Das ferngesteuerte Herz

Andrej Kurkows Roman "Die letzte Liebe des Präsidenten"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seinem liebgewonnenen, herzkranken Pinguin Mischa, der uns in den Romanen "Picknick auf dem Eis" (1999) und "Pinguine frieren nicht" (2003) durch die Handlung begleitete, hat Andrej Kurkow eine Ruhepause gegönnt. Statt dessen beobachten wir in seinem neuen Buch den Lebensweg des Ukrainers Sergej Stepanowitsch, eine nicht minder skurrile Figur. Über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten beschreibt Kurkow auf alternierenden Erzählebenen dessen Aufstieg vom tagträumerischen Studenten, über den Regierungsbeamten bis hin zum Regierungschef.

Bei aller Kritik, die Kurkow, der einst das Kiewer Fremdspracheninstitut (neben Englisch und Japanisch spricht er noch 9 weitere Sprachen) besuchte, um Diplomat zu werden, an den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen seines Landes in der post-sowjetischen Epoche äußert, kommen die aus seinen Vorgängerromanen bekannten grotesken Sequenzen nicht zu kurz.

Geld, Macht, Frauen und Alkohol prägen das Leben des Protagonisten, der im tiefsten Innern ein unglücklicher Mensch ist. Renommierte ausländische Ärzte konnten das Leben seiner Zwillingskinder nicht retten, und sein eigener Zwillingsbruder Dima, der wie ein Gegenentwurf zu Stepanowitsch angelegt ist, landet als Geisteskranker in der Klinik.

Andrej Kurkow, Jahrgang 1961, hat sich in seinem von Korruption geprägten ukrainischen Horrorbild vieler realer Fakten bedient und sie (leicht verzerrt) in seinen wasserfallartigen Erzählstrom eingebettet. Wir erleben ein Giftattentat auf einen Spitzenpolitiker, der an einer Hauterkrankung leidet; die russisch-orthodoxe Kirche engagiert sich unverhohlen im Wahlkampf, und mittels des russischen Präsidenten Putin, der bei Kurkow 2015 noch immer regiert, thematisiert er die ambivalenten russisch-ukrainischen Beziehungen.

Sergej Stepanowitsch kommt - wie sein Land - nie zur Ruhe. Nach einer Herztransplantation wird der Ehefrau des Spenders zugesichert, sich immer in der Nähe des Präsidenten aufhalten zu dürfen. Dies schränkt seine persönliche Freiheit mindestens ebenso stark ein wie der ihm, von seinen Mitarbeitern auferlegte, streng durchkalkulierte Tagesablauf.

Noch mehr muss Stepanowitsch allerdings unter einem herrlich absurden Einfall seines geistigen Schöpfers Kurkow leiden. Der Autor erlaubt der politischen Opposition, den Herzschrittmacher des Präsidenten mittels einer Fernsteuerung zu manipulieren. Bei allem Ernst über die geschilderten politischen Verhältnisse in der Ukraine sind es aber die fantasievollen Einfälle des Autors, die diesen opulenten Roman tragen.

Die am Ende inszenierte prunkvolle Traumhochzeit lässt die Handlung keineswegs in ein Happy-End münden. Es ist die dramaturgisch perfekte Zuspitzung der Handlung. Vorgetäuschtes privates Glück und eiskaltes Machtkalkül reichen sich die Hand. "Die letzte Liebe des Präsidenten" liest sich wie eine unterhaltsame Mischung aus Walt Disney und Leo Tolstoi.

Titelbild

Andrej Kurkow: Die letzte Liebe des Präsidenten. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Sabine Grebinung.
Diogenes Verlag, Zürich 2005.
696 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3257861230

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