Zeitlupenaufnahme von "Bloody Sam"

Mike Siegels Porträt von Sam Peckinpah

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mike Siegel musste sich das Geld für einen Anzug leihen, als er seinen Dokumentarfilm "Passion & Poetry" auf dem diesjährigen Münchner Filmfest vorstellte. Seine Ersparnisse scheinen komplett in die Produktion dieser Hommage geflossen zu sein, die Dreharbeiten in Hollywood, Mexiko und London erforderte. So viel persönlicher Einsatz muss jemandem gelten, der ähnlich leidenschaftlich an seine Aufgabe heranging. Als man diesem Jemand die zerstückelte Fassung seines andernfalls über drei Stunden dauernden Werks "Major Dundee" zeigte, war er untröstlich: "It's my fucking life!".

Man nannte ihn, der Mythenbildung um seine Person eifrig Vorschub leistend, "Bloody Sam" oder den "Picasso of Violence", und so ist es wenig überraschend, dass zeitgenössische Regisseure wie Martin Scorsese, Quentin Tarantino und Robert Rodriguez zu seinen größten Bewunderern gehören. Die Rede ist von dem 1984 gestorbenen Regisseur Sam Peckinpah.

Der Sindelfinger Autor, Regisseur und Filmhistoriker Siegel zeichnet Peckinpahs Leben und Karriere chronologisch nach. Mit Hunderten, zum Teil aus Privatbesitz stammenden Bildern illustriert er seine Ausführungen reichhaltig. Zwar räumt er mit einigen Gerüchten um den Regisseur von so kontrovers diskutierten Filmen wie "The Wild Bunch", "Getaway" oder "Straw Dogs" auf, etwa wenn es um Peckinpahs wahrlich geringen Anteil am Drehbuch von "Invasion of the Body Snatchers" seines zwischenzeitlichen Förderers Don Siegel geht. Der Hang zur Anekdote ist dem Autor trotzdem nicht zu nehmen. Gleich zu Beginn lässt er den deutschen Schauspieler Vadim Glowna zu Wort kommen, der von Peckinpahs Trink- und Drehgewohnheiten berichtet. Gegen 2 Uhr nachts leerte man beim Betrachten erster Tagesmuster gemeinsam eine zweite Flasche Whisky; die erste hatte Peckinpah bereits im Hotelzimmer geöffnet. Eine dritte Flasche - laut Glowna Slivovitz oder Vodka - folgte nach Drehbeginn um 9 Uhr morgens, den Nachmittag beendete eine vierte: "Amerikanisch professionell".

Peckinpahs Leben, geprägt von unglücklichen Beziehungen, brancheninternen Berufsverboten, überzogenen Budgets und heftigen Auseinandersetzungen mit Produzenten, lässt sich wahrscheinlich nicht ohne diese Legenden denken. Er drehte zwischen 1961 und 1983 nur 14 Kinofilme, und doch war er besessen vom Kino, von den Geschichten des Westens und der Gewalt. Siegel zeichnet anhand der einzelnen Filme und Fernsehproduktionen nach, wie er zu einem der bedeutendsten Regisseure der Filmgeschichte wurde. Seine mit Produktionsnotizen gespickten Filmbesprechungen sind dabei meist eher beschreibend als analytisch, dennoch ergibt sich ein komplexes Bild, das weit über das Klischee des ständig alkoholisierten, zur Gewaltdarstellung in Zeitlupe neigenden Regisseurs hinausgeht.

Siegel macht es sich zum Anliegen, die Poesie in Peckinpahs Werk zu entdecken, die leisen Töne, die zentralen, zuweilen sehr persönlichen Konflikte, die dieser ins Zentrum seiner Filme rücken wollte. Zugleich stellt er den akribischen Arbeiter vor, der nicht davor zurückschreckte, Szenen zigmal zu wiederholen, selbst wenn seine Set-Designer und Kostümbildner schier wahnsinnig werden wollten. Er zeigt aber auch den grausamen Manipulator, der seine Filmcrew psychisch "auseinander nahm" und etliche Mitarbeiter feuerte, um sie später ganz in seinem Sinne bzw. des Films wieder zusammenzusetzen und sie zu instrumentalisieren.

Freilich entlässt einen Siegels Buch trotz der ausführlichen Bebilderung sowie der fulminanten und aufschlussreichen Sammlung internationaler Filmplakate nicht aus der Pflicht, Peckinpahs Rat zu folgen: Gewohnt wortkarg und launisch kam er verspätet zur Pressekonferenz für "The Wild Bunch", wo er sich wüsten Beschimpfungen seitens der Kritik ausgesetzt sah. Was die Presse hier solle, wüsste er auch nicht. Der Film spreche für sich selbst. Siegel plädiert genau dafür, Peckinpahs Filme für sich sprechen zu lassen und sie genau zu betrachten. Sein liebevolles Porträt jedenfalls stellt einen kenntnisreichen Leitfaden für die Wiederentdeckung dieses Lebenswerks dar.


Titelbild

Mike Siegel: Passion & Poetry. Sam Peckinpah in Pictures. Mit einem Vorwort von Vadim Glowna.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2003.
575 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3896024728

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