Sternstunden für Mörder

Zur Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im Kriminalroman

Von Carsten WürmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carsten Würmann

Mord, Totschlag, Entführung, schwere Körperverletzung, dazu noch Raub, Erpressung, Nötigung, Korruption - all diese Verbrechen wurden während des 'Dritten Reiches' in Deutschland und im von Deutschland besetzten Europa von deutschen Soldaten und Zivilisten, Polizisten und Beamten millionenfach begangen, von Staats- und Parteiinstitutionen organisiert oder doch zumindest initiiert, wohlwollend befördert und in jedem Fall geduldet.

Mord, Totschlag, Raub und der Delikte mehr - sie alle sind der Stoff, aus dem Kriminalromane gemacht werden; hier werden sie begangen, um kriminalistisch aufgeklärt zu werden, die Täter werden überführt, ihre Interessen, niederen oder auch höheren Motive aufgedeckt, ihre kriminellen Ränke und schicksalhaften Verknüpfungen mit dem Geschehen ausgestaltet und erzählt.

Folgt man diesem schiefen Syllogismus, so erscheint der Kriminalroman fast als ein idealer Ort der literarischen Auseinandersetzung und Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus. Kann aber ein so populäres literarische Genre wie das des Kriminalromans überhaupt eine angemessene Form bereitstellen, um sich mit einem verbrecherischen System und seinen massenhaft verübten Gewaltverbrechen auseinander zu setzen? Verharmlost nicht bereits die Rede von Verbrechen im Nationalsozialismus ein Herrschaftssystem, das ein Verbrechen an sich war?

Die Auseinandersetzung darüber, ob beziehungsweise wie sich die nazistischen Verbrechen und vor allem die Ermordung von über sechs Millionen Juden angemessen darstellen lassen, ist seit 1945 immer wieder und mit Schärfe und guten Argumenten geführt worden. Trotz prominent und entschieden formulierter Absagen an jegliche Versuche einer ästhetischen Darstellung überhaupt wurde seitdem immer wieder vom Nationalsozialismus, den Tätern und den Opfern erzählt, auf die unterschiedlichste Art und Weise und aus vielerlei, nicht in jedem Fall klar voneinander zu scheidenden Gründen und Motiven. Sie reichen von Revanchismus und Rechtfertigung der Verbrechen über die erhoffte mediale Aufmerksamkeit - auch und gerade NS-crime sells - bis hin zur Bewältigung von eigener Leiderfahrung und zu dem Ziel, über Nazismus und Faschismus aufzuklären beziehungsweise diese Ideologien politisch zu bekämpfen.

Besonders kritisch wurden diejenigen betrachtet, die sich hierfür bewährter Formen populärkultureller Darstellung bedienten, wie etwa an den Reaktionen auf die Fernsehserie "Holocaust", im deutschen Fernsehen erstmals ausgestrahlt im Januar 1979, oder den Film "Schindler's List" (Premiere im Dezember 1993, deutsche Erstaufführung im März 1994) von Stephen Spielberg deutlich wurde. Sie waren weltweit erfolgreich, gerade weil sie nach den Regeln der Populärkultur produziert wurden und haben trotz oder wegen aller Kritik die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit nachhaltig befördert.

Auch Krimi-Autorinnen und Autoren haben in den vergangenen Jahrzehnten - und in den letzten Jahren verstärkt - in ihren Romanen den Nationalsozialismus behandelt und verarbeitet. Auf welche Weise dies geschah, zeigt der folgende kurze Überblick, ausgehend vom Kriminalroman im 'Dritten Reich' bis hin zu Neuerscheinungen aus den letzten Jahren.

