"Es ist die Sprache, die alles ist"

Ein Essayband versammelt zwanzig Arbeiten Susan Sontags

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Meine Energie als Schriftstellerin veranlasst mich [...], vorwärts zu blicken, immer noch das Gefühl zu haben, dass ich am Anfang stehe," schreibt Susan Sontag in ihrem Essayband "Worauf es ankommt", der im Hanser Verlag kurz nach ihrem Tod in Deutschland erschien. Hinterlassen hat sie freilich mehr als einen "Anfang": Vierzig Jahre nach "Against Interpretation", ihrem ersten, bedeutenden Essayband, liegen nun gesammelte Aufsätze aus den letzten 20 Jahren vor, aus denen eine sehr reflektierte und zeitweise auch rückschauende Sontag spricht. Die große amerikanische Intellektuelle beschreibt und interpretiert Kunst und Literatur, aber sie verurteilt kaum. Ihr liberaler Geist mahnt mehr zur Besonnenheit - was sie wundert oder was ihr nicht passt, das stellt sie vorsichtig in Frage. Zum "Establishment" wird sie nie gehören und dem "Kanon großer Bücher" hält sie entgegen, dass seine Botschaft schon verstanden oder obsolet sei. Sontag fordert dazu auf, die Kanonfrage zu ignorieren. Es geht ihr in der Kunst nicht um das "System", sondern um den einzelnen Gedanken, den sie akribisch wendet und entfaltet.

Das ästhetische Spiel mit dem Gedanken in der Kunst sucht und zelebriert sie beispielsweise bei Roland Barthes: "Wie alle Aphoristiker zum Hyperbolischen hingezogen, lässt Barthes Gedanken in einem Drama auftreten, oftmals als sinnliches Melodram oder mit Anklängen an ein Schauerstück. Er spricht von dem Beben, dem Kitzel, dem Schaudern von Bedeutungen, von Bedeutungen, die ihrerseits vibrieren, sich zusammenziehen, sich auflockern, verteilen, beleben, strahlen, kollabieren, mutieren, verzögern, gleiten, trennen, die Druck ausüben, zu Sprüngen, Brüchen, Rissen führen, zermahlen werden." Der französische Philosoph und Schriftsteller biete damit eine Art "Poetik des Denkens", bei der die Beweglichkeit der Bedeutung eine zentrale Rolle spiele, die letztlich den "kritischen Denker als Künstler in Freiheit" setze. Kritisches Denken in der Moderne unterliegt aber auch gewissen Regeln. Die Künstler vereint die Suche nach einer "Art von Radikalismus", der geeignet ist, ihrem Werk einen gewissen Wert zu geben, der vom speziellen Inhalt des Kunstgegenstands lösgelöst ist. In diesem Radikalismus sieht Sontag die Essenz des Modernen. "Es gibt kein Programm, außer Vielfalt und Interessantheit", schreibt sie weiter. Auch die Fotografie kann dazu beitragen, die "Mannigfaltigkeit der Welt" zu erschließen und sehen zu lehren. Eine "Pluralität von Mustern" hat die Ideale damit abgelöst.

Sontag aufgrund dessen aber als Relativistin zu bezeichnen, hieße, sie zu verfehlen, denn der amerikanische Liberalismus ist etwas anderes als der deutsche. Sie versteckt sich nicht hinter "Sachzwängen", sondern erkennt sie und fordert gleichzeitig dazu auf, Stellung zu beziehen in den Punkten, die bedeutsam sind - subjektiv, objektiv. Liberalismus heißt eben nicht, kein eigenes Urteil mehr zu haben, sondern ein Bewusstsein davon, dass das eigene Urteil seine Berechtigung neben den anderen hat. Argumentativ - rational - politisch.

