Konfigurationen

Ein von Jutta Eming, Annette Jael Lehmann und Irmgard Maassen herausgegebener Tagungsband beleuchtet historische Konzepte und Perspektiven medialer Performanzen

Von Katja HachenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hachenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der aus einer im Oktober 2001 veranstalteten Tagung des Berliner Sonderforschungsbereichs "Kulturen des Performativen" hervorgegangene Sammelband beleuchtet überaus facettenreich die differenzierten und komplexen transformativen Prozesse, die sich zwischen textuellen, akustischen und visuellen Medien vollziehen. An exemplarischen Beispielen aus unterschiedlichen Epochen werden mediale Konstellationen aus der Perspektive des Performativen erörtert.

Der Begriff des Performativen, mit unterschiedlichen Bedeutungen und Theorieentwürfen belegt, verweist auf eine Präsentation in actu beziehungsweise auch auf den Inszenierungscharakter eines Geschehens. Er zeigt sich eng gekoppelt an die Kategorien der Verkörperung und der Präsenz, des Transformatorischen und des Ereignisses, der Materialität und der Wirkung. Performativität verschiebt den Fokus der Kunstbetrachtung vom Konzept des Werks auf ein Konzept des Wahrnehmens, das immer als prozessual zu denken ist. Damit verlagert sich der Schwerpunkt des Denkens und Untersuchens von einer geschlossenen Kategorie auf eine offene, stark subjektiv geprägte, je neu sich vollziehende Bewegung.

Angeregt von den Performativitätsschüben, die seit den 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts in allen Künsten zu beobachten sind, hat sich der Sonderforschungsbereich "Kulturen des Performativen" in seinen diversen Projektbereichen der Erforschung des Performativitätsparadigmas verschrieben, wobei in historischer Hinsicht sowohl Performativität in den Übergängen vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit als auch in der Moderne eine Rolle spielt. Zu entwickeln versucht wird beispielsweise eine Ästhetik des Performativen anhand des Theaters. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe "Medien" beschäftigt sich mit Medienumbrüchen, Medien der Kommunikation und Intermedialität als systematischem und historischem Phänomen.

Das als exzellent zu bezeichnende wissenschaftliche 'Terroir' des vorliegenden, fächer- und epochenübergreifenden Bands ist mithin ein überaus fruchtbares und lebendiges. Eine Rezension kann dem hochkomplexen Diskussionsstand des Bands in seiner Gänze wie auch dem argumentativen und terminologischen Reichtum der einzelnen Beiträge kaum gerecht werden und lediglich einzelne Schlaglichter auf einige ausgewählte inhaltliche Aspekte werfen.

Die Aufsätze, erklären die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort, seien mit Absicht nicht in einer historisch-chronologischen Reihenfolge angeordnet, um ersichtlich werden zu lassen, dass die leitenden Fragestellungen für die Gegenstandsbereiche zwischen Mittelalter und Moderne gleichermaßen Verbindlichkeit besitzen: "Was sind die Konsequenzen der Überlagerung, Durchdringung und Hybridisierung verschiedener medialer Ebenen für performative Prozesse? Welche Wahrnehmungs- und Partizipationsformen entstehen in diesem Zusammenhang? In welche historischen Funktionszusammenhänge sind mediale Performanzen eingebunden?" Anstelle einer chronologischen Anordnung wurde eine solche nach thematischen Schwerpunkten gewählt, was zur Bildung dreier Untersuchungsbereiche führte: Der erste Bereich beschäftigt sich mit den performativen Prozessen zwischen Text und Bild, der zweite Bereich mit synästhetischen Performanzen, ein dritter Bereich schließlich mit den Schnittstellen der Begriffe und Konzepte Performativität, Intermedialität, Multimedialität.

Die Untersuchung von Text-Bild-Beziehungen gehört mittlerweile zum klassischen methodischen Repertoire der komparatistisch ausgerichteten Literaturwissenschaften. Verknüpft mit einem Begriff von Performativität lasse sich, so die Herausgeberinnen, diese Relation dynamisieren, insofern spezifische Spannungs- und Reflexionsverhältnisse sowohl zwischen Text und Bild als auch zum kulturellen Umfeld ersichtlich werden, in dem sie situiert sind. Die Beiträge dieses Bereichs beschäftigen sich mit der Visualisierung von Erzählstimme und Perspektive in den Illustrationen eines "Willehalm"-Fragments (Kathryn Starkey), mit der Intermedialität in der literarischen Blickwendung der höfischen Dichtung am Beispiel des "Armen Heinrich" (Carsten Morsch), mit dem Blick auf die Imprese in der frühmodernen Poetik (Bernhard F. Scholz) und mit "Ekphrasis as a Commentary on Modes of Representation" (Renate Brosch).