Jede Vergangenheit war einmal Gegenwart, und die Gegenwart des Nationalsozialismus fand ihre Berücksichtigung im zeitgenössischen Kriminalroman. Auch im 'Dritten Reich' wurden Krimis geschrieben, gekauft und gelesen. Dies geschah massenhaft und in den ersten Jahren von Verbots- und Zensurmaßnahmen der NS-Schrifttumsbehörden weitgehend unbehelligt. Erst gegen Ende der 30er Jahre nahm man von dieser Seite verstärkt Einfluss und versuchte, die Publikationen mit Verboten und der Vorgabe von zu bevorzugenden Themen und Handlungsorten im Sinne des Regimes zu gestalten. Die nun produzierten Kriminalromane präsentierten ganz überwiegend unter Verzicht auf offensichtliche NS-Ideologeme eine moderne Industriegesellschaft mit rechtsstaatlichen Normen und einer äußerst effizienten und kompetenten Polizei. Sie erweisen sich dabei als Teil einer auf den ersten Blick unpolitischen Unterhaltungskultur. Erst im Zeitkontext betrachtet zeigen sie ihre systemstützende Tendenz. Die Romane hätten zumeist ohne weiteres - und viele taten dies zum Teil erfolgreich - auch nach dem Krieg in der Bundesrepublik erscheinen können, sie verstießen in der Regel nicht gegen das Verbrechens- und Rechtsstaatsverständnis der 50er Jahre.

Es gab allerdings durchaus Ansätze, einen neuen Typus von Krimi zu produzieren, der stärker einer von offizieller Seite propagierten NS-Alltagswirklichkeit entsprechen sollte. Diese Romane, die von etablierten Autoren in Zusammenarbeit mit Stellen des Propagandaministeriums und des Reichskriminalhauptamtes sowie unter Verwendung von authentischem Aktenmaterial produziert wurden, firmierten unter dem Serientitel: "Neuzeitliche Kriminalromane" und erschienen noch in den Jahren 1943 und 1944 in hoher Auflage als Taschenbuch und Romanheft. Hier wird die Arbeit der Polizei zum "Kampf gegen das Prinzip des jüdischen Vernichtungsgedankens", und der Polizist agiert mit Unterstützung einer erbbiologischen Abteilung als Arzt am Volkskörper. Zu dieser Reihe propagandistisch aufgeladener Romane gehört "Der Tod fuhr im Zug" von 1944 über eine Mordserie in der Berliner S-Bahn in den Jahren 1940/41, verfasst von Axel Alt alias Wilhelm Ihde, ein hochrangiger Mitarbeiter des Goebbel'schen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Als wohl einzigem Kriminalroman dieser Jahre wurde ihm eine literarische Wiederaufnahme zuteil. Der unter dem Pseudonym -ky bekannt gewordene Kriminalautor und Soziologieprofessor Horst Bosetzky hat auf diesen für seinen, wie er es nennt, "dokumentarischen Roman" "Wie ein Tier. Der S-Bahn Mörder" zurückgegriffen.

Nach dem Krieg wurden diese Romane in den wenigsten Fällen verboten, ihre hohe Verbreitung sorgte ohnehin dafür, dass sie weiterhin gelesen wurden. "Shiva und die Nacht der 12" von Felicitas von Reznicek beispielsweise - ein weiterer Roman dieser Reihe - erscheint 1949 im 251. bis 270. Tausend.

Für ein breites Weiterwirken der so konstruierten Bilder von Kriminalität und NS-Gesellschaft war also gesorgt. Die Krimiproduktion, die bereits kurze Zeit nach Kriegsende wieder anlief, unter anderem mit den bereits am Markt etablierten Autoren, konnte, wenn man den Handlungsort in deutschen Landen ansiedeln wollte, im Großen und Ganzen bruchlos das positive Bild einer rechtschaffenen Polizei fortschreiben, die freundlich und bestimmt ihre Pflicht tut, hart und unerbittlich alle Straftäter verfolgt. Die verbrecherischen Aspekte ihres Tuns in der jüngsten Vergangenheit blieben weitgehend unerwähnt.

Der westdeutsche Krimi der 50er Jahre scheint sich dabei - bei allen Vorbehalten anlässlich des Forschungs- und Kenntnisstands - kaum oder höchstens am Rande mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen. Um so mehr ragt ein Roman heraus, der als Illustrierten- bzw. Zeitungsroman und Buch Ende der 50er Jahre Furore machte und mit Mario Adorf in der Hauptrolle verfilmt wurde: "Nachts, wenn der Teufel kam. Roman nach Tatsachen" erschien 1959, verfasst von Will Berthold.

