Quietscheenten treiben vorüber

Intelligenz und Bildung sind nicht alles: Heinrich Steinfests neuer Kriminalroman

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den Höhepunkt erreicht dieses Buch ungefähr nach zwei Dritteln. In diesem Moment trifft der Held während seiner Schiffspassage von Nordamerika nach Europa auf einige tausend treibende Badeenten, die elf Jahre zuvor einem japanischen Schiffsunglück entronnen sind, einige Jahre im Packeis festsaßen und nun gemeinsam Richtung amerikanische Ostküste treiben. Die Sonne hat sie fast weiß gebleicht, ansonsten aber sind sie funktions-, das heißt schwimmtüchtig und, o Wunder, sogar weitgehend zusammengeblieben. Das war's dann auch.

Normalerweise taugen Kriminalromane nichts, in denen auf den ersten hundert Seiten kein Kapitalverbrechen zu vermerken ist. Das ist auch in diesem Fall so, leider, muss man sagen. Denn Steinfest gibt sich alle intellektuelle Mühe. Er bringt die allerbesten Zutaten zusammen, die für das Genre weltweit zu haben sind, den lakonischen Anti-Helden hier, den genialen, aber verrückten Wissenschaftler und die Erfindung, die die Welt an den Rand der Katastrophe bringen wird, dort. Dazu Sex und Alkohol, diverse Millionäre und Schlagerdiven, Schauplätze von München bis Grönland, die übliche Hightech-Ausstattung eingeschlossen, in diesem Fall eine hoch moderne Bohrinsel und eine Rettungskapsel, deren Rechner leider nicht minder durchgeknallt ist als der Bösewicht des Buches.

Der Held, Leo Reisiger, Marketingleiter für Plattenspieler, versehen mit Lotto- und Mondleidenschaft, wird in aller Ruhe und Betulichkeit vorgestellt, mit all seinen Schnurren und Skurrilitäten, um dann auf die Reise ins Verbrechen geschickt zu werden, an dem er allerdings keinen Anteil hat. Die Leiche, die Steinfest uns zu Beginn des Romans vorsetzt, zählt nicht, wird sie doch in Notwehr in den einschlägigen Zustand befördert. Dass sich der Vorfall später als Teil eines umfangreichen, natürlich illegalen Experiments entpuppt, hätte mehr als eine gute Idee sein können (von Originalität reden wir ja nicht). Auch die vielen Toten, die Steinfest im letzten Teil nachreicht, können nicht wirklich wettmachen, was in Anlage und Durchführung fehlt. Nämlich der Wille, einen Kriminalroman zu schreiben.

Die Idee, der Steinfest folgt, ist zweifelsohne intelligent: Die Elemente stimmen, die Ironie der Reflexion stimmt, sogar der Handlungsentwurf ist leidlich passend, auch wenn's arg klappert. Aber die Montage all dessen, was für eine rasante Story notwendig ist, ist zu offensichtlich darauf ausgerichtet, das Genre nicht ernst nehmen zu wollen, als dass das Ganze gelingen könnte. Das jeweilige crimen wird zumeist von den Figuren rekapituliert und nicht erzählerisch vorgeführt. Wie soll man da den schablonenhaften Bösewicht ernsthaft für einen ausgebufften Kriminellen halten?

Die einzigen Szenen, in denen es so etwas wie erzählte Handlung mit Drive gibt, sind eine abstruse Sexgeschichte im Zug, die Rettung der Hauptfiguren aus einer brennenden Sternwarte und die Flucht von der Bohrinsel. Von dem Menschen verachtenden Experiment, das hinter alle dem steht, lässt Steinfest eine seiner Figuren erzählen. Das Ende der Geschichte und die Auflösung werden in einen Brief eingeschrieben, der den Schluss des Romans bildet. Also gerade dann, wenn's darauf ankäme (im konventionellen Sinn), kneift Steinfest. Aber das scheint sein Prinzip zu sein - und das sei ihm gegönnt. Dem ist wohl auch zuzuschreiben, dass Steinfest mit seinem Personal nicht eben pfleglich, um nicht zu sagen lieblos umgeht. Figuren werden umständlich eingeführt und wieder fallen gelassen. Die Dialoge sind leblos und gekünstelt, die Ausstattung wie aus dem Leihhaus zusammengetragen. Sogar die einschneidenderen Schicksalsschläge zeichnen sich durch hohe Beiläufigkeit aus: Die Frau und die Geliebte des genialen Bösewichts kommen beim Sprung von der Sternwarte zu Tode, der Nominalheld Reisiger landet bei derselben Gelegenheit im Rollstuhl, am Ende sind alle tot, und das ganz nebenbei. Dass das große verderbliche Experiment schließlich via Spaghetti durchgeführt wird, ist sogar ein Einfall, aber was für einer? Alle diese Verstöße gegen die kriminalliterarische Konvention, die immer so tun, als ob sie sie erfüllen wollten, aber nicht könnten, sind offensichtlich Absicht und als Schreibprinzip ehrenwert, ja avanciert, grotesk, vielleicht sogar kritisch. Aber tut man sich sowas zur Unterhaltung an?

Titelbild

Heinrich Steinfest: Der Umfang der Hölle. Kriminalroman.
Piper Verlag, München 2005.
360 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3492270921

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