Die früheste illustrierte Handschrift des Epos "Willehalm" Wolframs von Eschenbach zeigt nach Starkey einen bewussten Versuch, zwischen dem geschriebenen Wort und der Tradition der mündlichen Überlieferung zu vermitteln. Ihre These lautet, dass die Künstler bildliche Konventionen kreativ einsetzten, um die geschriebene Dichtung in den Kontext des mündlichen Vortrags und der visuellen Repräsentation zu stellen und so dem Publikum das neue Medium der Schrift zugänglich zu machen. Die Illustrationen, denen Starkey eine Vermittlerrolle zwischen Altem und Neuem zuweist, hätten dazu gedient, eine "mündlich geschulte" Öffentlichkeit das Lesen zu lehren, wobei sich die Bilder in ihrer narrativen Struktur eng am geschriebenen Text orientieren. Statt jedoch die Handlung lediglich nachzuerzählen, so Starkey, schienen sie sich eher mit der Struktur, insbesondere mit den verschiedenen narrativen Ebenen der Dichtung zu befassen. Verschiedene Aspekte der bildlichen Darstellungen deuteten somit auf ein spezielles Interesse an Erzählmodus und Perspektive hin. Die Illustrationen spiegeln nach Starkey den Wechsel der erzählenden Stimme wider; damit würden unterschiedliche Erzählperspektiven illustratorisch visualisiert. Der Künstler habe dabei der Visualisierung der Komplexität der Erzählung große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Strategien der Bildsprache stimmten fast exakt mit den narrativen Strategien im Text überein. Mit Norbert Ott liest Starkey den "Willehalm" als "chanson de geste auf Deutsch".

Die Frage nach der Relation verschiedener Sinneserfahrungen zueinander, nach Möglichkeiten ihrer wechselseitigen medialen Durchdringung und Zusammenführung zu synästhetischen Wahrnehmungserlebnissen stellt ein historisch altes und bleibendes Faszinosum der Literatur- und Kunstgeschichte dar. Die Beiträge des Themenbereichs "Synästhetische Performanzen" zeigen, dass in unterschiedlichen Epochen mit medialen Möglichkeiten der Erzeugung solcher Konstellationen experimentiert worden ist.

Der Terminus 'Synästhesie', ein Neologismus der medizinisch-psychologischen Forschung des neunzehnten Jahrhunderts, wurde im Jahr 1866 vom Physiologen A. Vulpian verwendet als Bezeichnung für das (als pathologisches Syndrom stigmatisierte) Phänomen der sensation associées. Das heißt dafür, dass ein sinnlicher Eindruck im Bewusstsein eines wahrnehmenden Subjekts eine zweite oder mehrere andere Sinnesempfindung(en) hervorruft. Der Begriff wurde vom Psychologen Jules Millet aufgegriffen und etabliert. Er bezog sich zumeist auf den am häufigsten beobachteten, gleichsam repräsentativen Fall der Verknüpfung von Gehör- und Gesichtssinn. Durch den Literaturkritiker Victor Ségalen ging 'Synästhesie' dann als Terminus in die Literaturwissenschaft ein: Unter 'Synästhesie' wurde das Stilmittel der Verknüpfung mehrerer Sinnessphären zur Steigerung des poetischen Ausdrucks verstanden. Differenziert werden kann mithin zwischen der rhetorisch-poetischen Stilfigur, der Trope Synästhesie, und der unwillkürlich sich ereignenden, im Wahrnehmungsakt subjektiv und unvermittelt vollzogenen synästhetischen Empfindung, die sich durch die Qualität unmittelbaren Erlebens ausgezeichnet sieht. 'Synästhesie' bezeichnet solcherart divergente begriffliche Ebenen: Sie ist ein wahrnehmungs- und bewusstseinstheoretisches Phänomen, verweist auf die textuell generierte und ausgestaltete Idee der sensorischen Verschmelzung, das ästhetisch-poetologische Programm der Überschreitung von Sinnesgrenzen (das seinerseits wesentlich die Auseinandersetzung mit Fragen des Wahrnehmens und der Subjektivität impliziert). Synästhesie ist sowohl spezifische Wahrnehmungsform (synaisthesis) als auch literarisches Vertextungsverfahren [Vgl. Katja Hachenberg: Literarische Raumsynästhesien um 1900. Methodische und theoretische Aspekte einer Aisthetik der Subjektivität. Bielefeld: Aisthesis, 2005].