Er beschreibt die Taten und die 1943 schließlich erfolgreiche Fahndung nach dem vermeintlichen Serienmörder Bruno Lüdke. Ihm wurden über 50 bis zu dem Zeitpunkt unaufgeklärte Vergewaltigungen und Morde zur Last gelegt, die der geistig eher simpel gestrickte Mann auch gestand. Seine Unschuld gilt heute als erwiesen. Die Handlung des Roman setzt 1930 ein, spielt aber, im Verlauf der Chronologie der Taten folgend, fast ausschließlich im Nationalsozialismus. Die Hauptkritik, die der Roman an den Zeitungsständen formuliert, ist die Unterlassung einer reichsweiten Fahndung nach dem Täter in der Presse. Hiervon hatte das NS-Regime aufgrund propagandistischer Vorbehalte abgesehen. Die nationalsozialistische Kriminalpolizei arbeitet jenseits dieses strukturellen Defizits auf hohem Niveau und findet letztendlich den Täter. Der Roman verschweigt nicht die NS-Praxis, Menschen, die vom Regime als lebensunwert eingestuft werden, in entsprechenden Anstalten umzubringen. Auch erwähnt er an zwei Stellen die Deportation und Ermordung von Juden, doch steht diesen Passagen die Beschreibung einer Gesellschaft gegenüber, die zwar ab 1939 vom Krieg geprägt ist, aber von den rassistischen und politischen Verfolgungen nicht weiter berührt zu sein scheint. Die Menschen leben, wenn sie nicht gerade von Lüdke ermordet oder unschuldig seiner Taten verdächtigt und verhaftet werden, in einem offenbar ganz normalen Alltag, der sich kaum vom zeitgenössischen der 50er Jahre unterscheidet. Am Ende wird die von der NS-Führung veranlasste Ermordung Bruno Lüdkes geschildert und ihre Ungesetzlichkeit betont. Das Buch schließt mit dem Hinweis, dass das Regime für die Nachkriegszeit eine Lex Lüdke plante, "um alle Schwachsinnigen 'legal' liquidieren zu können." Eine Konsequenz, die der Roman, nachdem er auf 277 Seiten über den "Teufel in Menschengestalt" und das "Tier" und seine brutalen Taten berichtet hat, freilich indirekt stützt.

Eine frühere und gänzlich andere Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Kriminalroman bietet Friedrich Dürrenmatt in seinem ab September 1951 im "Schweizer Beobachter" und 1953 in Buchform erschienenen Roman "Der Verdacht". Sein Held, Kommissär Bärlach, selbst todkrank, rafft sich noch einmal auf, um einen in der Schweiz untergetauchten KZ-Arzt, der seine menschlichen Vivisektionen als perfekte Verbrechen inszenierte, zu überführen. Dürrenmatt konstruiert dies als klassische How-does-he-get-out-Story. Im Showdown auf dem Operationstisch unterliegt der rational ermittelnde Kommissar dem nihilistischen NS-Arzt im philosophisch-ethischen Dialog. Eine mythische Märchengestalt, der riesenhafte Jude Gulliver, der die Experimente des Arztes sowie die deutschen Konzentrationslager überlebte, ist als deus ex machina notwendig, um die Aufklärung nicht mit dem Tod Bärlachs, sondern mit dem des KZ-Arztes enden zu lassen.

Dürrenmatts Roman weist bereits auf eine europäische Dimension des Sujets. In den Niederlanden etwa thematisiert Willem Frederik Hermans in seinem 1958 erschienenen und erst 2001 ins Deutsche übersetzten Roman "Die Dunkelkammer des Damokles" die Mittäterschaft in der Kollaboration als kriminalistische Aufklärung - eine Erzählstrategie, die Harry Mulisch mit "Das Attentat" von 1982 (deutsch 1986) und Maarten 't Hart in "Das Wüten der ganzen Welt" (1993/deutsch 1997) wieder aufnehmen.

