Kleine Fische

Die gesammelten Essays und Vorträge Herman Melvilles

Von Friedhelm RathjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Rathjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Hermann Melville-Vogue hierzulande, eine fast perfekte Welle, die 1991 mit der ersten Melville-Sondernummer der Zeitschrift "Schreibheft" begann, ist ungebrochen. Nachdem mehrere Verlage in teils konkurrierenden Ausgaben die wichtigsten Hauptwerke des "Moby-Dick"-Autors neuübersetzt vorgelegt haben, werden jetzt auch seine ephemersten Nebentexte in deutscher Sprache zugänglich, nämlich in dem schmalen Band "Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen", den Alexander Pechmann übersetzt und gründlich annotiert hat. Pechmann gehört zur Handvoll bester Melville-Kenner im deutschsprachigen Raum und hat vor zwei Jahren bereits die umfangreiche Gesamtdarstellung "Herman Melville: Leben und Werk" vorgelegt; der Kenntnisreichtum, den er damit bewies, kommt dem nun erschienenen Band in Gestalt eines kundigen Nachworts zugute, das die Entstehungsbedingungen der einzelnen Texte und ihren Zusammenhang mit Melvilles Gesamtwerk umreißt.

Solche Hilfestellung bei der Einbindung in größere Kontexte ist in der Tat vonnöten, denn die neun Buchrezensionen und Vorträge, die tatsächlich schon das komplette essayistische Werk Melvilles ausmachen, sind für sich genommen winzig kleine Fischchen, die lediglich als flankierende Begleitung des Wals, der im Zentrum der Melville'schen Buchstabenozeane schwimmt, von Belang sein können. Ihre Existenz verdanken sie recht nichtigen Anlässen, mehr oder weniger ausführlich rezensiert werden Bücher, die heute zu Recht weitgehend vergessen sind. Die eine Ausnahme ist der lange Essay "Hawthorne und sein Moos", geschrieben im ersten Überschwang der noch frischen Bekanntschaft Melvilles mit dem von ihm bewunderten älteren Kollegen Nathaniel Hawthorne. Nachdem Melville noch kurz zuvor an anderen Büchern vor allem zu loben wusste, dass sie "geradlinig, schlicht und offensichtlich wahrheitsgemäß" von der Welt berichten und alle "unangebrachten Ausflüge in die Phantasie" unterlassen, zudem einen "schlichten, unverblümten und wahrhaftigen Stil" pflegen, preist er nun die "mystische Finsternis" Hawthornes und lässt sich bereitwillig "von jenem Mann sanft entführen" und "in ein Netz aus Träumen einspinnen".

Als Lobhudelei grenzt "Hawthorne und sein Moos" passagenweise ans Peinliche, zumal der Text zu einem Zeitpunkt entstand, als Melville sich auch persönlich bei Hawthorne auf keineswegs unaufdringliche Weise einzuschmeicheln begann. Wichtiger aber ist, dass Melville den verehrten Kollegen beherzt auf eine Stufe mit Shakespeare stellt und sogleich anfängt, sich weniger über Hawthorne als vielmehr über die Qualitäten Shakespeares und überhaupt über literarische Größe und Tiefe auszulassen. Indem Melville das tut, formuliert er theoretisierend, was er zur gleichen Zeit mit seinem Romanmonstrum "Moby-Dick" praktisch umzusetzen versucht. "Es ist besser, originell zu scheitern, als erfolgreich zu imitieren", verkündet er: "Der Mann, der niemals nirgendwo gescheitert ist, kann nicht groß werden." Melville selbst macht sich in diesem Moment daran, "groß" zu werden, und verabschiedet sich damit sehenden Auges von Erfolg und Anerkennung. Im "Beifall der Öffentlichkeit" erkennt er "ein starkes Indiz für Mittelmäßigkeit", und aller Mittelmäßigkeit entsagt er von nun an standhaft und konsequent.

Die literarische Rücksichtslosigkeit, die Melville sich hier auf seine Fahnen schreibt (und deren Verwirklichung im "Moby-Dick" aus dem früheren Erfolgsautor einen verhöhnten und verspotteten Misserfolgler macht), verbietet offenbar auch alle weiteren literaturbetrieblichen Kleinaktivitäten, und so bleibt "Hawthorne und sein Moos" Melvilles letzte öffentliche Wortmeldung in literarästhetischen Fragen. Finanznöte zwingen ihn allerdings einige Jahre später, sein Glück als Vortragsreisender zu versuchen, und Mitschriften der drei Vorträge "Statuen in Rom", "Vom Reisen" und "Die Südsee" sind im vorliegenden Band ebenfalls abgedruckt. Es sind, um einen Ausdruck Arno Schmidts zu bemühen, ausgesprochene Menageriebilder - zwanglos zusammengelaufene Gedanken eher unverbindlichen Charakters, die zwar mitunter hübsch illustrieren, wie viel Melville von so genannten unzivilisierten Gesellschaften und wie wenig er von kultureller Konvention und Verstellung hielt, zu einer wirklichen Durchdringung der behandelten Themen aber nicht einmal ansatzweise vorstoßen.

Wer dem Klappentext glaubt, dass "diese Seiten ein kurzweiliger Einstieg und eine notwendige Ergänzung zum vielschichtigen Werk des großen amerikanischen Autors" seien, muss die Lektüre dieses Bands als enttäuschend empfinden, denn als Einstieg sind die versammelten Texte durchweg ungeeignet, und auch notwendig ist ihre Kenntnis nur für absolute Melville-Fans. Die allerdings können sich über "Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen" rundum freuen - und hoffen, dass die Melville-Vogue noch nicht so schnell verebbt. Noch ist an deutschsprachigen Gestaden nicht alles angespült worden, es fehlen noch die Gedichte und ein Teil der Erzählungen, wünschenswert wären zudem Neuübersetzungen der frühen Romane. Zum Glück haben Melville-Leser gelernt, sich in Geduld zu üben.

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Herman Melville: Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen. Von Walen, Dichtern und anderen Herrlichkeiten.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Alexander Pechmann.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2005.
150 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3902497041

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