Ökonomischer Zwang und Emanzipationspotenzial der Frauenbewegung

Gisela Klann-Delius führt in das vielschichtige Verhältnis von Sprache und Geschlecht ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als patrifizierendes "Frauen-Verwirr-System" wird die deutsche Sprache seit Jahren von der radikal-feministischen Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch gegeißelt. Nun hat Gisela Klann-Delius an prominentem Ort eine Einführung zum Verhältnis von Sprache und Geschlecht vorgelegt, welche die feministische Linguistik zwar durchaus kritisch beleuchtet und nicht zögert, deren Mängel und Forschungsdesiderate aufzuzeigen, ihr jedoch insgesamt nicht ohne gewisse Sympathien gegenübersteht.

Das vorliegende Buch will das Interesse der "heutigen jungen Generation" am Thema aufnehmen und Studierende über den Stand der Forschung, zentrale Erklärungsansätze und Bewertungen von Geschlechterdifferenzen informieren sowie ihnen Geschichte und Entwicklung des Forschungsbereiches nahe bringen, um sowohl der Erkenntnisse und Irrtümer der bisherigen Forschung "kritisch gewahr zu bleiben" als auch "den Standort des Forschungsfeldes im Kontext zukünftiger Modernisierungs- und Globalisierungsprozesse auszumachen". Ihr Augenmerk richtet die Autorin neben dem Deutschen insbesondere auf das Englische (respektive das Amerikanische). Eigenheiten anderer Sprachen werden eher sporadisch behandelt und meist nur zum Vergleich herangezogen.

Klann-Delius gliedert ihre Einführung in vier Teile, deren erster Entwicklungsgeschichte und Aktualität des Forschungsbereichs nachgeht. Ihm folgen Analysen und empirische Befunde, die etwa ein Drittel des Buches ausmachen und - soweit dies eine Einführung zu leisten vermag - umfassend informieren. Anschließend werden verschiedene Erklärungsansätze dargelegt und beurteilt. Das Kapitel "Wirkung: Sprachpolitik und Sprachwandel" beschließt den Band.

In ihren eigenen Beurteilungen geizt die Autorin nicht mit Kritik und klaren Worten. Ein "grundsätzliches Problem" empirischer Forschung zum Kommunikationsverhalten und zum Sprachgebrauch der Geschlechter etwa sieht sie darin, "dass die übliche Publikationspraxis dazu führt, dass mehr Studien veröffentlicht werden, die Geschlechterdifferenzen feststellen als solche, die keine Unterschiede finden". In diesem Umstand glaubt sie den Grund dafür zu erkennen, dass "die realen Differenzen nicht richtig eingeschätzt werden". Zudem sei der Forschungsprozess "darauf ausgerichtet", Unterschiede im Sprachgebrauch der Geschlechter zu finden. Dies könne "einen Bias im Forschungsdesign und den Methoden begünstigen". Bedenken, die wohl nicht ganz unbegründet sind.

Den oft kritikwürdigen empirischen Methoden korrespondieren Klann-Delius zufolge ebenso oft "theoretisch wenig überzeugende" Geschlechter-Konzepte sowie ein "vergleichsweise schlichtes Verständnis" von Sprache, Sprachgebrauch und sprachlicher Kommunikation. So stellt sie sozialisations- und lerntheoretische, kognitionspsychologische, psychoanalytische sowie sozialpsychologische Erklärungskonzepte geschlechterdifferenten Sprachgebrauchs vor, außerdem interaktive Modelle (darunter das doing gender-Modell) sowie biologische Ansätze. So recht zufrieden ist sie mit keinem dieser Erklärungsmodelle. Am moderatesten allerdings fällt ihre Kritik gerade am fragwürdigsten dieser Erklärungsansätze aus, dem biologi(sti)schen. Von den "biologischen Faktoren", so führt sie aus, sei insbesondere die Wirkung der Hormone auf die Gehirnentwicklung und auf das Verhalten "wichtig", wenn auch "nicht allein entscheidend". Zwar bedürfe es hier noch weiterer Forschung, um die Ergebnisse biologischer Erklärungsansätze geschlechterdifferenten Sprachgebrauchs zu festigen, jedenfalls aber seien die bislang gegen sie vorgebrachten Einwände "nicht zwingend". Dieser theoretischen Präferenz werden sich nur wenige anschließen wollen.

Ein Manko liegt in den zuweilen etwas umständlichen Formulierungen der Arbeit. Auch stolpert man gelegentlich über die eine oder andere Merkwürdigkeit, so wird etwa konstatiert, dass der - wie Klann-Delius sagt - "postmoderne Dekonstruktivismus" "Geschlecht als relevante Kategorie thematisch nicht hat beseitigen können", als sei das je die Absicht dekonstruktiver Ansätze gewesen. Biologistische Tendenzen ihrer Herangehensweise kaschiert die Autorin vornehm mit vermeintlich "anthropologische[n] Gegebenheiten", die "soziale Kategorien" limitierten. Nach der von Sheila Benhabib, Hilge Landweer und Reimund Reiche vorgebrachten "Kritik am fundamentalen Konstruktivismus und seiner Dekonstruktion von 'Geschlecht'" gelte es nun, die "Möglichkeit autonomer Subjekthaftigkeit weiter aus[zu]differenzieren", wie sie ungeachtet aller dekonstruktiver Erkenntnisse fordert.

Gegen die Positionen der Postmoderne gelte es, "das Emanzipationspotential der neuen Frauenbewegung" ins Feld zu führen. Gemeint ist offenbar die inzwischen schon gar nicht mehr so neue, sondern vielmehr historische Neue Frauenbewegung der 1970er Jahre. Aufgabe einer "zukünftigen Forschung", deklariert die Autorin, sei es "zu bestimmen, wie die Befunde zum Geschlechterverhältnis in Sprache und Kommunikation auf Bildungschancen und das Projekt einer Diskursethik zu beziehen sind". Denn es bestehe ein "ökonomischer Zwang zur Realisierung der Bildungschancengleichheit der Geschlechter und zur wissenschaftlichen Analyse der noch bestehenden Barrieren". Dabei werde die künftige Forschung auch die Frage zu beantworten haben, "ob und inwiefern die Kommunikationsverhältnisse zwischen den Geschlechtern noch immer unausgewogen sind und der Reflex von 'Geschlecht' in der Sprache auf fundamentale Asymmetrien verweist".

Titelbild

Gisela Klann-Delius: Sprache und Geschlecht. Eine Einführung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2005.
230 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3476103498

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