Einfache Antworten auf komplexe Fragen

Ken Folletts "Eisfieber", gelesen von Franziska Pigulla

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als hätte die Realität nicht längst alle fiktionalen Horrorszenarien weit übertroffen, scheint nun, nach einer kurzen Zeit der Betroffenheit nach dem 11. September 2001, die Thematik des internationalen Terrorismus wieder salonfähig zu sein.

Auch Ken Follett greift in seinem neusten Roman dieses Motiv auf. Bei einem unangekündigten Sicherheits-Check in einem Hoch-Sicherheitslabor stellt Toni, die Leiterin des Werkschutzes fest, dass Proben eines noch nicht zur Serienreife gelangten Medikaments fehlen. Obwohl es Heiligabend und 1 Uhr nachts ist, veranlasst Sie unverzüglich die Befragung des Personals. Bis auf eine Person sind auch alle erreichbar. Sofort eilt ein Spezialteam zum Haus des Wissenschaftlers und findet diesen sterbend vor. Auf Grund der Symptome wird eine Infektion mit dem Madoba-2-Virus diagnostiziert. Als man auch noch die fehlenden Proben und ein totes Labortier findet, ist klar, wie die Infektion erfolgte.

Aber das ist nur der Prolog. Kit Oxenford, missratener Sohn des Firmeninhabers, plant gemeinsam mit 3 Komplizen einen Einbruch in das Labor für den folgenden Abend. Dabei soll das Medikament gestohlen und an einen unbekannten Auftraggeber weitergegeben werden. Erst während des Einbruchs erfährt Kit die Wahrheit: Ziel des Verbrechens ist nicht das Medikament, sondern das Virus. Empfänger ist eine militante Öko-Organisation, die die Welt um jeden Preis infizieren will.

Das Szenario ist nicht neu. Bereits im 1995 entstandenen Film "Twelve Monkeys" setzte ein Professorensohn einen von seinem Vater entwickelten Virus frei, und Horroraltmeister Stephen King malte 1978 in seinem Debüt-Roman "The Stand" gekonnt das Bild einer apokalyptischen Welt nach Ausbruch einer tödlichen Virusinfektion.

Der Unterschied besteht bei Follett darin, dass weniger das Horrorszenario im Vordergrund steht, sondern dieses nur als diffus im Hintergrund waberndes Grundgerüst dient, um sich ausführlich mit den unterschiedlichsten Personenkonstellationen zu beschäftigen. Da ist, um nur ein Beispiel für die komplexen Beziehungen zu nennen, die natürlich junge und schöne Sicherheitschefin Toni, verliebt in den seit einem Jahr verwitweten Firmeninhaber Stanley. Außerdem ist Toni die Ex-Geliebte des die Ermittlungen führenden Polizisten Frank und Objekt der Begierde des schmierigen Journalisten Osbourne. Als wäre es damit noch nicht genug, befindet sich Tonis vergreiste Mutter in einem Altenheim und wartet darauf, von Tonis egoistischer, unzuverlässiger Schwester zum Abendessen abgeholt zu werden, was natürlich nicht geschieht.

Aber bei "Eisfieber" soll es sich ja nicht m einen Familienroman á la "Forsythe-Saga" oder "Buddenbrooks", sondern um einen Öko-Thriller handeln. Und damit beginnt dann das Dilemma. Statt der erwarteten Spannung muss sich der Leser durch die seitenlange Beschreibung von Familien-Zwistigkeiten kämpfen. "Muss" ist hier bewusst gewählt, weil innerhalb dieser ganzen Diskussionen Hinweise versteckt sind, die im späteren Verlauf des Buches Bedeutung erlangen und ohne deren Kenntnis man die Lust am weiter lesen verlieren könnte.

Spannung kann auch dadurch erzeugt werden, dass man mit den Erwartungen der Leser spielt oder Gewohntes verzerrt. Auch Follett wendet diesen Kniff an mit einem für den Menschen im 20. Jahrhundert selbstverständlichen Gegenstand: dem Telefon.

Die auf dem Familienbesitz von einem Schneesturm Eingeschlossenen werden von Kit und seiner Bande überrascht. Allerdings gelingt den Verbrechern nicht sofort die Gefangennahme aller Anwesenden. Ein paar entziehen sich der Geiselnahme, verstecken sich im Haus und versuchen die Polizei telefonisch zu erreichen. Diese Versuche, von denen keiner gelingt, beginnen beim Hörbuch auf der CD 4, Track 8 und enden auf CD 6, Track 10, umfassen also fast ein Drittel des Umfangs.

Vielleicht um sich dem Vorwurf der Simplifizierung komplexer Sachverhalte zu entziehen, geben Folletts Protagonisten bereits Antworten auf Fragen, bevor diese von einem aufmerksamen, ja kritischen Publikum gestellt werden könnten. So erwidert z. B. Stanley Oxenfort auf die Frage, warum die Terroristen nicht einfach nach Afrika fahren, um sich dort das Virus zu besorgen "Weil sie nicht wissen, wie einfach das wäre". Den an dem Virus verstorbenen Wissenschaftler macht man, wenig originell, zu einem Mitglied der Tierschutzorganisation "Animals are free" - welche sich im Verlauf des Plots auch als Auftraggeber des Einbruchs herausstellt. Denjenigen Lesern, welche gegen Tierversuche sind, hält Toni entgegen: "Mein Vater starb als Mittfünfziger qualvoll an Krebs. Tierversuche können helfen, diese Krankheiten zu heilen". Und wem es merkwürdig vorkommt, dass gerade in Schottland ein Medikament im Auftrag des amerikanischen Militärs entwickelt wird, erfährt: "Das Virus wurde hier erforscht. Also ist es doch nur logisch, dass auch das Medikament hier entwickelt wird". Durch diesen Trick werden aus potentiellen Logikbugs schlüssige Sachverhalte.

Insgesamt vermag es Ken Follett nicht, die durch den furiosen Anfang geschürten Erwartungen zu erfüllen. Der Spannungsbogen fällt nach dem Prolog ab und erst am Ende des Romans bekommt die Story die von Follett gewohnte Dynamik. Die zwischenmenschlichen Probleme der Protagonisten wirken aufgesetzt und zu konstruiert, um Interesse zu wecken und die vielen geschilderten Details stellen sich am Ende nur als Staffage heraus, um Probleme logisch erklären zu können.

Franziska Pigulla, vielen bekannt durch die Lesung der "Kay-Scarpetta-Reihe", trägt mit Ihrer gewohnt dunklen, rauchigen Stimme viel zur Atmosphäre des Hörbuchs bei. Allerdings kann auch Sie nicht überspielen, dass die Story zu langatmig ist - und dies, obwohl es sich um eine gekürzte, autorisierte Lesefassung handelt.


Titelbild

Ken Follett: Eisfieber. Gelesen von Franziska Pigulla. 6 Audio-CDs. Gekürzte Fassung.
Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005.
471 Minuten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3785730462

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