Dienstmädchens Tarnkappe

Paula Fox' Heldin Luisa dient, um nicht zu leben

Von Maja RettigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maja Rettig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paula Fox hat einen un-amerikanischen Traum. Ihr Roman "Luisa", im Original 1984 erschienen, ist eine Verneinung des Aufsteiger-Mythos, ein kalter amerikanischer Albtraum, bloß leise, ohne grelle Wendungen. Es ist mehr die Trostlosigkeit im addierten Kleinen, aus der es kein Entrinnen gibt - dafür ist die mittlerweile 82jährige Autorin, in den USA spät wieder- und bei uns Buch für Buch neuentdeckt, inzwischen berühmt.

Die Titelfigur, als Kind mit ihren Eltern von einer kleinen Karibikinsel nach New York emigriert, verweigert sich beharrlich dem aufstiegsorientierten Glücksstreben, auf dem das amerikanische Menschen- und Gesellschaftsbild sich gründet. Sie möchte Dienstmädchen werden und jahrzehntelang bleiben, gegen das Unverständnis und die Enttäuschung ihrer Umwelt. Warum, das ist die Frage, die diesen Roman an- und seinen Leser umtreibt. Eine starke Beunruhigung geht von dieser Heldin aus, weil sie grundlegende Gewissheiten unterläuft, völlig ohne Provokationspose oder erzählerische Rätselgeste.

Fremd steht sie in der Welt, unbegreiflich auch sich selbst. Die meiste Zeit lebt sie ohne Kontakt zu ihrem Leben, in einer Watteschicht der Uneigentlichkeit - ohne aber stumpf zu sein. Im Gegenteil, eine Hauptfaszination dieses Romans sind die subtilen Beobachtungen dieser Ich-Erzählerin, die in den Haushalten ihrer Arbeitgeber vieles sieht und begreift, was diese nicht sehen und begreifen. Das führt zu skurrilen Details und zu Dialogen von unaufdringlicher und wie unabsichtlicher Komik - direkt ironisch könnte man sie nie nennen, denn im Grunde gehen diese Leben die Erzählerin nichts an. Eben das macht ihre Arbeit ja aus: Der Abstand zu den Spuren noch des Intimsten. Das scheint ihr ein Schutz zu sein, eine Tarnung, die sie bis in ihr eigenes Leben hinein verlängert.

Die mechanische Arbeit erlaubt ihr außerdem, in Gedanken nach Malagita zurückzukehren, ihr karibisches Kindheitsparadies. Dort war sie noch eins mit ihrem Leben. Die Exotik des Ortes verbindet sich in diesem ersten Teil farbenprächtig mit der Exotik der Kindheitswahrnehmung, von Fox staunenswert sicher gestaltet - plastisch, aber nicht anbiedernd, und ohne das Kind-Ich für dumm zu verkaufen.

In Malagita gab es einen Menschen, der zählte: Luisas Großmutter. Der zweite wichtige Mensch wird ihr Sohn Charlie sein; schon die Ehe, die ihn hervorbringt, obschon aus Liebe geschlossen, wirkt unwirklich. Es ist ein kurzes, wie irrtümliches Glück zu zweit. Eigentlich ist Luisas Zustand das Alleinsein, eine fundamentale, den Leser kalt anwehende Einsamkeit. "Sie zog die Ente auf und setzte sie auf den Boden. Sie watschelte und watschelte, und Charlie jauchzte und schrie vor Freude, und Tom und Gina bebten vor Lachen; ein Lachen, das mir unbegreiflich war." Da geht ihre Ehe schon in eine andere über.

Dieses Allein- und Außenvorsein ist aber schon in der mythischen Kindheit angelegt, in Luisas Herkunft. Ihr Vater ist der Sohn einer Plantagenbesitzerin, ihre Mutter Dienstmädchen in eben diesem Hause und bleibt es, ignoriert von der Schwiegermutter, auch, als Luisas Vater sie heiratet und in ihre ärmliche Hütte zieht. In Luisas Familie treffen die Linie der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten unversöhnlich aufeinander; ihren Großvater mütterlicherseits trieben einst die Knebelverträge der Vaterseite in den Tod. Ein Dazwischen gibt es nicht, nirgends findet die Tochter einen selbstverständlichen Platz. Früh wird sie zur Außenseiterin.

In New York führen die Eltern ein ärmliches Leben in dunklen Mietswohnungen. Doch während die Mutter selbstverständlich arbeiten geht, nimmt der Vater erst nach Jahren einen Job an - um Arbeit, die seiner Bildung entspricht, bemüht er sich nie. Luisa schlägt sich offensichtlich auf die Seite des mütterlichen Erbes. Zum anderen Teil aber ist ihre Passivität, das sture Beharren auf der Knechtschaft, auch der heimlichen Überzeugung geschuldet, das Blatt müsse sich irgendwann wenden: "Ich hatte mein ganzes Leben lang gewartet. Ich hatte auf ein Erbe gewartet, das mir nur in Träumen versprochen worden war."

Das Ende ist offen, aber nicht so, dass es die Märchenlösung zuließe. Auf dem Weg dahin werden die kleinen Glückshoffnungen, die selbst die Heldin nicht verhindern kann, durch Vorwegnahmen der Erzählerin schnell wieder erstickt. Eine Heldin ohne Entwicklung, ein Plot ohne Spannungsbogen - wie ihre Figur ist auch die Autorin Paula Fox eine subtile Verweigerin des Herkömmlichen, gleichfalls ohne jede auffällige Pose - um in scheinbarer Schlichtheit eine viel nachhaltigere Spannung zu schaffen. In ihrer knappen, kühlen Sprache häuft sie kapitellos Alltagsereignisse aneinander, lässt Heere von Nebenfiguren durchziehen, Putzstellen über Putzstellen. Zeitlich ist nichts genau zu verorten, seltene Angaben wie "Dienstagmorgen" oder "dieser Sommer" wirken fast absurd. Grausam jedenfalls verstreicht die Zeit; zwischen den vier Teilen des Buchs liegen Jahre.

Die Anfechtungen dieser fragwürdigen Ruhe liegen auch im Alltag und können jederzeit hervorbrechen. Einmal bringt der Frühling Luisa aus der Fassung: "Dunkelheit und Kälte waren mir eine Zuflucht. Jetzt fegte es sie davon. (...) Die festen Bahnen der Gewohnheit lösten sich mit zunehmender Wärme immer mehr auf; grüner Dunst hing im Park am Fluß. Ich versuchte verzweifelt, die Erschütterungen meiner Seele zu verstehen."

Ein großer Roman, und ein zeitloser. Einer, der lange nachwirkt. Subkutan.

Titelbild

Paula Fox: Luisa.
Aus dem Amerikanischen von Alissa Walser.
Verlag C.H.Beck, München 2005.
443 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3406535496

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