Die Beiträge des Themenbereichs "Synästhetische Performanzen" beleuchten unter anderem die Inszenierung und Reflexion von Sinneserfahrung in mittelalterlicher Literatur (Hildegard Elisabeth Keller), Intermedialität und Verzeitlichung in literarischen Mediendiskursen um 1800 (Nicolas Pethes), Konzepte audiovisueller Kunst in der neuen Musik (Christa Brüstle) sowie digitale Synästhesien, historische Formen der Multimedialität und Interaktivität (Sabine Fabo).

"Tongefühlsbilder" - in seinem terminologisch hoch aufgeladenen und stark theoriegesättigten, überaus anregenden Beitrag untersucht Nicolas Pethes die Thematik der intermedialen Performanz der Literatur: Der Intermedialitätsphilologie 1766-1816: Text/Bild in Lessings "Laokoon", Text/Musik: Wackenroders "Phantasien über die Kunst", Text/Bild/Musik: Intermediale Poetik des Prozesses bei E. T. A. Hoffmann.

Lessings "Laokoon", der als Initiationstext für die Reflexion der Materialität der verschiedenen Kunstformen im achtzehnten Jahrhundert gilt, wird von Pethes gelesen als eine Theorie der Dichtung, wohingegen bei Wackenroder Theorie und Dichtung in eins fielen, insofern die ästhetischen Bestimmungen in fiktiven Rahmenerzählungen entwickelt wurden, nichtsdestotrotz aber genuine theoretische Gültigkeit beanspruchten. Zu konstatieren sei damit ein 'Ortswechsel', den der Mediendiskurs hier vollziehe. Dieser 'Ortswechsel' seinerseits sei lediglich ein erster Schritt in Richtung derjenigen Verschiebung, in deren Folge der Mediendiskurs bei E. T. A. Hoffmann ganz in den Bereich der Dichtung übergehe und auch nicht mehr von deren phantastischen Ordnungen abzulösen sei.

In seinen Ausführungen zu einer intermedialen Poetik des Prozesses bei E. T. A. Hoffmann beschreibt Pethes die genuine Zeitkunst der Musik als Fluchtpunkt der diskursiven Konstruktion eines Ideals oder Mythos ästhetischer Medienkommunikation. Der medientheoretische Ansatz zur frühromantischen "Rhetorik der Zeitlichkeit" liege in der Konstellation aus einer Reflexion der eigenen, sprachlichen, Zeichenmaterialität und der daraus abgeleiteten programmatischen Intermedialität zwischen Bild, Text und Musik als Texteffekt. In dieser diskursiven Transformation liegt nach Pethes die Struktur der ästhetischen und medialen Temporalität um 1800.

"Schnittstellen: Performativität, Intermedialität, Multimedialität" - der dritte Themenbereich des Bands - fußt auf der Beobachtung und dem Postulat, dass die Vielfalt der Übergänge zwischen Medien, ihre wechselseitigen Bezugnahmen und Hybridisierungen, nicht mit einem einzigen theoretischen Paradigma erfasst werden können: "Was sich mit Blick auf verschiedene Ansätze zur Konzeptualisierung medialer Interferenzen vielmehr erkennen lässt, sind Schnittstellen und Differenzen zwischen den Theoremen, die hier für die Analyse historischer Fallbeispiele fruchtbar gemacht werden" (Vorwort). Die Beiträge setzen sich auseinander mit dem Zoo als Tableau (Annette Graczyk), intermedialen Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozessen im Theater (Doris Kolesch), den multimedialen Installationen der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer (Annette Jael Lehmann), intermedialer Figuration am Beispiel von Godards "Histoire(s) du Cinéma" (Joachim Paech), Authentizitätszuschreibungen im Popdiskurs am Beispiel von Madonna (Eckhard Schumacher) sowie "Performance on the Internet" (Philip Auslander).

