Roman eines gefolterten Landes

Hwang-Sko-yongs "Die Geschichte des Herrn Han" und "Der ferne Garten"

Von Ludger LütkehausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ludger Lütkehaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Mittelpunkt des Romans "Die Geschichte des Herrn Han" von Hwang Sko-yong steht eine Trennungsszene: Es ist Dezember, im ersten Jahr des Korea-Kriegs. Han Yongdok, Professor für Gynäkologie an der Kim-Il-Sung Universität in Pjöngjang, aber von der Partei als politisch unzuverlässig eingestuft, weil er sich weigert, die Nomenklatura bevorzugt zu behandeln, ist nur mit knapper Not der Erschießung entgangen. Flieht mit seiner Familie in Richtung Süden zum Fluss Daedong. Hans geschwächte Mutter beschließt, "nach Hause", nach Pjöngjang zurückzukehren. Hans Frau und die drei Kinder sollen mit ihr gehen, kann es doch nur eine Trennung von wenigen Tagen sein. Der ältere Sohn folgt dem Vater zunächst und durchschwimmt mit ihm zwischen treibenden Schollen den eisigen Fluss, bevor er sich wieder der Familie anschließt und der Vater sich alleine aufmacht. Die Familie wird sich nie wieder sehen.

Drüben, in Südkorea, setzt sich der Terror fort, mit brutalen Verhören, Gefängnis, Einzelhaft. Han fällt unter die Freunde der Freiheit, unter denen sich die Folterer und die korrupten Kollaborateure besonders auszeichnen. Der Generalverdacht, von kommunistischen Spionen unterwandert zu werden, ist die Legitimationsgrundlage der politischen Paranoia. Starsinnig, als Arzt konzessions- und unterschiedslos human, unfähig, zu lügen und sich zu fügen, gerät Han zwischen alle Fronten und wird deklassiert. Er vereinsamt und verarmt. Das triste Ende, seiner Geschichte vorangestellt, zeigt den isolierten alten Mann als Leichenwäscher, bevor er selber stirbt. Trostlos.

Die Trennungsszene des 1970 in Fortsetzungsform, 1972 als Buch veröffentlichten und jetzt erstmals auf Deutsch erschienenen Romans ist berühmt geworden. In der Tat ist Hwang Sko-yong hier mit realistischen Mitteln ein Symbol für Trennung und Vereisung gelungen, das für die politische und menschliche Zerrissenheit eines ganzen Landes steht. Das Gegenbild findet sich in Hwang Sko-yongs dreißig Jahre später entstandenem großen Roman "Der ferne Garten". Da wird die in Berlin lebende Geliebte des in Korea zu lebenslänglicher Haft verurteilten Oh Hyunuh zur Zeugin des Falls der Berliner Mauer. Ein Wiedervereinigungsfest, auch für das gespaltene Korea, das in der Nachkriegsgeschichte des gespaltenen Deutschland eine gewisse, freilich erheblich moderatere Entsprechung gefunden hat - so etwas wie das Prinzip Hoffnung, dass auch hier die "Endzeit der Teilung" angebrochen sei.

Aber um wie viel tiefer und hartnäckiger ist die Spaltung!

Als Oh Hyunuh, Häftling Nr. 1444, nach siebzehn Jahren zermürbender Einzelhaft 1999 "vorzeitig" entlassen wird, trifft er auf eine ihm menschlich wie politisch völlig fremd gewordene Welt. "Zuerst vergessen Sie die Worte, dann die Gefühle, zuletzt verblassen die Erinnerungen." Nach der formalen Demokratisierung des Landes haben die Spekulanten, die Kriegsgewinnler, die Folterer und Kollaborateure von ehedem Hochkonjunktur. Der Traum des Sozialismus, den Oh Hyunuh immer noch träumt, ist der Verwirklichung ferner denn je.

Nur aus den Tagebüchern der ehemaligen Geliebten, die inzwischen an Gebärmutterkrebs gestorben ist, erfährt er von einer anderen Welt, deren utopisches Symbol der gemeinsame "ferne Garten" ist. Europäische Leser mögen sich an das "cultiver son jardin" in Voltaires "Candide" erinnert fühlen. Aber hier ist kein Rückzug auf eine vermeintliche Naturidylle in der Wirrnis der Zeiten möglich. Nur die gemeinsame Tochter, der Oh jetzt, nach siebzehn Jahren, erstmals begegnet, steht für andere, tatsächlich hoffnungsvollere Perspektiven, wie weit auch immer sie tragen mögen.

Der 1943 in der Mandschurei geborene Hwang Sok-yong, Vietnamkriegs-Veteran, Beobachter des Aufstands von Kwangju 1980, ist ein engagierter und zugleich ein realistischer Autor. Er weiß, wovon er spricht. In "Die Geschichte des Herrn Han" ist die eines Familienmitgliedes eingegangen. Als er den Roman veröffentlichte, hatte er selber noch keine eigene Gefängnis- und Verhörerfahrung. Doch das sollte sich zum Unguten ändern. Als er 1993 nach Gastaufenthalten in Berlin an der Akademie der Künste und in den USA nach Südkorea zurückkehrte, wurde er wegen eines angeblich die Staatssicherheit gefährdenden Besuchs in Nordkorea auf Einladung des "Literatur- und Kunstverbandes" in Pjöngjang zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt - noch nach der Olympiade von 1988 also und mitten in einer Periode, die das schlecht informierte historische Bewusstsein schon als Tauwetterperiode misszuverstehen pflegt. Erst 1998 wurde Hwang Sok-yong dank der "sunshine"-Politik des neugewählten Kim Dae-jung vorzeitig entlassen, dann freilich sogar zum kulturellen Botschafter Südkoreas in Nordkorea ernannt. Doch der Erinnerung ist die Tortur der Einzelhaft mit achtzehn Hungerstreiks eingebrannt.

Beide Romane haben ihre größten Stärken in einem lakonischen, fast chronikalischen Realismus, der sie passagenweise zu koreanischen Varianten des "Archipel Gulag" macht, ohne dass Hwang Sok-yong sich einer einseitigen Parteilichkeit im Konflikt zwischen Norden und Süden erfreuen könnte. Im Grunde schreibt er mit beiden Romanen an einem einzigen Roman des geteilten und torturierten Korea, der an die großen Exempel des Genres: Lee Hochols "Menschen aus dem Norden, Menschen aus dem Süden" (vgl. literaturkritik.de 09/2004) und Choi in-Huns Roman "Der Platz" anschließt. Die Verdichtung historischer und gegenwärtiger politischer Prozesse zu Einzelschicksalen ist ein legitimes Darstellungsmittel, der Realismus, die Hwang Sko-yong in einem Interview mit der Pariser "Libération" vertreten hat, sogar angesichts drängender Not "eine Art Pflicht".

Intimistische Selbstbeschauung, ästhetizistische Glasperlenspiele sind für ihn an freiere, bessere Lebensverhältnisse gebunden. Einer gewissen Bedrückung ob der Tristesse dieses Realismus werden sich die Leser kaum entziehen können. Aber das ist der Preis einer koreanischen "litterature engagée".

Titelbild

Hwang Sok-yong: Der ferne Garten. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Kang Seung-hee, Oh Dong-sik und Torsten Zaiak.
dtv Verlag, München 2005.
520 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3423244607

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Titelbild

Hwang Sok-yong: Die Geschichte des Herrn Han. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Kang Seung-hee, Oh Dong-sik und Torsten Zaiak.
dtv Verlag, München 2005.
140 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3423244887

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