Neues zur Digitalisierung des Kinos

Philipp Hahns Studie zum Stand der filmischen High-Definition-Technik

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die kontinuierlich steigende Anzahl von Literatur zum "digitalen Kino" ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Digitalisierung des Kinos auf den drei Ebenen der filmischen Produktion, der Postproduktion und auch der Distribution immer weiter vorangeschritten ist. Immer mit High-Definition-Kameras produzierte Spielfilme und Projekte wie das der "European DocuZOne" führen gerade bei denjenigen, die täglich mit Filmtechnik arbeiten und auf sie angewiesen sind, zu einer meist ebenso praxisbezogenen wie leidenschaftlichen Debatte, in der ebenso oft vom Tod des klassischen Films die Rede ist, wie ein neues filmisches Zeitalter deklamiert wird.

Auch das Buch von Philipp Hahn, der zur Zeit als freier Editor und Regisseur arbeitet, kann man vor diesem Hintergrund sehen, auch hier steht mit der HD-Technik wieder jene Schlüsseltechnik im Mittelpunkt, von der man sich einen adäquaten, preiswerten und mancherorts auch ästhetisch überlegenen Nachfolger des 35mm-Films verspricht. Auch hier wendet sich ein Filmschaffender vor allem an andere Filmschaffende, und schließlich stellt sich auch bei Hahns Buch von Anbeginn die Frage, in wie weit ein Werk, dass sich mit einer sich stetig weiter entwickelnden Technik beschäftigt, dauerhaften Wert haben kann und nicht schon mit der nächsten Generation von HD-Kameras und HD-Projektoren veraltert (wie es übrigens auch einer Fülle von geisteswissenschaftlichen Werken zur HD-Technik als künftiger Fernsehtechnik in den 80er und 90er Jahren ergangen ist). Das Buch bietet eine Geschichte des High Definition Videos, einen Vergleich der Bildeigenschaften von HD und 35mm und einen Überblick auf die Produktions- und Distributionsbedingungen mit HD.

Ein Indiz für die rasant schnelle Entwicklung der Technik liegt schon darin, dass die These des Autors, die besagt, dass die HD-Technik sowohl tief greifende Auswirkungen auf die Realisierungsmöglichkeiten von Low-Budget-Filmen wie auch Einflüsse auf die Ästhetik des Kinos generell besitzt, längst über den Status einer These hinaus ein allgemein anerkanntes Faktum geworden ist. So kann man dem Autor nur gratulieren, dass er ein Buch geschrieben hat, dass bestimmt nicht nur für Fachleute aus der Filmbranche interessant ist, sondern in dem auch der Weg zur These so nachvollziehbar und spannend zu lesen ist, dass man das schon bekannte Ziel gerne in Kauf nimmt.

Gerade für nicht ausgewiesene Experten der Videotechnik lohnt sich dieses Buch allemal, weil hier schon zu Beginn die oftmals schwammig gewordene Terminologie grundlegender Begriffe wie HD, Camcorder oder Film (Rollfilm) sinnvoll definiert und teilweise komplexe technische Sachverhalte allgemein verständlich wiedergegeben werden.

Der Versuch, die von jeher hybride Geschichte von HD wiederzugeben, die stets sowohl Kamera- als auch Projektortechnik, sowohl ein Instrument für das Kino als auch angestrebter Fernsehstandard war, ist mit nur sechs Seiten denkbar kurz geraten und vermag das spannende Potenzial der Technikhistorie von HD bestenfalls anzudeuten. Das kann man dem Autor jedoch nicht zum Vorwurf machen, denn er hat schlichtweg eine andere Fokussierung vorgenommen. Der medienarchäologische Ansatz verschwindet zugunsten einer deutlichen Fokussierung auf die praktische Erörterung von HD-Bildeigenschaften, HD-Filmproduktion und HD-Distribution. Dabei gefällt vor allem die unaufgeregte Sachlichkeit, mit der Hahn die Vielzahl der größtenteils aus Fachzeitschriften stammenden Quellen ausgewertet hat, die nur zu oft voreilige Gleichsetzung von Auflösung gleich Bildqualität nicht trifft und vielmehr an dem nur schwer zu beschreibenden Kern der unterschiedlichen Ästhetik von elektronisch-digitalem Bild und Rollfilm rührt: Dem Unterschied vom errechneten Pixel zum lebendigen, fotochemischen Korn, den jeweils kleinsten Einheiten des Bildes, den Bildpunkten.

Unter anderem führt der systematische Vergleich von HD-Bildern und 35mm-Film auch zu einem spannenden Vergleich des Bildrauschens, das nicht nur frühe Videoformate kennzeichnet, sondern zu einem gewissen Grad auch den Rollfilm, was gerade von konservativen Rollfilmanhängern gern verschwiegen wird. Wenn man davon ausgeht, dass die gegenwärtige HD-Technik sich ähnlich wie neuere Generationen von Computern in ihren inneren Bestandteilen her nicht mehr wesentlich verändert und nur die Leistungsfähigkeit der einzelnen Komponenten verbessert wird, kann gerade dem Kapitel zur Bildqualität und Ästhetik durchaus bescheinigt werden, dass hier über die Tagesaktualität hinaus grundlegende Eigenschaften von HD herausgearbeit werden.

Der Teil es Buchs, der sich den Produktionsbedingungen widmet, liefert dagegen mit vielen Auflistungen aktueller Kameramodelle, deren Preisen und Leihgebühren eine Menge schnell vergänglicher Angaben. Doch auch hier erfährt man am Rande mancherlei Wissenswertes über einzelne Sachverhalte, die sich durchaus auf die Ästhetik des Films auswirken können, etwa der Möglichkeit durch die größere Aufnahmekapazität längere Sequenzen zu drehen als es mit Rollfilm möglich war.

Für die Antwort auf die Frage, ob denn nun das HD-Format den 35mm-Film im Kino adäquat ersetzen kann, muss man das Buch nicht unbedingt gelesen haben. Wenn man eine Reihe mit HD-Kameras produzierten Filmen wie etwa "Vidocq" oder den letzen Teil der "Star Wars"-Reihe gesehen hat (wenn auch noch in herkömmlichen Kinos, ohne digitale Projektion), kann man wie der Autor diese Frage mit einem schlichten "ja" beantworten. Doch die Leistung von Hahn liegt eben mehr auf dem Weg zu dieser Antwort. Wie er die komplexen Sachverhalte unter Berücksichtung der großen Zahl von Fachartikeln, ständig neuer Kamera- und Projektorprototypen, neuer mit HD produzierten Kinofilme systematisiert, zu klaren Schlüssen kommt und all das in einer Terminologie, von der sich sowohl Laien als auch Kameratechnikprofis angesprochen fühlen dürften, das verdient Bewunderung. Aus medien- und geisteswissenschaftlicher Sicht fehlt dem Buch sicherlich eine in die Tiefe gehende Analyse der HD-Historie und Ästhetik, ganz zu schweigen von der hier völlig fehlenden Bearbeitung der Folgen von HD auf die Film- und Medientheorie. Doch für Arbeiten, die derartige Fragen ansprechen, schafft Hahns Buch eine gute Basis, die dazu beitragen kann, diesen von den Geisteswissenschaften bisher weitestgehend übersehenen Bereich anzugehen.


Titelbild

Philipp Hahn: Mit High Definition ins digitale Kino. Entwicklung und Konsequenzen der Digitalisierung des Films.
Schüren Verlag, Marburg 2005.
112 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3894724013

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