Erdnüsse, Politik und Jagd-U-Boote

Jimmy Carters sehr persönliche, sehr amerikanische Lyrik

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rachel Clark, eine hoheitsvolle Person, herzensklug, schwarz und weise, eröffnet Jimmy Carters Gedichtsammlung. Ihr, der fast magischen Figur seiner Kindheit tief im Süden, setzt der 39. Präsident der USA ein schönes Wort-Denkmal: detailreich, plastisch und lebendig. Ihre Königinnen-Aura beschwört er, ihren Stolz und ihre unerreicht effiziente Arbeitskraft, vor allem aber ihre faszinierende Ruhe und Lebensklugheit. Einfach kommt Carters Amerikanisch hier wie in den anderen Versen daher (durch die getreue Übersetzung gut nachvollziehbar), so einfach, dass man Assonanzen überliest, Motivketten, den weich fließenden Rhythmus oder die genaue Wortwahl.

Eindeutig handelt es sich hier nicht um einen Staatsmann im Ruhestand, der sich, wiewohl talentlos, gleichwohl als Dichter beweisen will. Jimmy Carter liebt die Worte, er setzt sie mit Freude und Geschick, mit Ernst oft und nicht selten mit Humor.

So widmet er seiner Tätigkeit als Erdnussverkäufer, die er als Kind sehr viele Jahre ausübte, das Gedicht "Peanuts": Wie ihm die Augen geöffnet wurden für die Bigotterie ringsumher und die Armut im Städtchen, wie hart es war, die Erdnüsse abzusetzen, dass aber fast immer seine Schicksalsgenossen bei ihm kauften, die Vertreter. Seine Lektion fasst er in den ironischen Schlusszeilen zusammen:

"Long before I was ten years old
I learned to judge the whole community,
My standards just as good as those of preachers
Or scholars, who would teach philosophy
Or write their books.
I knew the good folks were
The ones who bought their boiled peanuts from me."

Das ist keine große Kunst, doch voll anregender Forumulierungen, klarer Bilder, unangestrengter Einsichten. Explizite und implizite Botschaften gibt es wie in "A Reflection of Beauty in Washington", wo dasselbe Licht der Stadt, das den Sternenschein dämpft, das Weiß ziehender Gänse erstrahlen lässt.

Wer Jimmy Carter als Präsidenten kennt oder jetzt noch als weltweiten Friedensstifter ohne Regierungsauftrag, der wird sich nicht wundern über sozialkritische Lyrik und über eine fromm-heitere Note, vielleicht schon eher über satirische Politikverse und über Haiku-Versuche.

Der Mensch und der Politiker schienen in Carter schon immer weniger strikt getrennt als bei anderen Staatsmännern, in seinen Gedichten gilt das Gleiche. Gern konzentriert sich Carter auf das Persönliche, und viele Verse versenken sich in die Zeit der Kindheit, in das klang- und erlebnisreiche ländliche Leben, doch unversehens spielt auch hier die Erinnerung an Rassenhass oder die Borniertheit von County-Diktatoren hinein. Manchmal freilich zuckt man kurz zurück, weil er so ungeschützt formuliert, wie in seiner Liebeserklärung an "Rosalynn"; gleichwohl rührt auch das an, zumal Carter im Persönlichen oft genug die Selbstironie pflegt.

Das lässt die Moral, die selbstverständlich Gedichte durchzieht, ganz unpeinlich, nicht weinerlich und gar nicht selbstgerecht erscheinen. Sein Gedicht "Hollow Eyes, Bellies, Hearts" über das viele Leid, das in der Ferne herrscht und das man im Westen nicht sehen wolle, schließt er mit bitterer Ironie: "We chosen few are truly blessed. / It's clear God does not want us pained / by those who suffer far away. / Are we to doubt what He ordained?" Carter wagt, einfache Wahrheiten zu sagen, wie in "Some Things I Love", wenn er damit auch die Grenze zur Sentimentalität streift, eine Grenze, die er dank Witz und understatement praktisch nie überschreitet.

Da ist sehr viel Amerika in seinen Versen, ob es um die Jagd geht, um das Fischen, um den Gnadenschuss für den eigenen Hund, um den Kalten Krieg im Jagd-U-Boot oder um die Schatten der Vergangenheit. In den besten Zeilen stellt sich eine sinnliche, evidente Stimmung ein, die viel über die USA verrät und auch über den Mann, der ihnen einst als Präsident diente.

Verantwortlichkeit spricht aus den Gedichten und Pragmatik, fröhliche Frömmigkeit und Hingabe an die Wörter - und Naivität, aber auf eine durchaus sympathische Weise. So kann man diesen - übrigens als Buch sehr schönen - Lyrikband in vielfältiger Weise lesen: als Einblick in amerikanische Befindlichkeit, als ansprechende Dichtung und schließlich als getreues Selbstporträt einer ebenso einzig- wie eigenartigen Berühmtheit.

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Jimmy Carter: Angesichts der Leere. Gedichte englisch/deutsch.
Übersetzt aus dem Englischen von Walter Grünzweig und Wolfgang Niehues.
Weidle Verlag, Bonn 2005.
119 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-10: 393113587X

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