Das Geschlechterverhältnis spielt nach wie vor eine große Rolle für Sontag. In einem Essay schreibt sie, dass ein Buch mit Portraits von Frauen, "ob es will oder nicht, die Frauenfrage aufwerfen" muss, selbst oder gerade wenn diese Frauen außer ihrem Geschlecht nichts miteinander gemein haben. Das Wahrnehmen, speziell das Sehen von Frauen läuft nach ganz bestimmten Regeln ab: "Niemand", bemerkt Sontag, "sieht sich ein Buch mit Bildern von Frauen an, ohne zu registrieren, ob die Frauen attraktiv sind oder nicht." Diesen gesellschaftlichen Imperativ an die Frauen, attraktiv zu sein (an die Männer, stark zu sein) kann man zwar verneinen, aber nicht übersehen: Alle haben ein Bewusstsein von diesen Rollen. "Porträts von Frauen zeigten ihre Schönheit, Porträts von Männern ihren 'Charakter'." Das, was wir alle immer schon ahnen, kann Sontag entlarven, wenn sie dazu auffordert, sich ein Buch mit Bildern vorzustellen, in denen keine der abgebildeten Frauen mit dem Attribut "schön" belegt werden könnte: "Hätten wir nicht den Eindruck, dass der Photograph etwas falsch gemacht hat? Gemein war? Ein Frauenfeind?" An ein Männerbilderbuch würden wir diese Erwartungen gar nicht erst richten. So konstatiert denn auch Sontag: "Dass Schönheit die ideale Seinsform einer Frau ist, gilt heute womöglich mehr denn je, auch wenn das ungeheuer komplexe System von Mode und Photographie Schönheitsnormen propagiert, die weitaus weniger provinziell und vielfältiger sind und eher ein schamloses als ein zurückhaltendes Auftreten vor der Kamera favorisieren." Wie kommt es also, dass jede Frau, so vollkommen sie sein mag, aus der Bewertungsskala eliminiert, neutralisiert und 'entweiblicht' wird, wenn sie nicht "schön" ist und kein "Begehren" erweckt?

Neben der Körperlichkeitsproblematik thematisiert Sontag aber auch die Frage nach den Rechten von Frauen, wenn sie sarkastisch bemerkt, dass Frauen nach jedem Kriterium eine Minderheit darstellen - "außer dem der Anzahl." In keinem Land hätte es beispielsweise zuerst ein Wahlrecht für Frauen gegeben, bevor die Männer es hatten. Männer seien nie als "das zweite Geschlecht" behandelt worden. Und auch im neuen Jahrtausend scheint die Vorstellung davon weit verbreitet, dass Frauen erst einmal "dienstbar" sind. Das bedeutet beispielsweise, dass es niemand merkwürdig findet, wenn Frauen in großer Zahl in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Männern stehen - meist als Helferin oder Pflegerin. Eine Frau als Chefin über Männer ist nach wie vor ungewöhnlich bis suspekt - zumindest aber unweiblich. Denn dann ,steht die Frau ihren Mann'.

Besonders spannend in ihrem Essayband sind die Abschnitte, in denen Susan Sontag sich mit sich selbst konfrontiert. So zum Beispiel in dem Aufsatz "Gewisse Mapplethorpes", in dem sie ihre eigenen Gedanken beschreibt, während sie fotografisch porträtiert wird: "Verstaut, festgemacht, gefügig gemacht, hat mein Bewusstsein auf seine normale Funktion verzichtet, die darin besteht, für Fülle zu sorgen, mir Beweglichkeit zu verschaffen." Und so wird sie auch ihrem eigenen Schreiben und Denken gewahr: "Ich schreibe was ich kann: das heißt, was mir gegeben ist und was es wert erscheint, geschrieben zu werden, von mir." Das Schreiben ist für Sontag keine Therapie oder Methode, um sich selbst auszudrücken. Sontag geht es immer zunächst um die Dinge, die sie mit ihrer Sprache beschreibt und so sein lässt. Denn, so bekräftigt Sontag: "Es ist die Sprache, die alles ist."

Titelbild

Susan Sontag: Worauf es ankommt. Essays.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Jörg Trobitius u. a.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
454 Seiten, 25,90 EUR.
ISBN-10: 3446160191

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