Während der Nationalsozialismus in Westdeutschland im Kriminalroman keine zentrale Rolle spielte, zeigte sich im erst langsam entstehenden Kriminalroman der DDR eine etwas andere Entwicklung. Der Faschismus ist ein zentraler Topos des frühen DDR-Krimis. In diesen Romanen, die offensiv propagandistisch die Differenzen zwischen der jungen DDR - als Hort des aufzubauenden Sozialismus - und der BRD beziehungsweise Westberlins herausarbeiten, hat das Verbrechen stets im Kapitalismus und seinen Machenschaften die Ursache: Entsprechend der herrschenden, realsozialistischen Faschismustheorien war der Nationalsozialismus ja ohnehin nur Instrument des imperialistischen Finanzkapitals. Die faschistische Vergangenheit ist so den westdeutschen Akteuren und Agenten sowie ihrem Land insgesamt gleichsam naturgesetzlich eingeschrieben. In diesen Romanen von Günther Krupkat, Hans-Günther Krack, Wolfgang Held, Fred Unger u. a. trifft man daher nicht nur auf gewöhnliche Verbrecher, sondern auch auf alte Faschisten und SS-Angehörige, die in der Vergangenheit diverse Verbrechen begangen hatten. Wenn sie sich wirklich einmal noch in der DDR verborgen halten sollten, werden sie hier selbstverständlich von der Polizei gestellt und verhaftetet, während sie in der Bundesrepublik ungestört leben können. Hier rekrutiert man Justiz und Polizei vorzugsweise aus ehemaligen NS-Parteigenossen und Angehörigen der SS. Diese leisten dann etwa in Fred Ungers "Das verbotene Zimmer" (1966) Schützenhilfe, wenn "Zeugen, die aus dem anderen Deutschland nach Deutschland kamen, um in einem Monstreprozess gegen die SS-Kamarilla eines ehemaligen Konzentrationslagers auszusagen", mundtot gemacht werden sollen. In Wolfgang Helds "Der Tod zahlt mit Dukaten" (1964) wollen ostdeutsche Beamte Morde aufklären, die kurz vor Kriegsende im Streit um einen großen, zusammengeraubten Goldschatz begangen wurden. Während Hauptmann Richter und sein Unterleutnant Taten der Vergangenheit ermitteln, versucht eine äußerst umtriebige Verbindung alter SS-Leute mit allen Mitteln an den Schatz zu gelangen. In den 70er Jahren fand im DDR-Roman dann verstärkt die eigene Gesellschaft mit ihren Vergehen Berücksichtigung. Die NS-Vergangenheit geriet dabei etwas aus dem Blickfeld, blieb allerdings in einer Reihe von Romanen Thema.

In den Büchern westdeutscher Autoren seit den späten 60er Jahren, von der Kritik zuweilen als "neuer deutscher Kriminalroman" bezeichnet, gibt es gleichfalls Ansätze einer Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus. In Michael Molsners Roman "Harakiri einer Führungskraft" von 1969 erlebt die Hauptperson als Jugendlicher kurz vor Kriegsende die Ermordung des Freundes durch einen Feldgendarm. Das Auffinden des Mörders enthüllt eine für die Darstellung der westdeutschen Nachkriegszeit typische Geschichte vom erfolgreichen Wiederaufbau, in dem kein Platz für die NS-Vergangenheit ist. Dem Held gelingt es nicht, seine geplante Rache auszuführen, er arbeitet vielmehr mit dem Mörder zusammen und befördert dadurch den eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg.

Um Vergeltung und höhere Gerechtigkeit geht es auch in "Dein Mord in Gottes Ohr" von Hansjörg Martin, erschienen 1979. Hier trifft der Kriminalschriftsteller Philipp Gohlis in dem Bauunternehmer Kutsch einen Kriegskameraden wieder. In Rückblicken werden Ereignisse in der Ukraine während der deutschen Besatzung nachgezeichnet. Kutsch wird schließlich als Vergeltung für seine alten wie neuen Verbrechen umgebracht.

Politisch wesentlich eindeutiger und entschiedener bezieht Werner Schmitz in "Nahtlos braun" von 1984 Stellung. Emil Strothkämper, Kommunist und Bergarbeiter im Ruhrgebiet, wird vorsätzlich von einem weißen Mercedes gerammt und dann im Krankenhaus von einem Unbekannten getötet. Seine Enkelin, ihr Freund sowie ein aus dem Exil zurückgekehrter Rechtsanwalt entlarven als Täter einen Sylter Gastronomen, der als SA-Mann nach der Machtübernahme in einem "wilden KZ" politische Gegner - unter ihnen Strothkämper - quälte und zu Tode prügelte. Bemerkenswert sind die Hilfsmittel und Hilfskräfte, die den Ermittlern zu Verfügung stehen. Es hilft ihnen nicht nur ein alter, nach dem Kriege von den britischen Besatzungsbehörden eingesetzter Kriminalpolizist, sie können auch auf eine neue Generation von Stadtarchivaren zurückgreifen, die bereitwillig ihr Wissen und ihre Akten zu Aufklärung zur Verfügung stellen und sogar begonnen haben, die alten Widerstandskämpfer zu interviewen und diese Gespräche auf Tonband aufzuzeichnen. Diese Dokumente der Oral History versetzen die Detektive in die Lage, den Täter, dem bereits der Großvater auf der Spur gewesen war, schließlich dingfest zu machen.

