Entre nous

Eine Liebe in Briefen von Erna Pinner und Kasimir Edschmid

Von Viola HardamRSS-Newsfeed neuer Artikel von Viola Hardam

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie sind eine Art Romeo und Julia der Weimarer Zeit. Sie ist Malerin, Zeichnerin und Illustratorin, er ist ein schon berühmter Schriftsteller, einer der wichtigsten Vertreter des literarischen Expressionismus: Erna Pinner und Kasimir Edschmid. 1916 lernen sie sich kennen. "Heinrich Simon hat mir erzählt, Sie seien schön, Künstlerin und Jüdin, - wann kann ich Sie treffen?", heißt es in Edschmids erstem Brief an Erna Pinner. Was folgt, sind zwanzig Jahre gemeinsamer Reisen durch die halbe Welt - Afrika, Südamerika, Italien. Er schreibt, sie illustriert seine Bücher und entwirft Kostüme zu seiner Bühnenarbeit. Nach zwanzig Jahren ist Schluß: Erna Pinner, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt, emigriert nach England, während Kasimir Edschmid trotz Publikationsverbots und der Verbrennung seiner Bücher in Deutschland bleibt.

"Liebste, Liebling, Boy und tausend andere geliebte Namen,", schreibt Edschmid am 12. November 1935, "ich möchte nicht, daß Du in England ankommst, ohne daß Du einen Gruß von mir am selben Tag erhältst. Denn da, wo Du bist, bin auch ich, und wo ich bin, bist auch Du. [...] Zwanzig Jahre, in denen wir so ineinander aufgegangen sind und in denen wir so gewachsen sind, daß schon die Idee einer kleinen Trennung mich erschüttert. Denn wir sind so aufeinander eingespielt - nicht in der Form des dichten Beisammenseins, wohl aber in der Bedeutung freier, seelischer und gedanklicher Berührung - daß allein die Vorstellung, von Dir durch irgendeine Macht getrennt zu werden, mich leiden läßt."

Mit Ausbruch des Krieges 1939 ist jeder Kontakt abgeschnitten. Erst als ein knappes Jahr nach Kriegsende, im Frühjahr 1946, wieder Auslandspost befördert wird, erfahren Edschmid und Pinner voneinander, dass sie überlebt haben: sie in London, er in Ruhpolding (Hessen). Ihre Beziehung lebt in Briefen wieder auf. "Liebe, liebste Erna,", schreibt Kasimir am 1. April 1946, "heute gehen die Grenzen für Briefe auf und ich schreibe Dir, nachdem ich zum letzten Mal am Rande des Krieges aus Italien schrieb. [...] Es war schwer am Leben zu bleiben, da die Partei mich sterben lassen wollte." "Ich habe mit der Tatsache, daß ich lebe, zu beginnen,", antwortet Erna Pinner, "da dies wohl das erstaunlichste Ereignis ist. Obwohl Hitler den Himmel mit diversen V-Waffen zu Hölle umgestaltete, gelang es seinen mechanisierten Todesengeln nicht, mich zu verbrennen." Es ist, als sammelten zwei Menschen die Scherben auf, die nach der Vernichtung ihrer damaligen Welt übriggeblieben sind. Man tastet sich vorsichtig an den anderen heran, orientiert sich, schaut, was noch geblieben ist, und wie man überhaupt noch zueinander steht. Doch es herrscht ein anderer Ton als in den Briefen vor Kriegsausbruch.

Kasimir Edschmid hat inzwischen geheiratet und sich im Familienleben mit zwei Kindern eingerichtet, was Erna Pinner, wie sie später gesteht, nicht unberührt läßt. Mit leidlich unverdächtigen Veröffentlichungen hat sich Edschmid im Dritten Reich "über Wasser gehalten", während Erna Pinner ganz neu angefangen hat. Nach einem absolvierten Biologiestudium hat sie sich über die Jahre hinweg zu einer erfolgreichen Illustratorin populärwissenschaftlich biologischer und paläontologischer Bücher etabliert.

