Schon Goethe war "embedded"

Der Krieg und die Medien - und ein umfangreicher Sammelband von Heinz-Peter Preußer

Von Anne UlrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Ulrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sammelbände, die in ihrem Titel die Begriffe "Krieg" und "Medien" tragen, haben seit dem Golfkrieg 1991 einen Boom erlebt, der nicht abflauen will. Fragen nach dem komplexen, vielfach verschränkten Verhältnis von Medien und Krieg drängten sich nach diesem "television war" (wie auch nach späteren Kriegen wieder) förmlich auf - und wurden rasch auch an andere, historisch weiter zurückliegende Kriegsereignisse gestellt. Es lag die Vermutung nahe, dass Kommunikation und Medialisierung quasi zur Natur kriegerischer Ereignisse gehören. Zahlreiche Bände beleuchteten seither in überblicksartigen Zusammenstellungen, welche Medienfragen in welchen militärischen Konflikten eine Rolle spielen könnten. Warum also noch ein Sammelband zum "Krieg in den Medien", wie ihn der Bremer Germanist Heinz-Peter Preußer nun vorgelegt hat?

Nun, die Frage stellt sich in der Tat, grenzt sich Preußers Band von den thematisch verwandten Vorgängern eigentlich nur durch ein noch breiteres Untersuchungsfeld ab. Tatsächlich drehen sich die 19 Beiträge auf über 450 Seiten um Ramses II. und Osama Bin Laden, um Hörspiele aus dem 20. und Zeitungen aus dem 16. Jahrhundert, um Regisseure und Nachrichtensprecherinnen und nicht zuletzt und vor allem um literarische Verarbeitungen von Krieg. So zeigt auch diese Publikation ihre Schwächen: Unter dem allzu allgemein gehaltenen Titel tummeln sich die unterschiedlichsten Studien zu unterschiedlichsten Medien und unterschiedlichsten Kriegen - und Preußer hat als Herausgeber ein wenig die Chance vergeben, besonders bei den konkreten Werkanalysen auf übergreifende Krieg-Medien-Reflexionen zu bestehen. Dies ist jedoch eine Kritik, die Preußer eher exemplarisch trifft - stellt sie doch ein generelles Manko der wissenschaftlichen Publikationspraxis dar.

Der dennoch lesenswerte Band gliedert sich in drei Teile, denen ein außergewöhnlicher "Vorsatz" vorangestellt ist. Denn der äußerst fundierten und einen weiten Bogen spannenden Einleitung des Herausgebers folgt ein literarischer Text der Leipziger Autorin Juli Zeh, in dem sie Eindrücke einer Reise nach Bosnien-Herzegowina schnörkellos und subjektiv präsentiert. Der erste und überzeugendste Teil "Inter- und transmediale Wandlungen" umfasst fünf Beiträge mit breitem historischem Blickfeld, die sich vor allem mit Epochengrenzen in der Kriegsmedialisierung beschäftigen. Die anschließenden sechs Aufsätze des zweiten Teils verfolgen die Entwicklung verschiedener Einzelmedien oder ziehen Medienvergleiche. Der dritte und heterogenste Teil fasst unter der Überschrift "Werkanalysen, Autoren" weitere sechs Beiträge zu fiktionalen Werken der Literatur und des Kinos zusammen - um in einer sehr theoretischen Auslegung und Anwendung des Deleuze/Guattari'schen Kriegsmaschine-Konzepts zu kulminieren.

