Interview mit Thomas Meinecke

Über Pop, Literaturbetrieb und Feminismus

Von Daniel LenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Lenz und Eric PützRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eric Pütz

"Während wir also unseren Scharfsinn seit '78 auf eine unerbittliche Bejahung der Welt hin trainierten, suhlt sich der Literat freiwillig in geistiger Umnachtung", heißt es in einem Ihrer Texte von 1984. Mittlerweile gehören Sie selbst zum Literatenzirkel, sind mit einer Reihe von Preisen und Auszeichnungen bedacht worden - zuletzt mit dem "Kranich mit dem Stein" - und gehören mit Suhrkamp vor allem dem wichtigsten deutschen Verlag an. Wie fühlen Sie sich in dieser relativ neuen Umgebung? Bemerken Sie an sich selbst nun auch schon erste Anzeichen geistiger Umnachtung?

Nicht wirklich, nein. Das war eine ganz andere Zeit, in der ich das schrieb. Nichts gegen das Statement, dass das meiste, was da geschrieben wird, mir nicht gefällt. Aber das ist mit Musik dasselbe und mit bildender Kunst auch. Wenn sich die zusammentun, die - einfach nur, weil sie alle schreiben - denken, sie hätten schon ein gemeinsames Interesse, dann ist das immer noch nicht mein Ding. Und darum ging es in dem Zitat, um Literatenzirkel. Obwohl ich im gewissen Sinne natürlich deswegen gerade hier in Essen als "Poet in Residence" sitze.

Damals war insbesondere das bürgerliche Feuilleton mein Feindbild Nummer eins, und da hat sich etwas verändert. Inzwischen ist da so etwas wie eine Generationsablösung passiert. Damals saßen dort Sechzigjährige, die mit dem, was ich damals schrieb, überhaupt nichts anfangen konnten. Jetzt sitzen da eher Dreißigjährige, die immerhin wissen, was zum Zustandekommen eines Autoren wie mir beigetragen hat, die etwa Pop-Sozialisation auch am eigenen Körper erlebt haben. Dieses etwas Arriviert-geworden-sein hat jetzt nicht mehr so einen komischen Geruch, finde ich.

Wann haben Sie angefangen zu schreiben?

Das ist schwierig zu sagen. Seit ich siebzehn bin, schreibe ich Tagebuch. Damals habe ich auch so komische Gedichte geschrieben, die ich aber heute absolut nicht gelten lasse. Richtig angefangen zu schreiben habe ich eigentlich 1978, als ich mit Freunden die Zeitschrift "Mode und Verzweiflung" gegründet habe, eine Art Undercover-Literaturmagazin. Die sollte nicht so wirken wie eine Literaturzeitschrift, sondern war eher ein polemisches Organ gegen die Hippies, ein Fanzine. Die Texte waren in dem Sinne nicht literarisch, sondern Manifeste, provokante komische kleine Geschichten, Anekdoten. Damit hat es damals angefangen, mit 23 Jahren. Seitdem schreibe ich. Dass das über die Zeitung hinaus noch von Interesse sein könnte, hatte ich mir nicht vorgenommen. Das war dann eher so ein Seiteneffekt, dass Leute anfingen, sich dafür zu interessieren.

1982 hatte der Chef vom "Wienerwald" Schwierigkeiten. Damals schrieb ich für "Mode und Verzweiflung" einen kleinen affirmativen Jubel-Text über die "Wienerwald"-Kette. Mein Patenonkel in Hamburg riet mir: Geh' doch damit 'mal zur einer Zeitung. Und als ich einmal wieder in Hamburg war, ging ich in den großen Plattenladen, den es damals unten im Gebäude der "Zeit"-Redaktion gab. Hinterher, als ich meine Platten gekauft hatte, bin ich einfach in den Paternoster gestiegen und in die "Zeit"-Redaktion hochgefahren, völlig unangemeldet, mit meinem Text "Unser Wienerwald" dabei. Da bin ich einfach durchmarschiert und auch durchgekommen, bis in das Zimmer von Benjamin Henrichs, der ziemlich verdattert an seinem Schreibtisch saß und wahrscheinlich dachte: Was ist denn das für ein Eindringling. Dem habe ich diesen Text gegeben und gesagt: Das wäre etwas für Ihr Feuilleton, das ist ganz aktuell. Er wollte mich dann erst abwimmeln und hat gesagt, dass, wenn er sich in einem halben Jahr noch nicht gemeldet haben würde, es nichts zu bedeuten habe - ich sähe ja, was für einen Stapel an Texten er da zu bearbeiten hätte. Ich habe ihn dann noch ein bisschen genervt, er solle sich das doch bitte noch heute angucken. Und tatsächlich hat er dann noch am selben Abend bei meinen Eltern angerufen, wo ich zu Besuch war, und hat gesagt, dass der Text in der nächsten Woche drin sei. Da kam mir dann der Gedanke, dass ich die Texte auch woanders hin lancieren könnte. Ich hatte natürlich das Gefühl, das sei alles super-subversiv, dass die Dinger in der "Zeit" standen, dachte, ich würde denen Kuckuckseier ins Nest legen. Die fanden das sehr lustig, und die nächsten fünf Jahre habe ich regelmäßig so kleine Anekdötchen, Grotesken geschrieben. Aus denen wurde dann schließlich mein erstes Buch.

