Eile mit Weile

Ilma Rakusa macht sich Gedanken über die allgemeine Beschleunigung

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder, der Arbeit hat, weiß: Unter dem überall waltenden Konkurrenzdruck ist in immer kürzerer Zeit immer mehr zu leisten. Zu beneiden sind jene, die dem Zeitdiktat nicht unterworfen sind. Es gibt sie noch, die städtischen oder gemeindlichen Beamten, die mit größter Ruhe und nebenliegendem Frühstücksbrot ihren nicht so zahlreichen Antragstellern umständlich Auskunft geben und sich in Gedanken fragen, ob sie diesen Abend einen größeren Karpfen fangen werden als letztes Mal. Doch geht es den meisten Arbeitnehmern und -gebern anders, ihr einziges Rezept gegen Versagen und Arbeitslosigkeit ist der Versuch, schneller und besser zu sein als die Konkurrenz. Ob es ihnen wirklich hilft, wenn sie lesen, dass Niederlagen auch positive Erfahrungen sein können, weil sie einem zum Nachdenken Anlass geben?

Wenn man aber zunächst von den Eigentümlichkeiten des Texts absieht, so lässt sich feststellen, dass Ilma Rakusa, Schriftstellerin und Übersetzerin, ein zentrales Problem der heutigen Zeit erkannt und zum Gegenstand eines klugen Essays gemacht hat. Sie hat der "Beschleunigung" den Kampf angesagt, "Langsamer!", befiehlt sie schon im Titel. In neun Kapiteln auf knapp 100 Seiten nimmt sie sich die Zeit, ihren Leserinnen und Lesern einen Spiegel vorzuhalten. Zu einem Zerrspiegel wird das Buch, wenn es um Managertypen geht, die ihr Leben dem Zeitdiktat unterordnen: "Der Topkarrierist ist meist topgeschädigt"; und seine Sprache ist "zum Klischee, zum Stereotyp geworden".

Wer die Möglichkeit hat, sollte für Rakusas Pamphlet werben. Und damit auch für das Lesen, das für die Autorin ganz richtig ein per se "langsamer Vorgang" ist. Es werden zahlreiche Beispiele angeführt, einer der bevorzugten Autoren ist Peter Handke mit seinem "Prinzip der Unhast". Das ideale Verhältnis zum Buch deutet Rakusa zugespitzt als "Liebesakt". Von der nicht beschleunigbaren Lektüre (sofern man etwas verstehen und sich Gedanken machen will) hebt sich die "Arbeit" als nächstes Stichwort deutlich ab, denn sie ist, wie korrekt festgestellt wird, durch großen "Leistungs- und Anpassungsdruck" gekennzeichnet. Rakusa zitiert Kritiker des Globalismus, die auf die Pferdefüße von bekannten Forderungen wie Mobilität und Flexibilität hingewiesen haben. In den Sog des Zeitmanagements gerät auch die Freizeit, die durchorganisiert und dem schnellen Konsum untergeordnet werden will. Fast schon archaisch mutet Rakusas Gegenbeispiel an, der Bauer in den Alpen, der seine viele Arbeit in großer Muße verrichtet und "Zufriedenheit" ausstrahlt.

Die Autorin hat umfangreiche Recherchen betrieben, die sie in einem Literaturverzeichnis dokumentiert: Das Spektrum reicht von Vordenkern wie Paul Virilio bis zu Schriftstellern wie Peter Waterhouse. Wer sich für das Thema näher interessiert, hat also genügend Hinweise zum Weiterlesen.

Zu fragen ist allerdings, ob die eingangs und später wieder hervorgehobene Bahnfahrt als Beispiel falscher Beschleunigung taugt. Zu alt sind die Vorurteile, die mit der Einführung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert einhergingen. Dass es sich seinerzeit um ein Wahrnehmungsproblem handelte, hat Wolfgang Schivelbusch in seiner "Geschichte der Eisenbahnreise" festgestellt: "Die Vorstellung, daß die Eisenbahn Raum und Zeit vernichte, ist zu verstehen als ein solcher Wirklichkeitsverlust der Wahrnehmung, die die Verkehrstechnik, von der sie geprägt ist, plötzlich durch eine vollkommen neue ersetzt findet." Wenn Rakusa mit Goethes Kritik an der Eisenbahn beginnt, dann hat sie damit zwar einen scheinbar unangreifbaren (und aus diesem Grund gern für alles Mögliche in Anspruch genommenen) Gewährsmann, aber zugleich auch einen, der seinen Gegenstand beim besten Willen nicht kompetent beurteilen kann. Die erste Eisenbahn auf deutschem Boden fuhr 1835, und da war Goethe schon tot. Und so ganz negativ ist diese Erfindung auch nicht zu bewerten, wer mit dem Zug in Urlaub fährt, kommt ausgeruht an, und wer weit entfernt vom Meer oder den Bergen lebt, der weiß die Möglichkeit des zeitverkürzten Reisens zu schätzen. Handelt es sich nicht eher um die Frage, wie der Mensch mit seinen Erfindungen umgeht?

"Poesie", so fordert Rakusa, solle "als Katalysator" dienen, "als Medium der Wiederverzauberung einer durch Technik und Beschleunigung entzauberten Welt". Diese Botschaft ist sympathisch, welcher Literaturliebhaber nickt nicht schon beim Lesen mit dem Kopf. Es fehlt allerdings an Ideen, wie das zu erreichen sein kann in der scheinbar erdrückenden Konkurrenz zu anderen Medien, von der Fernsehserie über die Illustrierte bis hin zum Computerspiel. Darüber sollte sich einmal jemand den Kopf zerbrechen. Bis dahin kann uns Rakusas Rat helfen, immer wieder eine "Auszeit" zu nehmen und nicht einfach alles mit uns machen zu lassen: "Zwischen Herdentrieb und Anarchie liegt der 'eigene Weg', der sich in einem Klima der Überreizung zwangfreie Zonen erhalten kann und muß." Noch kürzer und treffender lässt es sich allerdings mit einem Anglizismus sagen: "Just relax."

Titelbild

Ilma Rakusa: Langsamer! Gegen Atemlosigkeit, Akzeleration und andere Zumutungen.
Literaturverlag Droschl, Graz 2005.
91 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3854206925

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