Zivilgesellschaftliches Versagen

In "Fussball unterm Hakenkreuz" beschreibt Nils Havemann die Rolle des DFB während der nationalsozialistischen Herrschaft

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als 1975 der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein 75jähriges Jubiläum feierte, hatte man als Festredner den Tübinger Professor Walter Jens ins Haus geholt. Jens hielt einen Festvortrag, der damals große Aufregung unter den Funktionären des DFB erregte. Erinnerte er doch die versammelte Fußballerschaft an eine gesellschaftspolitische Verantwortung, der sie sich nicht nur als individuelle Personen, sondern eben gerade auch als Vertreter ihres Sportverbands zu stellen hätten. Eine unpolitische Neutralität des Sports könne es nicht geben. "Die Geschichte des deutschen Fußballbundes zeigt," sagte Walter Jens, "dass 'der' Sport so gut eine Fiktion ist wie 'der' Mensch. Sie zeigt auch, dass der Fußball, konkret wie er ist, seine Geschichte und seinen Gesellschaftsbezug hat: Dass er ein Politikum bildet, dass er als Politikum erkannt werden will [...]. Er gehört zu unserer Gesellschaft." Doch die Mahnung, diese "politische Geschichte" aufzuarbeiten, blieb einstweilen ungehört.

Wenn nun, dreißig Jahre später, die politische Geschichte während des Nationalsozialismus endlich fachkundig aufbereitet wird, dann ist dies erfreulicherweise auch das Ergebnis eines in den letzten Jahren gewandelten Selbstverständnisses. Heute anerkennt der DFB seine spezifische gesellschaftspolitische Verantwortung - beispielsweise indem er sich mit eigenen Ideen und Maßnahmen im Rahmen gewaltpräventiver Netzwerke beteiligt oder angesichts der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zur Integration von Ausländern Erfahrungen und Kompetenzen aus seinem Bereich mit einbringt.

In seiner Studie "Fußball unterm Hakenkreuz" zeigt nun der Historiker Nils Havemann, dass dem DFB und seinen Vertretern angesichts der Bedrohung durch die nationalsozialistische Herrschaft diese für eine Zivilgesellschaft unentbehrliche gesellschaftspolitische Verantwortung fehlte. Geradezu zwangsläufig wurde so der Verband zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Nazi-Regimes. Dachte er dabei zunächst noch, eine gewisse Eigenständigkeit wahren zu können, verlor er diese spätestens seit 1935, als der DFB im Zuge der "zweiten Gleichschaltung" im Reichsfachamt Fußball im "Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen" (NSRL) aufging. Nennenswerten Widerspruch gegen die zielstrebige Vereinnahmung des Verbands gab es nicht, und so erfüllten die Fußballfunktionäre willig die ihnen und dem Reichsfachamt zugedachten Aufgaben bis zum Untergang des "Dritten Reichs".

Dieses Versagen dort, wo zivilgesellschaftliche Verantwortung erforderlich gewesen wäre, belegt der Autor mit vielen Einzelbeispielen. Deutlich wird dabei natürlich auch, dass der DFB und seine Vertreter einem im damaligen Deutschland selbstverständlichen Muster folgten. Zwischen "Verführung und Gewalt", schreibt der Autor, war für die zumeist bürgerlichen Verbandsvertreter die "verführerische Kraft des Materiellen in Form von Macht, Prosperität und gesellschaftlicher Anerkennung [...] stärker als jeglicher Idealismus oder moralischer Wertekanon." Zuweilen ließ sich zudem das verführerische Moment günstig mit Verbandsinteressen verbinden. So kam den Fußballvertretern der aggressive Antisemitismus der Nazis gerade recht, um die bereits seit Ende der 20er Jahre die Gemüter der DFB-Funktionäre belastende Frage der Einführung des professionellen Fußballs in Deutschland 'zu lösen'. Viele unter den Befürwortern des ungeliebten Profitums waren Juden, derer man sich nun 'bequem' entledigen konnte. Die schrecklichen Konsequenzen dieser Haltung wurden stillschweigend in Kauf genommen. Zutreffend ist das Urteil des Autors: "[...] in der Zeit der Krise statt nach Auswegen Zuflucht in den verbreiteten 'Konkurrenzantisemitismus' gesucht und mit der Pflege des Mythos vom immateriellen Sport die hochmoderne Ausrichtung des Verbandes verleugnet und verraten zu haben - darin bestand das Versagen des DFB."

Angesichts solch eindeutiger Erkenntnisse befremdet ein die Studie durchziehendes angestrengtes Bemühen, klarzustellen, "dass der DFB insgesamt keiner politisch-ideologischen Richtung zuzuordnen war und keine bestimmte politische Weltanschauung in die Gesellschaft hinein zutragen versuchte [...]". Stattdessen betont der Autor immer wieder, das die DFB-Funktionäre letztlich 'nur' auf "Funktionalität und Ökonomie" fixiert waren, um ihrem Verband die bestmöglichsten Wirkungsmöglichkeiten zu verschaffen. Hinzu kam, dass "persönlicher Ehrgeiz, Statusdenken, Angst um die eigene Existenz und die zahlreichen Vorzüge, die der Einsatz für die nationalsozialistische Sportpolitik bot, eine weitaus größere Motivation waren als eine abstrakte Weltanschauung, ein nationales Bewusstsein oder ein vaterländisches Pflichtgefühl."

Und so wird über Umwege doch noch einmal die Angst vor dem Politischen akut. Denn im Bemühen, den Verband und seine Vertreter gegen das gleichermaßen zum Klischee verkommene Bild einer eindimensional konservativ-nationalistischen Prägung, mit der er sich bereitwillig in die Arme der Nazis warf, zu verteidigen, vermeidet der Autor eine tiefer gehende Diskussion über die Ursachen für das deutsche Desaster. Denn es war ja gerade die 'unideologische' Haltung weiter Teile des deutschen Bürgertums, die dazu führte, dass ein Sportfunktionär wie Carl Diem "gedanken- und prinzipienlos" dem Regime diente. Das bürgerliche Sportlager war eben nicht unpolitisch, sondern zutiefst antidemokratisch. Deshalb lieferten sie die Gesellschaft bereitwillig an die Nazis aus und wurden selbst zu gut funktionierenden Helfern des Regimes. Es geht also nicht um die Frage einer eventuell vorhandenen geschlossenen weltanschaulichen nationalsozialistischen Einstellung, die 'einfach' zu verurteilen wäre, sondern um die verdeckte Weltanschauung, um die Ideologie des Nazitums, die 'hinter' der bürgerlichen Fassade vorhanden ist und eben wirken konnte, weil die zivilgesellschaftlichen Kompetenzen verkümmert waren. Und damit schließt sich der Kreis. Denn nicht anderes ist damit gemeint, als jene von Walter Jens beschworene gesellschaftspolitische Verantwortung. Umsonst ist die nicht zu haben.


Titelbild

Nils Havemann: Fussball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
473 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3593379066

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