Während sich dieser Roman als Folge alltagshistorischer Mikrogeschichtsforschung präsentiert, wurden in Großbritannien bereits schon früher gerade auch die große Geschichte mit ihren Gestalten und Ereignissen im Kriminalroman verarbeitet. Die Autoren britischer Spionagethriller beschäftigen sich seit dem frühen 20. Jahrhundert in ihren Büchern mit dem Gegner Deutschland. Seit den 60er Jahren ist dabei die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein zentrales Thema. Entsprechend der Unterscheidung des britischen Literaturwissenschaftlers John Sutherland lassen sich diese Romane in drei Kategorien unterteilen: die "secret histories of war", die Geschichten vom "nightmare that wouldn't die" sowie die "as if narratives".

Die "Secret histories" enthüllen neue, vermeintlich bisher verschwiegene Details der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, die Alptraumgeschichten beschäftigen sich mit dem Fortleben und -wirken von alten und neuen Nationalsozialisten, während es sich bei den "as if narratives" um kontrafaktische Geschichtsschreibungen handelt, die die Folgen des "Was wäre gewesen, wenn..." ausmalen.

Die Romane von so bekannten Autoren wie John le Carré - "A small town in Germany" (1968) über die nazistischen Machenschaften in der Bonner Nachkriegsrepublik -, Frederick Forsyth - u. a. "The Odessa File" über die Aktivitäten eines Netzwerkes untergetauchter Nazis - oder Len Deighton - u. a. "SS-GB: Nazi Occupied Britain 1941" von 1978 - vermischen Fiktionen, Fakten und Kontrafakten zu historischen Möglichkeiten und kommentieren so anderswo gewonnene Erkenntnisse und gezogene Schlussfolgerungen über den Nationalsozialismus in Vergangenheit und Gegenwart. Diese und weitere Romane wurden zu Weltbestsellern und relativ zeitnah ins Deutsche übersetzt. An diese literarische Traditionslinie schließt Robert Harris mit seinem Roman "Fatherland" von 1992 (deutsch 1992) an. Der SS-Kriminalpolizist Xaver March/März lebt 1964 in einem NS-Deutschland, das den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Bei den Ermittlungen zur Aufklärung von Morden an hochrangigen NS-Funktionären stößt er auf Dokumente, die die Ermordung der Juden belegen. Diese Tatsache konnten in dieser Welt die siegreichen Nazis erfolgreich geheim halten. Mit Hilfe einer amerikanischen Journalistin gelingt es ihm, diese Erkenntnisse ins Ausland zu bringen und damit der restlichen Welt bekannt zu machen.

Während bei Harris der Nazi-Detektiv in einem kontrafaktischen Deutschland ermittelt, dessen Neuordnung des europäischen Kontinents durchaus beabsichtigte Ähnlichkeiten mit der Europäischen Union aufweist, richtet der Brite Philip Kerr in seiner zwischen 1989 und 1991 erschienenen Roman-Trilogie "Berlin Noir" einem veritablen Hard-Boiled-Detektiv ein Büro am Alexanderplatz ein und schickt ihn mit dem rechten Maß an verbaler und körperlicher Schlagfertigkeit im 'Dritten Reich' auf Tätersuche. Aus der Perspektive seines Detektivs Bernhard Gunther erleben die Leser einen NS-Alltag zwischen Olympiade und "Reichskristallnacht". Bei seinen Ermittlungen gerät Gunther gemäß der Genre-Tradition in ein Netz von Intrigen und einen Sumpf übler Machenschaften, nur dass es sich bei den Cliquen der Bösen nicht in erster Linie um den Mob und korrupte Polizisten - auch die kommen vor -, sondern um führende Nazis handelt, die in den polykratischen Strukturen des 'Dritten Reiches' um Macht und Einfluss ringen. Es bliebe zu diskutieren, inwieweit der individualistische, integere Held in der totalitären NS-Diktatur ein anachronistisches Wunschbild darstellt oder hier etwa Erkenntnisse und Ergebnisse der seit den 80er Jahren betriebenen alltagsgeschichtlichen Resistenzforschung rekonstruiert respektive in Szene gesetzt werden.

