Unbequemer Mahner

Ferdinand Schlingensiepens Biografie über den christlichen Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dietrich Bonhoeffer gehört zu den wenigen Christen, die Hitler während seiner Herrschaft Widerstand geleistet haben. Der Tag, an dem er im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde, jährte sich in diesem Jahr zum fünfzigsten Mal. Im nächsten Jahr werden wir am 4. Februar seines hundertsten Geburtstags gedenken. Wer indes mehr über Bonhoeffers Leben und Wirken wissen will, greife zu Ferdinand Schlingensiepens breit angelegter Biografie, die auf zahlreichen neuen Quellen und Forschungsergebnissen basiert, allerdings auch von der ersten großen, 1967 erschienenen Bonhoeffer-Biografie aus der Feder von Eberhard Bethge zehrt. Bethge musste Bonhoeffer noch gegen Verunglimpfungen in Schutz nehmen, da zu jener Zeit der Widerstand nach wie vor argwöhnisch betrachtet wurde. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Heute genießt Bonhoeffer hohes Ansehen, nicht zuletzt, weil sein Widerstand gegen Hitler bereits vor 1933 eingesetzt hat.

Ferdinand Schlingensiepen, geboren 1929, beschreibt Bonhoeffer als eine vielseitig interessierte, den Menschen und dem Leben zugewandte Persönlichkeit und charakterisiert seinen Weg als konsequent und gerade.

Bonhoeffers Leben war bestimmt durch die beiden Weltkriege. Er wurde im Kaiserreich geboren und wuchs mit sieben Geschwistern auf. Die ihn prägenden Schul- und Studienjahre erlebte er, als Deutschland eine Republik war. Früh fiel schon seine Entscheidung, das eigene Leben in den Dienst Gottes zu stellen. Studiert hat er dann in einer Zeit politischer Kontroversen. Bei Adolf Schlatter in Tübingen lernte er, wie man mit neutestamentarischen Texten umzugehen hat, und fiel bald darauf in Berlin als viel versprechender Student dem berühmten Kirchenhistoriker Adolf von Harnack auf. Je ein Jahr in Spanien und in den USA haben, laut Schlingensiepen, seinen Blick - auch auf Deutschland - geweitet. Zurück in Berlin, sammelte er dort als Privatdozent an der Universität und als Pfarrer die ersten Berufserfahrungen. Während der Hitlerzeit entwickelte er sich, wie inzwischen hinreichend bekannt sein dürfte, zu einem überzeugenden Vertreter des "anderen Deutschland".

Der Autor zeichnet Bonhoeffers Lebensweg und die ihn begleitenden Zeitumstände minuziös nach. Er fügt Auszüge aus Gemeindevorträgen und Predigten ein - "Christentum bedeutet Entscheidung" hieß es in Bonhoeffers erster Predigt - und stellt die "Deutschen Christen" vor sowie den Kreisauer und den Freiburger Kreis, schildert Bonhoeffers Verlobung mit Maria von Wedemeyer und beleuchtet seinen Weg in den Widerstand mitsamt Verhaftung und ersten Verhören ausführlich.

Schon 1933 hatte Dietrich Bonhoeffer begonnen, eine Dokumentation aller Verbrechen der Nazis anzulegen, die er ständig erweiterte. Kein anderer Pfarrer der Bekennenden Kirche habe, hebt der Autor hervor, ein so ungewöhnliches Leben geführt wie Bonhoeffer in der Zeit zwischen seiner Eingliederung in das so genannte Amt Ausland/Abwehr im Oktober 1940 und seiner Einlieferung in die Tegeler Haftanstalt am 5. April 1943. Hier suchte Bonhoeffer seine Zuflucht zunächst in der Literatur, bei Werken von Jeremias Gotthelf, Adalbert Stifter, Karl Lebrecht Immermann, Theodor Fontane und Gottfried Keller. Später, unter dem Einfluss seines Freunds Bethge, wechselte er zu Ortega y Gasset, Carl Friedrich von Weizsäcker und Wilhelm Dilthey und entfaltete neue theologische Gedanken, nachdem er im Widerstand Menschen begegnet war, die, wie er deutlich erkannte, das "Rechte" tun, ohne bewusst Christen zu sein, und "weil er die Welt, die er in Tegel kennen lernt, mit den Augen Jesu sehen kann."

Schlingenspiepen hebt Bonhoeffers intellektuelle Neugier, sein unbestechliches Gefühl für Recht und Unrecht sowie seinen Mut zu unbequemen und gefährlichen Entscheidungen hervor. Er könne auch heute noch Vorbild sein für Menschen, die von der Kirche nichts mehr erwarten. Immerhin wollte er die Theologie der "Zugluft des modernen Denkens" aussetzen und bestand darauf, dass die kirchliche Botschaft stets konkret die Wirklichkeit der Welt treffen müsse. Auch seine Ansichten über Rassismus und Kolonialismus, die in seiner Zeit kaum geteilt wurden, sind noch immer zukunftsweisend.

Nur wenige sahen so klar wie Bonhoeffer, wohin die Nazis steuerten, und dass die Kirche eines Tages an ihrer Bereitschaft, die Juden zu schützen, gemessen würde. Bonhoeffer war einer der ersten und wenigen Theologen, die nach dem 30. Januar 1933 Hitlers Judenpolitik als Problem für die Kirche erkannt haben, doch sah er auch, dass es hierbei keineswegs nur um eine kirchliche, sondern auch um eine eminent politische Frage ging. In seinem Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage" arbeitete er Thesen zu diesem Thema aus, die er zunächst einem Kreis von Pfarrern vorgetragen hat, von denen allerdings einige aus Protest den Raum verließen, da sie, wie die meisten Deutschen damals, anderer Meinung waren.

Auch hat er gerade nach 1933 erfahren müssen, dass es in seiner Kirche sehr viel Unglauben gab und wenig "liebende Gemeinschaft". Er war ein scharfer Kritiker, selbst für seine Freunde, nicht nur des Antisemitismus, sondern auch des seiner Meinung nach zu zaghaften Widerstands der Bekennenden Kirche.

Zu einem Zeitpunkt, als schon vom Westen her die Amerikaner vorrückten und die Rote Armee große Teile des deutschen Ostens erobert hatten, wurde Dietrich Bonhoeffer in den Morgenstunden des 9. April 1945 zusammen mit Wilhelm Canaris, Hans Oster, Theodor Strünck, Karl Sack und Ludwig Gehre gehängt und verbrannt. "Ihre Asche bildet mit der von vielen tausend anderen Opfern die mit Gras bewachsene Aschenpyramide in der Mitte des ehemaligen Konzentrationslagers Flossenbürg", schreibt Schlingensiepen. Das gleiche Schicksal traf seinen Schwager Hans von Dohnanyi im KZ Sachsenhausen.

Zwei Wochen später wurden zwei weitere Mitglieder aus der Familie Bonhoeffers auf Befehl Hitlers hinterrücks erschossen: Rüdiger Schleicher und Klaus Bonhoeffer, zusammen mit Friedrich Justus Perels,

Über dem Portal der Westminster Abbey, merkt Friedrich Schlingensiepen in seinem Epilog noch an, stehen zehn Statuen von Märtyrern des 20. Jahrhunderts, in ihrer Mitte mit aufgeschlagener Bibel Dietrich Bonhoeffer.


Titelbild

Ferdinand Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer. 1906-1945. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2005.
432 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3406534252

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