Aus der Fülle der Beiträge soll an dieser Stelle der Beitrag von Doris Kolesch herausgegriffen sein. Kolesch, die sich in ihren Arbeiten schwerpunktmäßig mit einer Theorie und Ästhetik von Theater und Literatur, mit ästhetischer Wahrnehmung und Stimmlichkeit beschäftigt, will unter 'Intermedialität' verstanden wissen, dass die Darstellungsform und das Wahrnehmungsmuster eines Mediums in einem anderen Medium imitiert, reflektiert, transformiert oder auch kommentiert werden. Intermedialität setze mithin eine Übergängigkeit und eine Interaktion zwischen Medien voraus, einen Bereich sowohl der Trennung und Differenzierung als auch ihrer Verbindung und hybriden Mischung. Für die Gegenwartskünste seien derartige intermediale Prozesse in vielfältiger Weise charakteristisch. Intermediale Perspektiven stellt Kolesch ins Zentrum ihrer Ausführungen, da sie - so ihre These - besonders geeignet seien, die Bedingungen und die Verfasstheit von Wahrnehmung einsichtig zu machen; damit spielten sie zugleich auch auf die Bedingungen von Sichtbarkeit und Darstellbarkeit an. Intermedialität kommt so als ein ästhetisches und aisthetisches Verfahren in den Blick, das die Prozessualität und Performativität des Sehens im Sehen selbst zu thematisieren erlaubt.

Nach Kolesch begleiten intermediale Prozesse schon immer den Mediengebrauch. Unter den Bedingungen der Postmoderne allerdings seien zwei Aspekte hervorzuheben, die der künstlerischen Auseinandersetzung mit Intermedialität eine besondere Virulenz verliehen: "Zum einen bieten technische und technologische Errungenschaften wie digitale Bildmedien, Video und Computeranimation bislang ungekannte Möglichkeiten der Bilderzeugung und Bildgestaltung ebenso wie der Wahrnehmungslenkung. Zum anderen weckt die postmoderne Abkehr von einer modernen Innovations- und Fortschrittsideologie den Eindruck der vermeintlich enthierarchisierten Verfügbarkeit von Bildern und Diskursen, die aus gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kontexten herausgelöst sind".

An Robert Wilsons Inszenierung von Büchners "Dantons Tod" (Premiere 1998 bei den Salzburger Festspielen) diskutiert Kolesch exemplarisch den Zusammenhang von visueller Wahrnehmung, Intermedialität und Darstellbarkeit. Dabei richtet sie ihren Blick minutiös auf den Einsatz theatraler Mittel: den Aufbau von Bildern und Eindrücken im Theater; die Strukturierung von Handlungen und Wahrnehmungsprozessen durch Rhythmen und Zeitdimensionen; die Konstellationen von sprachlichen und visuellen, diskursiven und körperlich-gestischen Repräsentationsweisen.

Kolesch liest das Drama "Dantons Tod" als ein dynamisiertes Archiv geschichtlicher wie literarischer Darstellungsweisen. Was bei Büchner singulär im Medium der Sprache verbleibe, verhandele Wilson auf der multimedialen Ebene des Theaters. Er zitiere, transformiere und re-inszeniere im Medium des Theatralen zahlreiche Bildkonventionen und visuelle Muster der abendländischen Tradition, die aus anderen Medien vertraut seien. In der Inszenierung entfalte sich das Spiel mit etablierten Darstellungsweisen, mit den Archiven und Dispositiven von Repräsentation, das zugleich ein Spiel mit eingeübten Wahrnehmungsmustern sei, als spezifisch theatraler Konflikt von Bewegung und Stasis, von Schauspiel und Bild. Wilson befrage die Macht der Schauspielkunst, Zeit zu besiedeln ebenso wie die Macht des Bildes, Zeit zu punktieren und im prägnanten Augenblick zu transzendieren. Damit stehe immer auch die eigene Wahrnehmung und ihre zeitliche Dimension auf dem Spiel.

"Mediale Performanzen - Historische Konzepte und Perspektiven": Der Tagungsband erfüllt in vollem Maße, was der Titel verspricht und geht sogar noch darüber hinaus, indem er eine systematische theoretische Grundlage für das Performativitäts-Paradigma schafft und die vielfältigen und vielgestaltigen Diskurse um Begriffe wie 'Multimedialität', 'Intermedialität', 'mediale Hybridbildung' nicht nur gebündelt zusammenführt und auf den Punkt bringt, sondern in entscheidendem Maße weiterführt und um wesentliche Aspekte bereichert. An diesem hochkarätigen Band wird keiner, der sich mit dem Paradigma der 'Medialen Performanzen'- und seinen weitreichenden Implikationen - beschäftigt, vorbeikommen können.

Titelbild

Jutta Eming / Annette Jael Lehmann / Irmgard Maassen (Hg.): Mediale Performanzen. Historische Konzepte und Perspektiven Litterae 97.
Rombach Verlag, Freiburg 2003.
344 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-10: 3793093441

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