Kerr steht mit diesem Konzept allerdings nicht allein. Der Kanadier J. Robert Janes etwa lässt seit 1992 in mittlerweile über 10 Romanen den Sûreté-Inspektor St.-Cyr zusammen mit dem Gestapo-Beamten Hermann Kohler im besetzten Frankreich ermitteln.

In dem bereits erwähnten Roman "Wie ein Tier" (1995) beschreibt -ky alias Horst Bosetzky die Taten sowie die Fahndung und Ergreifung des "S-Bahn-Mörders Paul Ogorzow. Dabei unternimmt er, gemäß dem im Untertitel behaupteten Anspruch, hier einen "dokumentarischen Roman" vorzulegen, eine Rekonstruktion nazistischen Alltags. "Um absolut authentisch zu sein und die Sprache wie den Geist der deutschen Kriminalpolizei der Jahre 1940/41 wiederzugeben", entnimmt er nahezu wörtlich Passagen aus "Der Tod fuhr im Zug" von Alt/Ihde und verarbeitet weitere zeitgenössische Quellen wie Polizei- und Gerichtsakten. Die Recherchen vergleicht er dabei mit denen für eine wissenschaftliche Arbeit und unterstreicht dies mit einer Literaturliste und dem Nachwort, das er wie zur Gewähr für die Seriosität mit "-ky, Prof. Dr. Horst Bosetzky" unterschreibt. Sein Versuch, die Motive Ogorzows mit einer im Roman erzählten, weitestgehend fiktiven, vor allem sexualpsychologischen Biografie zu ergründen und dieses Erklärungsmuster für die Täter der NS-Verbrechen nahezulegen, erscheint dabei zumindest als problematisch.

Auch die beiden Kulturhistoriker Richard Birkefeld und Göran Hachmeister siedeln die Handlung ihres Romans "Wer übrig bleibt, hat Recht" (2002) im Berlin des Zweiten Weltkriegs an und entwickeln die Geschichte der Verbrechen bzw. ihre Aufklärung parallel zur Spannungskurve des Kriegsverlaufs, den die Leser allein schon durch die Nennung der Jahreszahlen ständig im Bewusstsein haben. Hier folgen sie Pavel Kohout, der 1995 (deutsch 1995) in "Sternstunde der Mörder" in den letzten Monaten der deutschen Besatzung in Prag, von Februar bis Mai 1945, tschechische und deutsche Ermittler gemeinsam einen Mörder jagen lässt. Bei Hachmeister und Birkefeld rächt sich der 1944 aus einem Konzentrationslager entflohene Ruprecht Haas an seinen vermeintlichen Denunzianten. Der SS-Offizier und ehemalige Kripobeamte Kalterer, von der Ostfront zur Rekonvaleszenz zurück ins Reich geschickt, wird mit der Aufklärung des Mordes an einem hochrangigen Parteigenossen in Berlin beauftragt, der Haas' Rachezug zum Opfer fiel. Kalterer sieht seine Chance. An mehr als einem Kriegsverbrechen beteiligt, hofft er, sich mit diesem Auftrag in die Nachkriegszeit hinüberzuretten. Während die Rote Armee immer näher rückt und Berlin langsam in Trümmern versinkt, enthüllen sich am Fall des Rubert Haas die komplexen Zusammenhänge von Gewinnstreben, Nazi- und Mitläufertum, in denen das Unrecht zwar offensichtlich, die Schuldfragen aber nicht in jedem Fall eindeutig zu klären sind. Die Aufklärung des einen Verbrechens am Ende verweist nur auf die versäumte weiterer.

