Das Gute und das Schlechte und von beidem zuviel

Wiglaf Droste ätzt: "Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi"

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um es vorwegzunehmen: das Beste an diesem Buch ist sein Titel. Der gehört bejubelt, zitiert und gefeiert, auf T-Shirts gedruckt und auf Schulbänke geschmiert, der gehört vertont und verfilmt und in großen, roten Buchstaben entlang aller Bundesstraßen und Autobahnen aufgestellt, und eine offizielle Eisrevue will ich auch, bittebittebitte! Der Schöpfer dieser unsterblichen Zeilen, Wiglaf Droste, ist eine kleine, fusslige Kolumnistenkartoffel aus Ostwestfalen. Er schreibt für die "taz" unter der Rubrik "Wahrheit", einer Art Raucherecke des Kulturbetriebs. Hier treffen sich die Halbstarken und rotzen rum, und wer die meisten Unterlassungsklagen sammelt, hat gewonnen. Mr. Potatohead liegt weit in Führung, seit er am Weltfrauentag 1988 Fotos von Südfrüchten veröffentlichte, die im Vaginalbereich herumlungerten. Außerdem hat er Johannes Rau "Weißbrot" genannnt, Wolf Biermann "dummdreisten Ranzlappen", und als die "Nazizicke" Leni Riefenstahl 2003 kurz nach einer seiner Verbalattacken starb, war er sich sicher, sie hätte sein Flehen erhört und sei "in einem raren Fall von Altersweisheit" freiwillig abgetreten - "Es wäre mit Sicherheit das einzig Vernünftige gewesen, das sie in ihrem Leben tat."

Hoho! Wasn Spaß! Endlich traut sich mal jemand, die Dinge beim Namen zu nennen. Und das so wunderbar direkt: Harald Schmidts Witze muss man immer erst umständlich hinter Dandytum und aufgesetztem Biedergemeiere hervorschälen, und Stuckrad-Barre ist so besessen von sich selbst, dass die Opfer seiner Artikel oft auswechselbar erscheinen. Aber Droste, das ist ne echte Punkbrezel, die tritt nach, wo andere längst weggelaufen sind: "Friedmann steht auf Nutti / Schäfer heult bei Mutti: das deutsche Drama, eine Schmierseifenoper." Yeah! Sowas stellt man sich doch gerne ins Regal, gesammelte Zoten von vorgestern, durchsetzt mit weisen Worten zum Hinter-die-Ohren-Schreiben: "Auch das ist, bis heute, eine Folge der nationalsozialistischen Verwüstung: Unpolitische Feuilletons, die vor Nettigkeit und schmunzelnder Verschmitztheit strotzen, mögen die Deutschen immer noch am liebsten."

Was wir schlimm finden müssen, verrät uns Wuchtwachtel Wiglaf gern in jenem Tonfall, in dem Oliver Kalkofe das "Wort zum Sonntag" vortragen würde, vorausgesetzt, er wäre doof genug, so was zu machen. Isser aber nich, und deshalb muss der Wiglafwichtel ran. Fröhlich lässt er den Kulturfaschisten raushängen und urteilt ab: Dichter Peter Hacks ist einer von den Guten, denn er besitzt "die Kühle, den Elftenseptember auch als Geburtsstunde der bemannten fliegenden Architekturkritik zu betrachten". Thor Kunkel dagegen muss weg: "Dass ein seine Schreibunfähigkeit mit Nazi-Koketterie camouflieren wollender Langeweiler im Windschatten großer Kenner aller Gründe und Abgründe des Menschen mitsegeln will und den Aufschneiderrand aufreißt wie sonst nur sein Zwergenzwilling Wolf Biermann, das mag ich nicht mehr stumm erdulden." Supi! Längst überholte Diskurse, hübsch bequem auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert: "Der schwarz-grüne Spießertraum ist ein Alptraum. Die Doppelhaushälfte hat Solarzellen auf dem Dach, die Kinder sind von Manufactum."

