Zigaretten für den Schwiegersohn

Erich Loests Roman "Sommergewitter"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es hatte sich einiges an Unmut zusammengebraut, ehe sich am schwül-heißen Nachmittag des 17. Juni 1953 das politische "Sommergewitter" entlud, Werktätige protestierend durch Ost-Berliner Straßen zogen und durch russische Panzer gestoppt wurden. Erich Loest war damals vor Ort, als Leipziger Delegierter des DDR-Schriftstellerkongresses. Der 79-Jährige hat zwei totalitäre Systeme durchlitten, war 1981 in den Westen übergesiedelt und lebt nun seit geraumer Zeit wieder in Leipzig, in jener Stadt, die ihm anlässlich seines 70. Geburtstages die Ehrenbürgerwürde verliehen hat.

"Ich halte den 17. Juni 1953 für den letzten Aufstand des sozialdemokratischen Geistes gegen den Kommunismus", erklärte der Autor jüngst in einem Interview. Für Loest, der wie in seinen vorangegangenen Werken wieder reichlich Stoff aus der eigenen Biografie schöpft, waren die politischen Unruhen, die sich nach Stalins Tod im März 1953 anbahnten, eindeutig gegen das SED-Regime und nicht gegen die Sowjetunion gerichtet. Ein Befund, den Loest aus seiner Zeitzeugenschaft ableitet und von dem er weder politisch noch künstlerisch auch nur einen Zoll abweicht. Diese These scheint der vorrangige Schreibimpuls gewesen zu sein.

Sein neuer Roman spielt im Umfeld von Halle und Bitterfeld, sein Figureninventar aus dem Jahr 1953 setzt er aus den unterschiedlichsten Typen zusammen: linientreuen Parteihardlinern, politisch Unentschlossenen, Opportunisten, Denunzianten, Kriminellen und Oppositionellen.

Das mag ein repräsentatives Bild der damaligen DDR-Gesellschaft ergeben, aber die gesamte Handlung wirkt angestaubt, wie mit einer Patina des historischen Grünspans überzogen. Alle Figuren sind Funktionsträger, die von Loest wie auf einem Schachbrett hin- und hergeschoben werden. Da ist Alfred Mannschatz, Ur-Sozialdemokrat und eher widerwilliges SED-Mitglied, der ein schlechtes Gewissen bekommt, weil auf einer Parteitagung in vollen Zügen gegessen, getrunken und geraucht wird, während die Werktätigen mit ihren nutzlosen Lebensmittelmarken Schlange stehen: "Er überlegte, wann er sich das letzte Mal ähnlich üppig hatte vollschlagen können." Trotzdem geniert er sich nicht, einige Zigaretten einzustecken, um sie seinem Schwiegersohn Hartmut Brücken zu schenken - ein hochqualifizierter Meister in der Metallbranche, der täglich mit den Pannen der Planwirtschaft zu leben hat und trotzdem zu immer höheren Normen angetrieben wird. Dieser Brücken wird zum Wortführer der aufmüpfigen Metallarbeiter und ist einer der tugendhaften Helden dieses Romans. In dieser Hinsicht kann es lediglich der Intellektuelle Melchior Anetzperg mit ihm aufnehmen, ein leicht verzerrtes literarisches Alter Ego von Erich Loest.

Andere Figuren tragen förmlich das Stigma des exemplarischen Fallbeispiels auf der Stirn: der Stasi-Bezirksleiter Pfefferkorn, ein starrsinniger Parteigefolgsmann, der mit seinen KZ-Jahren als Karriereausweis kokettiert, der Unternehmer Schmolka, der seine Mitarbeiter effektiv einsetzen wollte und dafür wegen Verstoßes gegen Planvorgaben inhaftiert wird, der tumbe Eisenbahner Hemsberger, der sich von einem westlichen Geheimdienst anwerben ließ, und nicht zuletzt die leicht paranoide Kriminelle Erna Dorn, die sich irgendwann als ehemaliges SS-Mitglied ausgibt und dann zum Tode verurteilt wird.

Erich Loest mag in der beschriebenen Zeit dabei gewesen sein, aber er bedient in diesem Roman, der trotz seiner zeitlichen Distanz ohne jede Spur von Ironie auskommt und sich einem puren Realismus verpflichtet fühlt, in erster Linie landläufige Klischees. Biografien werden fast dokumentarisch aneinander gereiht, die Schnittpunkte bilden die historischen Ereignisse des Jahres 1953. Man kämpft sich ohne Anteilnahme für irgendeine Figur durch die Seiten - im sicheren Wissen, dass Loest eine ansprechende historische Fleiß- und Erinnerungsarbeit geleistet hat. Aber sein "Sommergewitter" ist formal in den Kinderschuhen des einst von der DDR propagierten sozialistischen Realismus stecken geblieben.

Titelbild

Erich Loest: Sommergewitter. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2005.
341 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3865211771

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