Der 1930 geborene Pierre Frei wuchs in dem Stadtviertel auf, das neben der U-Bahn-Station liegt, die seinem Roman von 2003 den Titel gibt: "Onkel Toms Hütte, Berlin". Hier werden im Spätsommer 1945 mehrere Frauen brutal ermordet. Der deutsche Inspektor Dietrich wird mit dem Fall betraut und stellt mit Hilfe der amerikanischen Besatzer schließlich den Serientäter. Die Biografien der ermordeten Frauen nimmt Frei dabei zum Anlass, um in Rückblenden ihre Lebenswege zu schildern. Er scheut dabei vor kaum einem Extrem zurück. Klischeehafte Lichtgestalten wie die edle Aristokratin im diplomatischen Dienst, die zur Rettung ihres Bruders aus Barcelona eingeflogen kommt, die Krankenschwester, die ihr am Down-Syndrom leidendes Kind aus der Anstalt und vor der Vergasung rettet oder die Hure mit dem großen Herzen, die in Frankreich zur Resistance-Heldin wird, verzeichnen die Schilderungen von NS-Verbrechen, die Frei nicht ausspart, zu ebenso klischeehaften Gruselereignissen.

Dabei liegt es gar nicht an den populärkulturellen Ingredienzen. Joseph Kanon etwa verzichtet in seinem Roman "A Good German" von 2001 (deutsch: In den Ruinen von Berlin, 2002) weder auf Liebe noch auf sex and crime und nicht einmal auf das Klischee vom tumben russischen Soldaten. Und trotzdem vermengt er all die Zutaten zu einem spannenden pageturner, der die Frage nach Schuld und Verantwortung stellt und, auch wenn er sie in Extremen zuspitzt, differenzierte Ansätze zu ihrer Beantwortung liefert. Im Sommer 1945 konferieren im Schloss Cecilienhof die Siegermächte über die Zukunft Deutschlands. Im Park am Ufer der Havel entdeckt der amerikanische Reporter Jake Geismar die Leiche eines amerikanischen Offiziers. Er, der bereits bis 1941 als Korrespondent in Berlin gelebt hatte, macht sich auf die Suche nach den Hintergründen. In der Trümmerlandschaft Berlins, über der ein ständiger Geruch von Verwesung hängt, findet er nicht nur seine Geliebte wieder, sondern mit der Hilfe des Ex-Polizisten Gunther Behn auch die Erklärung für den Mord. Während die Alliierten ihre gemeinsame Parade vor dem Brandenburger Tor vorbereiteten, ringen sie hinter den Kulissen um das militärische Know-how der besiegten Deutschen und fragen dabei nicht nach Verantwortlichkeit und Schuld. Geismar muss erfahren: Alle können für das, was sie getan haben, gute Gründe nennen. Der begnadete Mathematiker, der für den Waffenbau Flugbahnen und den optimalen Kalorienbedarf für die perfekte Ausbeutung von KZ-Häftlingen errechnete oder die Jüdin, die, um das Leben ihrer Nächsten zu retten, andere Juden an die Gestapo auslieferte. In diesem Roman werden "Persilscheine" gegen Geld und nach Opportunität vergeben, und am Ende stellt Geismar die Gerechtigkeit nur insofern wieder her, als fürs Happy End auch zwei, die es verdienen, in die bessere Welt nach Übersee fliegen dürfen. Im Flugzeug sitzt aber auch der belastete Wissenschaftler, der aber nicht angeklagt, sondern den Amerikanern beim Raketenbau helfen wird. Ein guter Deutscher, wie der den Transfer befördernde Kongress-Abgeordnete Breimer meint; der eigentliche Gute, "The Good German", der dem Roman im amerikanischen Original den Titel gab, ist zu diesem Zeitpunkt längst tot und begraben.