Für Preußer gibt es "Medien der Wahrheitsaussage wie solche der Fiktionalisierung", was erklärt, dass auch der weiche, literaturwissenschaftliche Medienbegriff im Sammelband Niederschlag gefunden hat. Hätte an einigen Stellen nicht noch schärfer über das Medium und nicht über dessen Inhalt nachgedacht werden können, wie es besonders die Beiträger des ersten Teils vormachen? Manuel Köppen beispielsweise spürt den Grenzen und Möglichkeiten medialer Kriegsdarstellungen von Tolstoi bis Griffith nach: In der Literatur habe sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein fortschreitender Verzicht auf souveräne Sicht und Überschau ergeben; die Malerei habe "fotografisch inspirierte Konzeptionalisierungen von Leere" entworfen. Beides mündete mit dem Film in ein völlig neues Wahrnehmungsparadigma, das zunächst auf der Unmittelbarkeit der Abbildung beruhte, später jedoch auch die filmische Rhetorik sichtbar machte. Jürgen Wilke geht es nicht um Fiktionalisierungen, sondern um journalistische Kriegsmedialisierungen von den frühen Druckmedien bis ins 21. Jahrhundert. Seinen historischen Überblick bilanziert er wie folgt: "Die Medien im Krieg sind gegenwärtig mehr denn je nicht nur Beobachter, sondern selbst Akteure." Niels Werber geht da etwas weiter, indem er die Eigengesetzlichkeiten der Medien (und damit auch die zwingende Konstruktion von Realität und Kriegsrealität) in einem Durchgang durch systemtheoretische und postmodernistische Theorien beleuchtet. Erhard Schütz geht es dagegen um die Nutzung verschiedener Medien für apokalyptische Szenarien des Gas- oder Luftkriegs zwischen den beiden Weltkriegen. Schließlich bespricht Heinz-Peter Preußer in kritischer Auseinandersetzung mit Virilio die mediale Selbstreflexionskompetenz am Beispiel von fünf Kriegsspielfilmen. Bestimmend sind dabei immer folgende Fragen: Wozu eignen sich Medien, wenn sie 'Krieg' darstellen? Welche funktionalen Gemeinsamkeiten haben Medialisierung und Kriegführung? Welchen Einfluss haben Medienumbrüche auf militärische Auseinandersetzungen und vice versa?

Diese Fragen werden in den folgenden Beiträgen für einzelne Kriege oder für einzelne Medien zu beantworten versucht. Herauszuheben ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Heinz-B. Heller zur Fernsehberichterstattung über den Irakkrieg 2003. Chronologisch analysiert er öffentlich-rechtliche Nachrichtensendungen, beklagt das Verschmelzen von Soldatenperspektive und journalistischen Wahrnehmungsdispositiven (bei den so genannten "embedded journalists"), weist auf die paradoxe Schlagkräftigkeit, aber "konturlose Amalgamierung" der Fernsehbilder hin und kommt zu dem Schluss, dass in den strukturellen Berichterstattungsbedingungen eine "im Grunde unvermeidliche Parteilichkeit" angelegt sei. Embedded, sagt Michael Kunczik, war auch schon Goethe, und kommt zu der nüchternen Bemerkung: "Objektive und aktuelle Berichterstattung im Kriegsfall ist nicht zu erwarten, da jeder Militär und jede Regierung daran interessiert sein muss, die Nachrichten zu beeinflussen, um damit die öffentliche Meinung zu steuern." Und Klaus Kreimeier seziert in einer kleinen, aber feinen ikonografischen Analyse in Anlehnung an Ulrich Hägele die Darstellung Osama Bin Ladens in Bild und Video. Zu den weiteren Beiträgen, die hier nicht alle eingehend besprochen werden können, gehört Jochen Meißners Essay über das Live-Prinzip im Hörspiel (es sei an Orson Welles' "War of the Worlds" erinnert) oder Ole Frahms Studie zum affirmativen, aber auch ironischen Potential des Comics in der Kriegsvisualisierung. Die Werkanalysen setzen sich mit der literarischen bzw. filmischen Verarbeitung von Krieg bei Kluge, Dürrenmatt, Spielberg und Goethe auseinander.

Für all jene, die sich anhand unterschiedlicher Gegenstände zu allgemeinen Reflexionen über Medien im Krieg und Medialisierungen von Krieg anregen lassen wollen, ist dieser Band eine überaus lohnenswerte Lektüre. Für jene, die sich ohnehin mit dem Verhältnis von Krieg und Medien beschäftigen, weckt der Band im positiven Sinne das Bedürfnis nach mehr. Wäre es nun nicht an der Zeit, tiefer, 'monographischer' in die dahinter liegenden Fragestellungen einzutauchen?

Titelbild

Heinz-Peter Preußer (Hg.): Krieg in den Medien.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2005.
457 Seiten, 92,00 EUR.
ISBN-10: 3593375168

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