Eine Partie Dath

Life During Wartime: Dietmar Daths aktueller Groß-Roman "Für immer in Honig" trifft mehrfach ins Schwarze

Von Uwe SchwagmeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Uwe Schwagmeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Begriff des JETZT ist in den letzten Jahren vielfach als zentral diskutiert worden, wenn es um tatsächlich zeitgenössische Literatur ging: noch vorgeblich schnöde gedruckt oder auch schon im ach so ätherischen Internet veröffentlicht. Variantenreich waren literarische Formen somit plötzlich präsent und - so schien es - sich ihrer eigenen Tradition meist nicht erkennbar bewusst: das Tagebuch, die Anekdote, der Aphorismus, das Epigramm usw. Schnell war der Begriff der 'Pop-Literatur' im Spiel, der eingestandenermaßen über ein Loch hinwegtäuscht, das der - die deutschsprachige Literatur betreffend - äußerst ungelenke Epochenbegriff "nach '45" schon sehr lange nicht mehr in der Lage war, zu stopfen. So geschah es, dass sich über die letzten Jahre mehr oder weniger unwirsche Jungspunde und -spackos mit Adoleszenz- oder Initiationsromanen (publicityträchtig und schwer finanziert) austoben durften.

heard of a van that is loaded with weapons, packed up and ready to go

Dietmar Dath (bereits Jahrgang 1970) nun anämische Selbstbespiegelung vorwerfen zu wollen, ist unmöglich. Er geht in seinem Roman "Für immer in Honig" einen anderen Weg. Dath geht nicht nur in die Vollen, sondern auch allen Irrungen und Wirrungen, Holzwegen, Volten und 'Roads', ja, 'Highways to Hell', die derzeit überhaupt disponibel erscheinen, nach. Warum?

Weil Dietmar Dath auf Direktheit, Tempo und Oberflächen baut und zwar mittels seines Begriffes von DRASTIK. Inzwischen hat er dies auch in seinem neuesten Text "Die salzweißen Augen", einer Mischung aus Brief- und Thesenroman, dargelegt, der durchaus wie eine Poetik zu "Für immer in Honig" funktioniert. Zum Drastischen gehören (nach Dath) insbesondere die populärkulturellen Elemente von Heavy Metal, Splatter und Porno. Seine daran entwickelte Ästhetik der Unmittelbarkeit, die in unserer postmodernen und meta-kapitalistischen Gegenwart den noch wirksamen Rest der Aufklärung darstelle, müsste allerdings zu intensiv diskutiert werden, als dass sich hier mit einem einfachen Pro oder Contra dazu erschöpfend Stellung beziehen ließe. Was diese aber für sein Romanprojekt bedeutet, ist sehr wohl beschreibbar. Zunächst bedeutet dies vor allem Handlung, Handlung und nochmals Handlung: wenig 'klassische' Gedankenprosa, nahezu kein reflexives Beiseitetreten des Erzählers oder einer Figur. Hier steht Dath eigentümlich in Opposition zur Moderne (sagen wir: eines Arno Schmidt), aber auch zu Teilen der Postmoderne (sagen wir: eines Alexander Kluge). Allerdings bringt er sich so auch in eine interessante Schieflage zu den von ihm gehuldigten Genres Porno und Splatter, die sich ja gerade durch das nahezu bloße Vortäuschen von Handlung auszeichnen. Dieses Phänomen einer 'Literatur des Aktionismus' zeigt sich besonders an der Wucht der Handlungslawine, die Daths Buch in Gang setzt. Vom Kriminalroman inspiriert, werden im quasi traditionalistischen Erzählfluss scheinbar harmlose Figuren eingeführt, deren Doppelbödigkeit man doch deutlich erahnen kann. Was zunächst wie langsame Alltäglichkeit wirkt, bekommt zusehends einen solchen Speed, dass schließlich alles in ein apokalyptisch-dystopisches Kriegsszenario münden kann, in dem sich Menschheit und Zombies gegenüberstehen. Bei all dem Crime kommt insbesondere der Sex nicht zu kurz. Sagen wir als Insiderformel: "Romero had Juliet."