Doch die Drögdroste hat durchaus auch ein Herz. Für Lyriker wie Ringelnatz und F.W. Bernstein, für Journalisten wie Sebastian Haffner, für Johnny Cash und Bob Dylan. In Texten, so unerträglich devot, dass man ihn sich augenblicklich wieder in seinen gewohnten kick-ass-mode zurückwünscht, menschelt das didaktische D im Enddarm von Ikonen herum. Besonders toll die elf Seiten über Hans Fallada, die allerlei biografische Spezifika aneinander reihen, aber keinerlei Eindruck vermitteln können, was an Falladas Schreibe jetzt eigentlich so dolle gewesen sein soll.

Wenn Droste mal nicht gerade Löcher in den Schnee von gestern strullt, faselt er übers Essen: "Picknick am See, o-hee, o-hee, die Aussicht inspiriert beim Packen des Proviantkorbs: Brot, Butter, Meersalz, Pfeffermühle, ein Fläschchen Olivenöl, Tomaten, Gurken und Knoblauch, Aprikosen und frischen Ziegenkäse, das Messer mit dem überlebenswichtigen Korkenzieher, dem Survival Kit des Dürstenden, Gabel und Löffel, zwei Gläser, Stoffservietten, Wasser, frisch gepresster Orangensaft, Cidre und Wein, Butter und Getränke in Tücher mit Eis gewickelt, und zum Draufrumlümmeln zwei große, weiche Decken. Der vierstöckige Henkelmann wurde schon vorher bestückt: Rote-Bete-Salat, Fleischklöpschen mit Kapern in roter Tunke, Kartoffel-Gurken-Salat mit Crevetten und eine gehackte Ananas würden uns erquicken, und für die zweistündige Reise hatte ich Hähnchensandwiches gemacht. Jammi!" Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen. Und auch die Schüttelreime, die er mit großem Eifer nebenher produziert, schweigen wir an dieser Stelle dezent tot.

Die Cocktailkirsche auf dem Sahnehäubchen dieses Kulturkartoffelklumps: ein - traurig ironiefreier - Text über eine Kinderfreizeit. "Farb-Klang, das Kunst- und Musik-Atelier für Kinder und Jugendliche in Berlin-Mitte, richtete auch im Juli 2003 eine fünftägige Ferienfreizeit in Molkenberg aus, und wie im Sommer zuvor wurde ich für ein paar Tage als Smutje und Märchenonkel eingestellt." Jene einfachen Freuden des Lebens geben dem Maestro neue Kraft, um anschließend wieder gewohnt platt über schlechtangezogene Ossis und phrasendreschende Politiker zu lästern.

Oh ja: "Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi" hat einen prima Titel. Und Droste ist - jetzt hab ich mich ja lange genug auf seine Kosten profiliert - wohl auch eine ziemlich tolle Knolle. Nur gibt es aber auch Kolumnensammlungen, die sind sorgfältiger zusammengestellt. Und es gibt Erzählhaltungen, die dem Gegenstand mehr Platz zum Atmen lassen und ihn nicht gleich unter einer Lawine anstrengend-verkünstelter Polemik ersticken. Droste, da kann man durchaus mal reinkucken. Er hat eine Menge zu sagen und ist dabei so meinungsstark, dass er Satz für Satz neue Reaktionen provoziert. Doch alles in allem ist er halt eher ein Olli Kalkofe als ein Harald Schmidt, und schon gar kein Max Goldt. Da kanner nix für, das sehen wir ein, und für eine Sammlung von eigentlich zum Tagesgebrauch bestimmten, etwa zwei Jahre alten Texten schlägt sich Drostes Buch nicht schlecht.

Ganz durchlesen sollte man es trotzdem nicht: "Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi", das taugt zum Sehnsuchtsmotiv einer ganzen Kultur. Und um wie viel schöner ist es doch, das noch ungelesene kleine Büchlein mit ins Bett zu nehmen, und von den Wundern und Pointen zu träumen, die hinter einem solchen Titel schlummern mögen! Danach kann es eigentlich nur noch bergab gehen...


Titelbild

Wiglaf Droste: Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi.
Reclam Verlag, Stuttgart 2005.
167 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3379201251
ISBN-13: 9783379201254

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