Das letzte Beispiel soll belegen, dass auch deutsche Autoren am Anfang des 21. Jahrhunderts durchaus zu ihren angelsächsischen Kollegen aufgeschlossen haben und gleichermaßen eindringlich wie gekonnt, die NS-Vergangenheit und ihre Aufarbeitung mit einer Krimihandlung zu verbinden verstehen. Christian von Ditfurth spinnt mit seinem Roman "21. Juli" die Idee aus, was denn hätte passieren können, wenn die Attentäter, immerhin zu Helden der Bundesrepublik erhoben, mit ihre Aktion Erfolg gehabt hätten. Das Machtkalkül der authentischen Figuren der Romanhandlung schließt dabei an ihre überlieferten Positionen und Überzeugungen an, die zum Teil sehr weit von demokratischen Vorstellungen entfernt gewesen sind. Dem nun von einem nationalen Block unter Beteiligung der SS regierten Deutschland gelingt es in letzter Minute, am 8. Mai 1945, mit einem Atombombenabwurf über Minsk, den Krieg zu einem bedingt erfolgreichen Ende zu bringen. Die USA und die Sowjetunion schließen mit einem Deutschen Reich in den Grenzen von 1940 Frieden. 1953 wird der ehemalige Doppelagent Knut Werdin nach Berlin geschickt, um Himmler zu töten, der mit einer Neuauflage des Hitler-Stalin-Paktes an alte Welteroberungspläne anschließen möchte. Mit einem furiosen, so unwahrscheinlich wie aus der Romanhandlung gleichwohl motivierten Showdown, schließt Ditfurth zum Ende mit einer Wendung hin zu einem demokratischeren Deutschland wieder an den Geschichtsverlauf an.

In seinem Roman "Mann ohne Makel" von 2002 macht von Ditfurth den Historiker selbst zum Detektiv. Sein Held Josef Maria Stachelmann, Anfang 40 und rheumakrank, verzweifelt an seiner Habilitation über die nationalsozialistischen Konzentrationslager und den kleinen Widrigkeiten des Uni-Alltags. Sein ehemaliger Kommilitone, der mittlerweile Kommissar bei der Hamburger Kriminalpolizei geworden ist, sucht nach dem Menschen, der die Frau und zwei Kinder eines angesehenen Hamburger Maklers ermordete. Es ist Stachelmann, der in den Archiven auf die entscheidende Spur stößt. Eine Gruppe von SS-Leuten und Parteifunktionären hat Ende der 30er Jahre den Immobilienbesitz von Hamburger Juden zu Spottpreisen an sich gebracht und diesen Raub über das 'Dritte Reich' hinaus bewahren können. Während ein letzter Überlebender Rache zu nehmen sucht, gehen die Profiteure über Leichen, um ihre Beute zu verteidigen.

Die NS-Verbrechen werden in eine Sphäre des Alltäglichen zurückgeholt, Schuld und Verantwortung wird in dieser Geschichtsrekonstruktion im Kriminalroman konkret und anschaulich gemacht. Nicht Monster, sondern gewöhnliche Menschen, Männer wie Frauen mit der richtigen Mischung aus Gier, Egoismus und Antisemitismus nutzen die Gunst der Stunde. Sie befördern die Verbrechen, nicht so sehr aus ideologischen Überzeugungen, sondern um sich einen ganz handfesten materiellen Vorteil zu verschaffen; von diesem profitieren nicht zuletzt auch Nachgeborene bis heute.

Die Krimis, und dies haben die angeführten Beispiele hoffentlich deutlich machen können, zeigen in ihrer Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus den Stand gesellschaftlicher Diskussionen und Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit - vom Mythos der 'sauberen Kriminalpolizei' bis hin zur Thematisierung der 'Arisierung' jüdischen Vermögens, von der viele der 'Volksgenossen' sowohl direkt wie vermittelt über die Leistungen des Regimes profitierten. Kriminalromane popularisieren die Erkenntnisse historischer Forschung und scheinen zum Teil besonders gut geeignet zu sein, um komplexe historische Gemengelagen an alltäglichen Beispielen anschaulich zu machen oder auch im Spiel des "Was wäre gewesen wenn..." historische Alternativen auf ihre Konsequenzen hin abzuklopfen.

Es bleibt allerdings zu fragen, ob sie dabei nicht unstatthaften Simplifizierungen Vorschub leisten, eher klischeehafte Vorstellungen festigen als kritische Reflexion befördern und der Vergangenheit eine Teleologie unterstellen, die eher der eigenen Ideologie als einem tieferen historischen Verständnis verpflichtet ist.

Dies sind freilich alles Gefahren, denen andere Beschäftigungen mit der Vergangenheit, auch die wissenschaftliche, gleichermaßen ausgesetzt sind.

Achim Saupe gab mir Tips und Literaturhinweise - auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank dafür. Seine Arbeit über die Analogien und Interdependenzen von Historiographie und Kriminalliteratur erscheint 2006.