Unsympath dennoch in Celia, auch sein Herz ist eben nicht "ganz und gar gefühllos" - was dem König angezeigt wird. Das Unglück nimmt seinen Lauf - Merivel verliert sein geliebtes Anwesen: "Bidnold war der anatomisch zerlegte Merivel. Von meinem farbenprächtigen und lärmenden Bauch ging man zu meinem Herzen hoch, das sich zwar nach Abwechslung sehnte, aber auch die Verborgenheit liebte, und dann zu meinem Gehirn, einem kleinen, aber schönen Ort, der gelegentlich voller Licht, doch ganz und gar leer war. Indem der König mein Haus wieder in Besitz nahm, nahm er mich mir selbst weg."

Merivel findet Zuflucht bei seinem alten Studienkollegen John Pearce, einem Quäker, der im Gegensatz zu seinem Freund Wissenschaft und Glaube in Einklang zu bringen wusste, und der in einer von Quäkern geleiteten Irrenanstalt in den ostenglischen Sümpfen arbeitet. Hier sind übrigens zwei der Häuser nach George Fox, dem 'Ur-Quäker' und seiner späteren Ehefrau Margaret Fell benannt. Das dritte Haus, jenes für die schwersten Fälle, trägt bezeichnenderweise den Namen William Harveys, des Entdeckers des Blutkreislaufs. Merivel bekommt hier jedenfalls eine Ahnung davon, was er bislang zu begreifen nicht fähig war und was ihm noch drohen wird - über dem Tor ist Jesaja 48, 10 angeschlagen: "Siehe, ich habe dich geläutert, aber nicht mit Silber; sondern ich habe dich geprüft im Glutofen des Elends."

Nachdem er so lange versucht hat, die Medizin, die ihm irgendwann begann Angst einzuflößen, über seinen dilettantischen Zerstreuungen in Malerei und Musik zu vergessen, wendet er sich ihr hier doch wieder zu. Merivels Fall aber ist noch nicht beendet - er verführt eine Insassin, Katherine, die schwanger wird, und gemeinsam müssen sie die Anstalt verlassen. Sie kehren, sechs Jahre nachdem Merivel den Hof verließ, zurück nach London, wo inzwischen die Pest wütet: Der Flüchtende hat endlich den "Glutofen des Elends" erreicht, stellt sich seinen 'Geistern' und trifft hier auf bekannte Gesichter.

Rose Tremain zeichnet sich als Autorin durch eine wunderbare Sprache und historische Detailfreude aus. In "Des Königs Narr" ist sie dabei mit ihren Beschreibungen keineswegs zimperlich. Blutige Behandlungsmethoden, ein freiliegendes Herz, Aderlasse, Leichensektionen, sogar ein Kaiserschnitt werden ausgesprochen anschaulich beschrieben.

Auch ist der Protagonist anfangs so unerträglich unsympathisch, dass die Abneigung gegen ihn die Bereitschaft des Lesers unter Umständen hemmen kann, seiner Geschichte zu folgen. Mitgefühl kommt erst auf, als Merivel sich schon geraume Zeit entwickeln konnte. Doch bei aller närrischen Peinlichkeit siegt doch aufgrund Tremains überzeugender Sprache schließlich die Neugier. Merivel belohnt den Leser schließlich mit seinen Einsichten und seiner Entwicklung, wie er ihn anfangs gequält hat.

Einen wirklich lesenswerten, weil unterhaltsamen und lehrreichen Roman hat Tremain hiermit vorgelegt - und sie befindet mit der Weisheit eines Narren: "[E]s gibt so viele Arten von Geistesgestörtheit und Verrücktheit - Liebe ist vielleicht die süßeste, aber auch die schrecklichste davon".

1995 wurde der Roman übrigens unter dem Titel "Restoration - Zeit der Sinnlichkeit" verfilmt - mit fulminanter Besetzung (Robert Downey Jr., Sam Neill, David Thewlis, Ian McKellen, Meg Ryan, Hugh Grant) und mit 2 Oscars für die beste Ausstattung und die besten Kostüme belohnt.

Titelbild

Rose Tremain: Des Königs Narr. Roman aus dem England des siebzehnten Jahrhunderts.
dtv Verlag, München 2003.
457 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3423130520

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