Splitternd leuchtendes Eis

Hans-Ulrich Mielsch erzählt aus dem Leben des Berner Landschaftsmalers Caspar Wolf

Von Oliver RufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Ruf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Caspar Wolf ist ein besessener Maler. Er kommt von einer Farbe nicht los. Er braucht sie, weil er die Gletscher malt. Auf seiner Leinwand gibt es "nichts als Eis. Keine gefällig arrangierte Landschaft, keinen dekorativen Vordergrund, nur den Gletscher allein - Zinnen, Zacken, Abgründe, Türme, eine funkelnde Trümmerwüste aus Türkis." Caspar Wolf zieht also durch die Alpen, um die Farbe zu finden. Ihn lockt das "eisige Blaugrün" und dessen Wirkung aufs Gemüt.

Verständlich, dass der Umschlag dieses Romans um Caspar Wolf, den "Pionier der Alpenmalerei", in jener Farbe gehalten ist. Wie auch das Panorama des Grindelwaldtales mit Wetterhorn, Mettenberg und Eiger, das ebenfalls den Einband ziert. Ein schmuckes Bild, circa 1774 entstanden, kolossal im Anblick, einnehmend nach wie vor. So ähnlich muss es dem Autor Hans-Ulrich Mielsch ergangen sein, der eine internationale Karriere als Opern- und Konzertsänger absolvierte und von 1972-1988 als Professor am Conservatoire de Musique in Genf lehrte, als er bei einer Auktionsbesichtigung in Bern zum ersten Mal dem Œuvre Caspar Wolfs begegnete.

Dessen Bilder inspirierten Mielsch. Er beschäftigte sich ausgiebig mit ihnen und mit dem Mann, der sie dereinst schuf. Der in der Berner Matte hauste, dort, wo die armen Leute wohnten. Hans-Ulrich Mielsch hat aus dem, was er über Caspar Wolf erfuhr (etwa aus: Willy Raeber: Caspar Wolf. 1735-1783. Sein Leben und sein Werk. Aarau /München 1979), einen Roman geschnitzt. Mielsch hat eine Geschichte zusammengeschnitten, hat dabei Fiktion und biografisch Bekanntes miteinander verleimt. Zum Beispiel, wie es dazu kam, dass Caspar Wolf seine "Alpengalerie" malte, Hunderte Bilder nach Motiven der Schweizer Alpen.

Sie gibt Wolf "vollkommen ungeschönt" wieder, "erschreckend in ihrer Größe und Gleichgültigkeit dem Menschen gegenüber, und nicht domestiziert zu einer gefälligen Vedute". Wolf tut dies im Auftrag seines Berner Verlegers, mit dem er eigens eine Reise unternimmt. Skizzen entstehen, vom Staubbach, vom Unteren Grindelwaldgletscher, die Wolf später berauscht ausarbeitet. Hochromantisch, hochdramatisch, dominiert vom "magischen Türkisgrün". Bilder aus splitternd leuchtendem Eis. Wolf tritt malend in Dialog mit der Natur, begreift sein Schaffen als Gipfelsturm der Kunst. Er verdichtet das Gebirg, spitzt es perspektivisch zu, gibt es in seiner ganzen Fülle im Urzustand wieder. Und zeichnet doch nur ein Abbild seiner selbst. Es sind seine eigenen Stimmungslagen, die er auf die Leinwand bringt. Einsamkeit. Laune. Leidenschaft.

Hans-Ulrich Mielsch zeigt uns einen typischen Künstler. Einen Kauz, der seine Berner Tracht später, im zweiten Teil der Geschichte, in Paris, nur widerwillig ablegt. Einen sperrigen, wortkargen, in sich gekehrten Menschen. Mielsch riskiert dieses Stereotyp, weil ihm Caspar Wolf so erscheint. Dass man die Geschichte um ihn und mit ihm, der die "Alpengalerie" vollendet und an der Seine deren Schau vorbereitet, mit angehaltenem Atem liest, hat hauptsächlich zwei Gründe: Authentizität und Emotion.

Geschickt bringt Mielsch historische Fakten in die Handlung ein, u. a. über Albrecht von Haller, den Dichter des Gedichts "Die Alpen" ("Hier zeigt ein steiler Berg die Mauer-gleichen Spitzen ..."), sowie die Zeitumstände in Paris, die sich anbahnende französische Revolution. Außerdem treten Frauen auf, Musen! Zunächst die Jungfer Juliette, mit der Caspar Wolf durch die Berner Landschaft wandert und die ihn dann verlässt - aus Standesgründen. Dann die Comtesse Madeleine, eine "Frau von Format", freilich in türkisfarbener Seide gekleidet, mit Hang zum Mäzenatentum, die Wolfs Pariser Ausstellung organisiert und ihn mustergültig erobert. In all das dürfen wir hineinschnüffeln, am Privaten und Geschichtlichen gleichermaßen nippen.

"Die Alpengalerie" ist deshalb sowohl ein effektvoll erzählter Zeit-Roman als auch eine psychologisch ambitionierte Biografie. Die Berner Bürgerschaft und das vorrevolutionäre Paris bedingen Wolfs Schicksal ebenso wie sein Temperament als Künstler. Ein "unerhörter Vorfall" ereignet sich am Ende, ausgerechnet während der Vernissage, ein "éclat" mit Potenzial zum totalen Desaster.

In Wirklichkeit waren die Alpenbilder des am 6. Oktober 1783 verstorbenen Malers Caspar Wolf lange Zeit vergessen. Erst während des Zweiten Weltkriegs wurden sie in einem niederländischen Schloss wiedergefunden und nach dem Krieg in die Schweiz gebracht, 1948 in Aarau ausgestellt und von Privatsammlern und Schweizer Museen erworben. Wolf, der Landschaftsmaler im Vorfeld der Romantik, spürt in Mielschs Roman unbewusst diesen Weg zurück in die Heimat sich auftun, denn in Paris hatte ihm von Anfang an etwas gefehlt: "Aber natürlich, es fehlten die Berge!"

Titelbild

Hans-Ulrich Mielsch: Die Alpengalerie. Ein Roman um Caspar Wolf, den Pionier der Alpenmalerei.
Arche Verlag, Hamburg 2005.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 371602340X

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