Was aber das Verhältnis der beiden, die einst so eng verbunden waren, überschattet, ist die Folge der Entscheidung, dazubleiben oder fortzugehen, die innere Emigration zu wählen oder das tatsächliche Exil. Diese Thematik ist in den hier veröffentlichten Briefen allerdings nur unterschwellig vorhanden. Edschmid schreibt Pinner - "entre nous" - von allem Möglichen: von den Erkältungen seiner Kinder, von Hunger und Mangel, von den Eifersüchteleien unter Schriftstellern und Verlegern, von den Funktionärspflichten, die er in den neuen Akademien und im PEN-Club übernimmt, und natürlich von neuen schriftstellerischen Vorhaben. Pinner geht darauf ein, erkundigt sich nach dem literarischen Leben in Deutschland, fragt nach den jungen Autoren in der Bundesrepublik, nach Martin Walser und Günter Grass und berichtet von ihrer Arbeit und ihren Lektüren. Kaum je allerdings thematisiert Erna, was ihr Briefpartner bei aller Mitteilsamkeit so offensichtlich meidet: das, was politisch hinter ihnen liegt und persönliche Folgen gezeitigt hat. "Vor einiger Zeit hörte ich, daß Professor Simons, mein Arzt [...] in einem Konzentrationslager umgebracht wurde. Ebenso mein Vetter, der Nierenchirurg Pinner. Wie soll man solche Dinge je vergessen können oder das Grauen verlieren über die zu Lampenschirmen verarbeiteten Menschenhäute, die sich die diversen Frau Gauleiter in ihre Zimmer stellten?" Edschmid blockt diese Nachfragen ab: "Wir wollen nicht mehr darüber reden".

Worüber allerdings noch zu reden ist, ist die sogenannte Autorin dieses Buches. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um einen der beiden Briefeschreiber, sondern um Ulrike Edschmid, die Schwiegertochter Kasimir Edschmids, die hier als Autorin und nicht etwa als Herausgeberin fungiert. So lesen wir in der Unterzeile des Titels auch nicht etwa von einer zusammengestellten Briefwechsel-Sammlung, sondern vielmehr von einer "Geschichte in Briefen". Ulrike Edschmid selbst schreibt im Vorwort, sie habe versucht, aus fast sechshundert Briefen "den Dialog herauszuarbeiten" und sie habe in mehreren Fassungen "akzentuiert und skelettiert", bis ein "Konzentrat" freigelegt worden sei. So ganz verständlich ist dennoch nicht, warum das als schriftstellerische Eigenleistung gilt und das Buch nicht schlicht als Briefauswahl gehandelt wird. Auch das Nachwort von Barbara Hahn gibt keine befriedigende Antwort dazu. Sie schreibt, die Autorin hätte "nicht verbessert und korrigiert", sondern vorsichtig "mit Schere gelesen und mit Klebstoff geschrieben". Mit einer etwas genaueren Beschreibung des Verfahrens der Bearbeitung und mit einer etwas besseren Nachprüfbarkeit hätte sich leichter entscheiden lassen, ob Ulrike Edschmid als Autorin im klassischen Sinn der "Urheberin" oder vielleicht doch eher als Herausgeberin einer Briefesammlung gelten darf. Denn so bleibt ein Zweifel an der Echtheit und Glaubwürdigkeit dieses freigelegten "Konzentrats".

Doch trotz der Unklarheit, ob wir es hier nun mit einer wahrheitsgetreuen Nachkonstruktion der Beziehung oder doch eher mit einer konstruierten "Geschichte in Briefen" zu tun haben, steht eines fest: dieses Buch enthält eine wunderbare Liebesgeschichte voller Leid, Trauer, Glück und Tragik, bei der man voller Spannung einem Treffen der beiden Briefeschreiber entgegen fiebert. Und man wünscht sich, die beiden wollten darüber dann doch noch einmal reden.

Titelbild

Ulrike Edschmid: Wir wollen nicht mehr darüber reden.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
240 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3630870279

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