Lebendige Reliquie

Julia Navarros Debütroman "Die stumme Bruderschaft", gelesen von Johannes Steck

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Julia Navarro, geb. 1953, ist erfolgreiche Journalistin und Sachbuchautorin und hat in Ihrem Heimatland Spanien mit Ihrem Debütroman "La Hermandad de la Sábana Santa", auf deutsch "Die stumme Bruderschaft", auf Anhieb den Sprung auf Platz eins der Bestsellerliste geschafft.

In den Zeiten, in denen Marketing alles und Qualität nichts ist, bedeutet diese Tatsache ein nicht zu unterschätzendes Verkaufsargument. Aber der Verlag setzt in seiner Werbekampagne noch eins drauf. Dan Brown, der Godfather der seit einigen Jahren laufenden Okkult/Mystery-Thriller-Welle, wurde mit seinem Roman "Sakrileg" von Navarro von der Spitzenposition verdrängt.

Niemand ist in der Lage zu erklären, warum in einer so aufgeklärten und wissenschaftlich erforschten Zeit ausgerechnet der Trend, religiöse und okkulte Themen in Thrillern semi-sachlich zu behandeln, ungebrochen anhält. So wird von Dan Browns Roman "Sakrileg" in nicht-akademischen Kreisen als einer "neuen Theorie in der Gralsforschung" gesprochen.

In Navarros Roman stehen das "Turiner Grabtuch" und dessen wechselhafte Geschichte im Mittelpunkt. Im Verlauf der Geschichte bekommt man fast den Eindruck, bei dieser Reliquie handele es sich um ein Lebewesen. Sie entgeht "der Verbrennung", wird verfolgt, muss sich verstecken und bedarf bis zum heutigen Tage des Schutzes durch Leibwächter, da immer wieder versucht wurde und wird, sie zu vernichten.

Unser Wissen über das "Turiner Grabtuch" ist unvollständig, kaum dokumentiert und bis heute ist weder bewiesen, wie alt es ist noch welchen Ursprungs geschweige denn, ob es sich wirklich um Jesu Grabtuch handelt. Erstmalig taucht es im Jahre 1357 im Besitz eines "Geoffrey de Charny" auf und wäre kurz danach fast bei einem Brand zerstört worden.

Diese Voraussetzungen lassen einem begnadeten Erzähler reichlich Spielraum, die vorhandenen Lücken mit spannenden Einzelheiten zu füllen. Leider wird im vorliegenden Fall zu oft zugunsten langweiliger, ja überflüssiger Details der Spannungsfluss unterbrochen. Manchmal drängt sich förmlich der Eindruck auf, Frau Navarro sei sich zeitweilig nicht klar gewesen, ob Sie ein Sachbuch oder fiktionale Literatur schreiben will. Durch diese Brüche wird die Geschichte zwar nicht langweilig, aber langwierig. Man ist geneigt, einige Seiten vorzublättern, um den Spannungsbogen nicht abfallen zu lassen, erinnert sich dann aber daran, dass dies bei einem Hörbuch nicht so einfach ist.

Aber die Geschichte des Christentums und die Theorien rund um das "Turiner Grabtuch" sind nur ein Aspekt des Romans. Der Turiner Kommissar Marco Valoni versucht gemeinsam mit seiner Kollegin Sofia Galloni mehrere Attentatsversuche auf das "Turiner Grabtuch" aufzuklären. Dabei stoßen sie auf zwei weitere Geheimbünde, die sich seit Jahrhunderten darum bemühen, dass Grabtuch in ihre Gewalt zu bringen. Und dabei sind ihnen alle Mittel recht.

In Navarros Schreibstil überwiegen einfache Satzkonstruktionen und Dialoge, so dass es keine Mühe bereitet, dem Hörbuch zu folgen. Auf Grund der Langatmigkeit der Erzählform verliert man auch in Situationen, in denen der Geräuschpegel steigt, nie den roten Faden, zumal die wirklich wichtigen Details mehrfach wiederholt werden.

Gelesen wird das Hörbuch von Johannes Steck, der bereits die gesamte "Fandorin-Reihe" besprochen hat. Allerdings vermag auch seine Stimmvirtuosität nicht über die deutlichen Schwächen des Buches hinweg zu täuschen. Es handelt sich um eine autorisierte Lesefassung auf insgesamt 6 CDs. Die Ausstattung ist erfahrungsgemäß durchschnittlich. Allenfalls das Cover-Design sticht aus der Menge der Hörbuchveröffentlichungen heraus.


Titelbild

Julia Navarro: Die stumme Bruderschaft. 6 CD.
Verlag Audiobuch, Freiburg 2005.
405 Minuten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3899641353

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