this ain't no party, this ain't no disco, this ain't no fooling around

Gerade anhand dieser Thematik gelingen Dath einige einfühlsame, manchmal geradezu rührende Innenperspektiven seiner Figuren. Dies widerspricht aber nicht der obigen Diagnose einer Absage an bedeutungsschwangere Innerlichkeit. Alle Gedanken der Figuren sind zumeist verbunden mit der Kategorie des Ereignisses, irgendeiner Aktion, einer Tat auf der Handlungsebene. Dass Dath also trotz allem anderen, ein zufälliges oder gar ungewolltes psychologisches Gespür hat, ist interessanterweise insbesondere überprüfbar (und eben anrührend) an Schilderungen jener Innenperspektiven, die sich auf Teenager oder Adoleszente beziehen. "Für immer in Honig" entbehrt nicht einer größeren Portion Nüchternheit und auch nicht einer speziellen Ironie, doch Dath liebt seine Figuren oder versteht sie zumindest. Das gilt gerade, weil der Autor dabei trotzdem Distanz zu ihnen hat. Es rückt ihn aber doch ab von den eiskalten Thomas Manns und in die Nähe der liebenswürdigeren Uwe Johnsons und Theodor Fontanes. Gerade in den Passagen des Romans, in denen Dath im großen Gestus des 19. Jahrhundert tatsächlich erzählt (und er kann dies wirklich), kann man sich des Eindrucks einer gewissen Nähe gerade zu Fontane nicht erwehren. Stilistisch ist dies aber nicht alles, was Dath in seinem 'Splatter-Stechlin' drauf hat. Das irre Tempo, das der Roman in seinem Verlauf annimmt, wird gerade durch den Wechsel von Textsorten und Stilen bestimmt: Es gibt da pure Dialogpassagen (vom Minidiscrecorder inspiriert), immer wieder skizzenhaft Neo-Expressionistisches, (Kriegs-)Tagebuchartiges unter so poetischen Überschriften wie "Nach kurzem Schlaf" oder "Irgendein Scheißtag, viel später", stetig mal eingestreute, mal eingearbeitete Zitate (vornehmlich aus der Popmusik) und alles gipfelt grandios verstiegen im fünften Abschnitt des siebenundfünfzigsten Kapitels in einer zwei Seiten langen, reinen Aufzählung von Namen. Memoria ick hör dir trapsen!

get you instructions, follow directions, then you should change your adress (...) burned all my notebooks, what good are notebooks? they won't help me survive

Dieses Erzählprogramm, dieses schreibtechnische Spektrum ist der eine Teil von Daths Ironie-Maschine. Der andere bedingt sich durch eine Welt- und insbesondere Deutschland-Betrachtung, die orientiert ist an der Science Fiction, retrospektiv aus einer gedachten Zukunft vollzogen wird und diesem Trick gemäß kritisch und für unsere - nun vergangenheitsbeschleierte - Gegenwart auch lustig ausfällt. Darin scheinen aber auch gesunde Nostalgie und Naivität auf, wie sie auch dem einst berühmten Satz eines Bernd Begemann eignen, der über die BRD sang: "Ich will dieses Land verstehen." Dafür wurde er vom SPEX-Dekonstruktivismus, zu dem Dath nie gehört hat, verrissen.

Es ist eine solche Nähe, die Dath viel mehr schützt, als seine Trias aus Marx, Mao und Brecht. Dies ist wichtig, denn - bei aller Liebe zu "Für immer in Honig" - muss zu bedenken gegeben werden, dass Aktionismus seinem Wesen nach, also per se, als literarische Volte immer auch 'nach rechts' hin offen ist.

Man sollte Dath keinesfalls fehllesen, wenn er in solchen Zusammenhängen die großen Irrgänger ("Wyndham Lewis oder Lieber blind als dumm") und Fehlgänger ("Ezra Pound oder Lieber dumm als feige") seiner Tradition zu rehabilitieren scheint, viel mehr zu verstehen sucht. Die tatsächliche Maßgabe lautet hier eher: "Brecht oder Künstler müssen das Ausbeuten lernen, wenn sie die Ausbeuter angreifen wollen". Und dies ist bestimmt nicht gemeint mit der gewissen Blödigkeit von "Ton, Steine, Scherben". Es geht mit und neben Brecht auch um die kundige Betrachtung und Abtastung von Oberflächen (statt des Auslotens von Pseudo-Tiefen) im besten Sinne - dem Sinne Andy Warhols.

Neulich hat Dath in der FAZ anlässlich seiner Besprechung des neuen Longplayers von Madonna behauptet, dass "Andy Warhol Dinge über Kunst und Gegenwart gewusst hat, die Duchamp in hundert Jahren nicht erraten hätte". In einem recht ähnlichen Verhältnis steht auch Dath zu vielen seiner Zeitgenossen und Vorgänger. Vermutlich wäre es nicht in Daths Sinn und man versteigt sich wohl ein bisschen, wollte man im obigen Zitat den Namen Warhols durch den Daths ersetzen und parallel dazu Duchamps gegen denjenigen von William S. Burroughs austauschen. Es sind all die genannten Verzweigungen, die den Roman dazu antreiben, für die Komplexität, insbesondere aber Doppelbödigkeit von Gegenwart und Gesellschaft als Inbilder Zombie und Werwolf vorzuschlagen. Doch darüber, wie auch über die faszinierenden und inspirierenden Collagen von Daniela Burger, die den Text illustrieren, müsste gesondert gehandelt werden.

we dress like students, we dress like housewives, or in a suit and a tie, I changed my hairstyle so many times now, I don't know what I look like

Als gesichert erscheint letztendlich eines: Verletzlich ist Daths Kunst dort, wo sie sich dem Vorwurf des 'Kunsthandwerks' stellen muss. Dies erscheint aber grundsätzlich als Verfängliches in einem sowohl aktuellen als auch speziellen Metier. Die scheinbar so ganz andere Seite zu Daths Medaille (Thomas Meinecke?) müsste sich ebenso diesem Angriff stellen.

heard of some gravesites out by the highway, a place where nobody knows, the sound of gunfire, off in the distance, I'm getting used to it now

Oder, mit Dietmar Dath gesprochen: "Ich muß zügig weitererzählen ...".


Titelbild

Dietmar Dath: Für immer in Honig. Illustriert von Daniela Burger.
Herausgegeben von Barbara Kirchner.
Implex Verlag, Freiburg 2005.
971 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3937148019

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