Kleinod der englischen Vormoderne

Katharina Thalbach liest das sorgsam gekürzte Hörbuch "Hotel Grand Babylon", nach dem Roman von Arnold Bennett

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arnold Bennett zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten und meistgelesensten Autoren Englands. Sein künstlerisch anspruchsvollstes Werk, die 1925 als Trilogie "The Clayhanger Family" zusammengefassten Romane "Clayhanger", "Hilda Lessways" und "These Twain", erregte große Aufmerksamkeit durch das detailliert gezeichnete Milieu sowie die ironisch-pointierte Charakteranlage.

Seinen größten Erfolg hatte er jedoch mit einem Werk, das er nach eigenen Angaben innerhalb von drei Wochen verfasste: "Hotel Grand Babylon". Dieser Roman wurde jetzt, in einer Neu-Übersetzung durch Renate Orth-Guttmann, vom Eichborn Verlag als Hörbuch und im Manesse Verlag als Printausgabe veröffentlicht.

Die Handlung spielt größtenteils im Londoner Hotel Babylon, dem besten Hotel Europas, und beginnt damit, dass dem spleenigen amerikanischen Multimillionär Theodore Racksole vom berühmten Oberkellner Jules sein geliebter Cocktail "Angel Kiss" mit dem Hinweis "Dies ist kein amerikanisches Hotel, Sir" verweigert wird.

Als ihm dann auch noch beim Dinner kein Filetsteak serviert wird, weil Monsieur Rocco, der Küchenchef, nichts zubereitet, das nicht auf der Speisekarte steht, kauft Racksole kurzerhand für 400.000 Pfund das Hotel Grand Babylon.

Dann überschlagen sich die Ereignisse: Seine Tochter Nella, in deren Begleitung er reist, trifft zufällig im Hotel ihren Freund Dimmock wieder. Wie sich herausstellt, ist dieser der Vertraute Aribert von Posens, der inkognito durch Europa reist und wiederum der Neffe des regierenden Erzherzogs Eugen von Posen ist. Eugen seinerseits ist hoch verschuldet und muss zu einem bestimmten Tag im Hotel eintreffen, um ein Darlehen in Höhe von einer Million Pfund zu erhalten. Eine reine Weste ist die Voraussetzung seiner Heirat mit Erzherzogin Anna, die auch noch vom König von Bosnien umworben wird.

Plötzlich wird Dimmock tot aufgefunden. Als jedoch die Polizei eintrifft, ist die Leiche verschwunden. Racksole erwischt dann Rocco den Küchenmeister dabei, wie er in der Fürstensuite die Leiche von Dimmock einbalsamiert. Schließlich verschwindet am nächsten Morgen plötzlich die Empfangsdame Miss Spencer, nur um später inkognito als Baronesse Zerlinski wieder aufzutauchen. Die Baronesse versucht mit dem Oberkellner Jules Kontakt aufzunehmen, der jedoch zwischenzeitlich entlassen wurde. Kurz bevor Nella die Tarnung von Miss Spencer auffliegen lassen kann, verschwindet diese Richtung Ostende.

Erzherzog Eugen von Posen ist am verabredeten Tag nicht erschienen und Racksole, Nella und Aribert von Posen brechen auf, das Rätsel um das Verschwinden des Erzherzogs zu lösen. Dabei stoßen sie auf ein Komplott der Bosnier, denen jedes Mittel recht ist, die Heirat zwischen Eugen und Anna zu verhindern und in deren Diensten auch Miss Spencer, Rocco, Jules und Dimmock standen.

Bis zum Happy End ist es noch ein langer Weg, aber um dem Hörer die Freude am Weiterhören nicht zu verderben, soll an dieser Stelle nicht mehr verraten werden.

Es ist ein wahres Hörvergnügen, den Protagonisten auf den vielfach verschlungenen Wegen durch den Dschungel von Verschwörung, Intrige, Liebe und Mord zu folgen. Eine Pointe jagt die andere, wobei Bennett hier feinste, teils sogar böseste Ironie bei der Ausarbeitung der Charaktere, Dialoge und Handlung serviert. Nie wird der Plot undurchsichtig oder nebelhaft, immer kann der Hörer der Handlung folgen und bekommt im Laufe der Geschichte neben der Komödie und der Kriminalhandlung, quasi als dritten Gang, auch noch ein gerüttelt Maß Einblick in die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Umbrüche im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Hier trifft das jungenhaft spontane, die Führungsrolle in der Staatengemeinschaft beanspruchende Amerika auf das zerfallende englische Imperium, englische Tradition und "Stiff-Upper-Lipp" auf "Selfmade-Millionär" und laxe Umgangsformen. Gegen die gemütlich-deutschen Adeligen verschwört sich das undurchsichtige Baltikum, Liebe überwindet Standesdünkel und Racksole kommt zu der Erkenntnis, dass Geld vieles, aber nicht das Grand Hotel Babylon kaufen kann. Er unterschätzt von Beginn an die Verschmelzung und Identifizierung des Personals mit dem Hotel, die Bennett gleich zu Beginn seines Romans deutlich macht, indem er aus dem Hotel gleichsam einen lebenden Organismus macht: "Wenn es etwas gab, was das Grandhotel Babylon besonders verdross, so war es dass, mit einem amerikanischen Hotel verglichen zu werden."

Katharine Thalbach trägt mit ihrem rauchigen Timbre viel zur Atmosphäre des Hörbuches bei. Ausdrucksvoll verleiht sie allen Akteuren individuelle Züge und versteht es, jede noch so versteckte ironische Anspielung zu verdeutlichen.

Die Ausstattung des Hörbuchs ist nicht anders als vorbildlich zu bezeichnen. Neben den CDs ist noch ein mehrseitiges Heft mit Informationen über den Autor, den vorliegenden Roman, sein Gesamtwerk sowie eine Trackliste enthalten. Das Heft enthält darüber hinaus auch weiterführende Informationen zu Katharina Thalbach. Außerdem hat der Verlag es geschafft, jede CD mit fast 90 Minuten Text zu füllen, was sich keineswegs auf Kosten der Klangqualität jedoch positiv auf die Kosten des Hörbuchs auswirkt. Man kann nur hoffen, dass andere Verlage bei der Ausstattung ihrer Hörbücher diesem Beispiel folgen werden.


Titelbild

Arnold Bennett: Hotel Grand Babylon. Gelesen von Katharina Thalbach, 3 Audio CDs.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
264 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3821853808

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