Ein Dichter und viele Männer

Ulrich Weinzierls biografische Annäherung an Hugo von Hofmannsthal

Von Jörg SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hugo von Hofmannsthal hat sich zeit seines Lebens gegen biografische Annäherungsversuche verwahrt. Er wetterte gegen "läppischen Biographismus", das Interesse am Privatleben eines Dichters empfand er als "empörende Indiskretion [...] und Taktlosigkeit [...]", die von der "Unfähigkeit, das rein geistige Abenteuer zu erfassen", zeugten. Als seien diese Vorbehalte respektiert worden, traute sich bislang erstaunlicherweise noch kein Biograf an eine umfassende Darstellung von Hofmannsthals Leben. Auch Ulrich Weinzierl bezeichnet seine biografischen Studien zu Hofmannsthal wohlweislich nur als "Skizzen zu seinem Bild". Gerade das Skizzenhafte, der Verzicht auf Vollständigkeit und Endgültigkeit, ermöglicht aber die Konzentration auf einige prägnante Züge des Schriftstellers. Weinzierls Kennerschaft zeigt sich in dieser Beschränkung, in der Auswahl dreier tatsächlich zentraler Aspekte von Hofmannsthals Persönlichkeit: seiner Beziehung zum Judentum, seinem Verhältnis zum Adel sowie seiner Begabung für Freundschaft und Liebe.

Die schockierendsten Ergebnisse liefert gleich das erste Kapitel. Es sammelt Belege für die antisemitischen Vorurteile gegenüber Hofmannsthal, dessen Großvater väterlicherseits vom Judentum zum Katholizismus übergetreten war. Sogar bei der Verweigerung des Literaturnobelpreises spielten von einem Gutachter verbreitete antisemitische Klischees eine Rolle. Trotzdem oder gerade deshalb war Hofmannsthal selbst nicht frei von antisemitischen Affekten, wie sie sich etwa in einem Brief an Rudolf Pannwitz aus dem Jahr 1917 in Ausfällen gegen das "intellectuelle [...] Wiener Judenmilieu" äußern.

In engem Zusammenhang mit der eigenen Außenseiter-Position, der Herkunft aus einer ursprünglich jüdisch-bürgerlichen Familie, steht Hofmannsthals Faszination für den Adel. Seine existenzielle Furcht vor der "Masse", sein Hang zu Snobismus und Manieriertheit können als Versuch gedeutet werden, den noch sehr jungen Adel der Familie zu kompensieren. Eher digressiv als argumentativ verbindet Weinzierl diesen thematischen Komplex mit Hofmannsthals Sympathie für spätere Nationalsozialisten wie den Germanisten Josef Nadler oder den österreichischen Schriftsteller Max Mell. Auch die militärische Karriere des Dichters kommt im Kapitel über Hofmannsthals Faible fürs Aristokratische unter. Die Fragwürdigkeit dieser Karriere tritt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu Tage: Hofmannsthals erfolgreiche Bemühungen, vor einem Fronteinsatz geschützt zu werden, stehen in lächerlichem Kontrast zum Versuch, die eigene Rolle im Krieg zu heroisieren.

Das letzte, Hofmannsthals Talent zur Freundschaft ebenso wie zur kontinuierlichen Brüskierung seiner Freunde thematisierende Kapitel ist mit 130 Seiten länger als die beiden vorigen Kapitel zusammen. Bekanntes wie Hofmannsthals Beziehung zu Stefan George steht hier neben weniger Bekanntem wie der von pubertärer Homoerotik geprägten Jugendfreundschaft mit Stefan Gruß oder der späteren Verbindung mit dem Marineoffizier Edgar Karg von Bebenburg.

Spätestens in diesem Kapitel gerät Weinzierls Darstellung jedoch schief. Dass in einer Anmerkung schon mal ein falscher Verfasser genannt wird (Fußnote 578) oder der letzte Teil der Überschrift "Die kleine Schwester Gerty, das Institut der Ehe und die furchtbare Bedeutung des Sohnes für den Vater" erst zum folgenden, dem Sohn Franz gewidmeten Kapitel passt, sind Details. Auch dass der skizzierende Biograf die Entstehung der "Josephslegende" falsch datiert oder Hofmannsthals Freund Harry Graf Kessler fälschlich im "Schwarzen Ferkel"-Kreis um August Strindberg verkehren lässt, fällt nicht ins Gewicht. Störend werden solche Ungenauigkeiten aber, wenn die Grenze zwischen Fakten und Spekulation verwischt und dadurch die Darstellung gewaltsam in eine bestimmte Richtung gedrängt wird. So wird etwa der Freund Eberhard von Bodenhausen zum Selbstmörder - eine "Wahrheit", die ausgerechnet Bernd-Ulrich Hergemöllers als Kronzeuge nur bedingt geeignetem "Biographischen Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum" entnommen ist. Über den skurrilen Höhepunkt der misslungenen Griechenlandreise mit Harry Graf Kessler im Frühjahr 1908 erfahren wir ebenso Neues. Dass Hofmannsthal seinen Koffer durchsuchte, habe den Grafen nur deshalb erzürnt, weil jener darin Broschüren "höchstwahrscheinlich homoerotischen, möglicherweise auch mit Fotos angereicherten Inhalts" fand - eine Vermutung, für die jedes Indiz fehlt. Auch dass Kessler im Anschluss an die Reise krank wurde, ist schnell erklärt - er "brach" unter der Eulenburg-Affäre "zusammen", die mit dem Vorwurf der Homosexualität gegen Vertraute Wilhelms II. verbunden war.

Zu solchen Deutungen passt es, dass den etwa 100 Seiten über Hofmannsthals Männer-Freundschaften nur neun Seiten über die Freundschaft mit einer Frau, Ottonie von Degenfeld, gegenüberstehen - dabei ist gerade dieses Kapitel eines der gelungensten und eindringlichsten. Die Freundin Helene von Nostitz wird dagegen nur am Rande erwähnt. Spätestens wenn, reichlich überflüssig, Einzelheiten aus dem Intimleben Leopold von Andrians ausgebreitet werden, haben wir verstanden, dass Hofmannsthal von Homosexuellen umgeben war. - Ja und?

Zwei grundsätzliche Einwände kommen hinzu. Erstens besitzen Weinzierls "Skizzen zum Bild" Hofmannsthals in ihrer Zitierwut über weite Strecken gerade nicht die Leichtigkeit einer Skizze, sondern gleichen eher einer monströsen Materialsammlung, aus der sich ein künftiger Biograf bedienen könnte. Zweitens führt der bewusste Verzicht darauf, eine herkömmliche Biografie zu schreiben, auch zum Verlust des vielleicht wichtigsten Vorzugs guter Biografien: Durch die Darstellung einer Person zugleich auch deren Werk oder deren Zeit zu beleuchten. Bei Weinzierl erfahren wir etwa über Hofmannsthals schriftstellerische Produktion kaum mehr, als dass er "auch im Schöpferischen alles andere als ein naiver Naturbursche" war. Gerade in der überaus kritischen Haltung gegenüber seinem Gegenstand bleibt Weinzierl diesem doch immer geradezu obszessiv verhaftet, kommt er über die - zugestandenermaßen interessante - Person Hofmannsthal nicht hinaus. Was auf diese Weise zelebriert wird, ist Personenkult mit umgekehrtem Vorzeichen.


Titelbild

Ulrich Weinzierl: Hofmannsthal. Skizzen zu seinem Bild.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005.
318 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3552053409

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