"Der Graf von Monte Christo" in Südhessen

Schatzsuche und Rachedurst im Bombachtal

Von Christina LangeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Lange

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Glauben Sie mir, es kann in meiner Heimatstadt keine Mörder geben." Mit diesem Satz beginnt der so genannte Kriminal- und Heimatroman des Oberstudienrats und Leichtathletik-Bundestrainers Hansjörg Holzamer. Sein Ich-Erzähler, dem der geneigte Leser doch bitte glauben soll, trägt den Namen Jake, ist gerade nach vierzig Jahren Abwesenheit aus Brasilien in eben besagte Heimatstadt H. zurückgekehrt und muss nun feststellen, dass hier in der von Weinbergen flankierten Kleinstadt kein Verlass mehr ist auf seinen südamerikanischen Talisman. Resümee: Er hätte nicht zurückkommen sollen.

Hergelockt hat ihn sein alter Kindheitsfreund Peter, welcher sich schon während der ersten Kapitel als äußerst merkwürdiger Zeitgenosse herausstellt. Offenbar geht es darum, ein altes Projekt in die Tat umzusetzen, nämlich, einen märchenhaften Schatz aus dem Dreißigjährigen Krieg zu heben. Oder geht es eigentlich doch nur um Rache, wie der verwirrte und obendrein an Sommergrippe erkrankte Jake von Zeit zu Zeit mutmaßt? Und um Rache wofür noch gleich genau?

Die Verwirrung des Ich-Erzählers färbt schon schnell auf den Leser ab. Der Autor muss gar nicht so oft betonen, dass Jake die ganze Sache eher teilweise durchschaut, denn dem Leser geht es nicht besser. Spätestens mit dem Auftritt des Jugendfreundes Peter ist die Konfusion komplett. Letzterer doziert ununterbrochen über diverse Dinge: von Homöopathie bis zu alten Sagen über Geister geht sein Repertoire. Das alles ist durchaus irgendwie amüsant. Auch die neugierigen Bewohner von H. zu beobachten, bereitet dem Leser zu Anfang Freude. Dann allerdings, wenn man bereits etwa hundert Seiten des Romans gelesen hat und einen immer noch nicht das vage Gefühl verlässt, dass hier doch eigentlich niemand richtig durchblickt und man nur in willkürlicher Art und Weise Anekdoten und Vorträge abgespult bekommt, erlahmt das Amüsement über den skurrilen Peter etwas. Um nicht zu sagen: Er geht dem Leser langsam fast ebenso sehr auf die Nerven wie seinem alten Freund. Der mit seinen ständigen Beteuerungen, er hätte nicht zurückkommen sollen, wahrscheinlich Recht hat, aber trotzdem ebenfalls anfängt zu langweilen.

Trotzdem erkennt man in "Der Flug der Libelle" auch Holzamers Stärken als Autor. Seine Figuren sind detailliert genug gezeichnet, um sie durch die Straßen von H. schleichen zu sehen. Auch ist die Idee, zwei nicht mehr ganz junge Männer nach vierzig Jahren auf Schatzsuche gehen zu lassen, nicht ohne Reiz. Schon der Gedanke an diese beiden "Grafen von Monte Christo" für Arme, die da voll Widerwillen, Goldgier und Rachedurst durch das mehr oder weniger idyllische Bombachtal stapfen, ist schließlich bizarr genug. Allerdings verliert sich Holzamer, bevor es endlich dazu kommt, in zu vielen Nebensächlichkeiten. Sein Erzählstil benutzt zu häufig Wiederholungen und seine Sprache ist nur teilweise ironisch genug, um das Interesse des Lesers über Seiten hinweg zu fesseln. Auch wenn seine Ausführungen über den Dreißigjährigen Krieg und Akkupunktur wichtig sein mögen, sie sind teilweise einfach zu langatmig.

Natürlich muss beachtet werden, dass dieses Unterfangen, einen Kriminal-und Heimatroman zu schreiben, welcher auch noch drei Jahrhunderte umfasst, ein ambitioniertes Projekt ist. Hier kommen dem studierten Geschichtslehrer Holzamer u. a. seine historischen Kenntnisse zugute. Auch Anspielungen literarischer Natur, wie etwa auf E. T. A. Hoffmanns Novelle "Das Fräulein von Scuderi", sind oft sehr gelungen. Leider folgt die Erläuterung eines jeden eventuell unbekannten Buchtitels oder anderer nicht unbedingt geläufiger Wörter sogleich in eckigen Klammern, unmittelbar nach dem fraglichen Wort. Das hindert den Lesefluss künstlich und verleiht dem ohnehin manchmal zähen Text unerfreuliche Ähnlichkeit mit einer wissenschaftlichen Arbeit. Es wäre besser gewesen, die Anmerkungen gesondert an den Romantext anzufügen.

Während die Krimi-Komponente der Geschichte also nicht so recht in Gang kommen will, kann man Hansjörg Holzamers Versuch, einen Heimatroman zu verfassen, sicherlich als eher gelungen bezeichnen. Dass es sich bei H. um Holzamers Heimatstadt Heppenheim handeln soll, ist dabei offensichtlich. Da der Autor hier aufgewachsen ist, verfügt er über genügend Vorkenntnisse, Lokalkolorit und Dialekt glaubhaft einzufangen. Sein Blick auf die Einwohner von H. ist oft ein wenig böse und teils unversöhnlich. Ausführungen über ehemalige Nationalsozialisten etwa, die nach dem Krieg erneut Karriere machen konnten, stimmen nachdenklich.

Werden die beiden späten Schatzsucher den sagenumwobenen Schatz nun finden? Und gibt es vielleicht doch Mörder in Jakes Heimatstadt? Denn Mordopfer gibt es bestimmt...

Wer das herausfinden will, der lese es selbst nach. Sollte ihm die Auflösung nicht gefallen, so hat er doch bestimmt etwas gelernt: über das Bombachtal, König Gustav Adolf von Schweden oder vielleicht auch über den Graf von Monte Christo.

Hansjörg Holzamer: Der Flug der Libelle. Eine abenteuerliche Reise durch drei Jahrhunderte.

Titelbild

Hansjörg Holzamer: Der Flug der Libelle. Eine abenteuerliche Reise durch drei Jahrhunderte.
Literareon - Verlag für Autoren, München 2005.
439 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3831611890

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