Es war also alles in allem eine dreifache Zündstufe sozusagen: Zuerst habe ich für "Mode und Verzweiflung" geschrieben, dann habe ich gedacht: Aha, das könnte auch andere Periodika interessieren. Und schließlich kam Michael Krüger, damals Lektor bei Hanser, auf die Idee, daraus ein Buch zu machen. Der hat das dann auch mit mir zusammengestellt, hat es aber bei Hanser nicht durchsetzen können - das war damals wirklich noch die Zeit, in der das, was ich schrieb, als faschistoid oder zynisch galt -, und so kam es dann schließlich bei Suhrkamp raus, und zwar nur, weil es bei Hanser abgelehnt worden war. Es war alles immer gar nicht so geplant gewesen. Und plötzlich hatte ich ein Buch veröffentlicht, das war dann in 1986. Und dann wurde ich plötzlich als Schriftsteller angeredet und habe gedacht, ja, stimmt, das könnte man ja auch machen. Das nächste war dann ein Buch, von vornherein als Buch geschrieben: "Holz", das 1988 herauskam. Aber wirklich "angekommen" fühlte ich mich erst mit dem ersten Roman, der weitere acht Jahre später erschien, 1996, angekommen im sogenannten Literaturbetrieb. So wurde ich jedenfalls dann behandelt, so wurde ich aufgenommen, kriegte Preise. Ungefähr seit zwei Jahren bin ich erst "junger Schriftsteller", sozusagen, und das mit über vierzig. Irgendwie ein komisches Gefühl.

Uwe Timm schreibt in seinem Buch "Erzählen und kein Ende", dass für viele Autoren das Schreiben-Müssen die "Beglaubigung der Schriftsteller-Existenz" sei. Sie selbst aber schreiben, wie Sie einmal gesagt haben, nur dann, "wenn Ihnen etwas Gutes einfällt". Welchen Stellenwert hat das Schreiben mittlerweile in Ihrem Leben? Gibt es für denjenigen, der seinen inneren Zwiespalten oder Ungereimtheiten früher durch das Schreiben Luft gemacht hätte, heutzutage andere Ventile? Funktioniert das Schreiben zunehmend nach dem Lustprinzip?

Ich weiß nicht, ob es heute anders ist als früher, ich wäre wahrscheinlich früher auch nicht anders geworden. Ich schreibe einfach gerne und muss nicht schreiben, um nicht verrückt zu werden. Ich brauche diese Ventile in dem Sinne - wahrscheinlich auch in anderen Bereichen - nicht. Auch Musik mache ich nur, weil ich es gerne mache. Ich weiß gar nicht, wo ich mich eigentlich abreagiere. Keine Ahnung, das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Ich denke mir, dass es natürlich weiterhin die Position von Künstlern aller Bereiche gibt, die es tun müssen. Die können dabei wirklich gut sein, Rainald Goetz zum Beispiel. Ich glaube, der muss es tun.

Wenn wir nun die modische Metapher vom Schreiben als Plattenauflegen herbeizitieren: Welche Unterschiede erkennen Sie im Umgang, in der Konzeption von musikalischen Stücken gegenüber literarischen Texten? Welches Medium bietet Ihnen einen größeren künstlerischen Freiraum?

Wahrscheinlich gibt es da gar nicht so große Unterschiede, wenn man es so macht, wie ich es mache. Ich benutze eigentlich eine ähnliche Technik. Mit meiner Band "F.S.K." ist das natürlich ein völlig anderer Prozess. Das ist ein Kollektiv, in dem praktisch immer mehr entsteht als das, was jeder einzelne könnte. Das ist das Magische dieses Bandprinzips. Aber die strukturelle Ähnlichkeit zwischen meinem Schreiben und der Musik wäre im musikalischen Bereich dann eher das Plattenauflegen, wo man über ein paar Stunden ein Set hat, das man vorher niemals wirklich planen kann. Man nimmt sozusagen einen Pool an Tonträgern mit, ist sich aber am Anfang noch nicht bewußt, in welcher Reihenfolge die dann zum Einsatz kommen werden, weiß aber, dass die sich zueinander irgendwie verhalten, und legt mit einem Mischpult und zwei Plattenspielern los. Unten heraus kommt dann die Summe. Das Schöne ist daran oft, dass nicht ganz klar ist, was man da eigentlich gerade hört, dass man da vermischen kann, dass man sozusagen zitieren kann - so ist es jedenfalls auch bei meinem Schreiben - ohne An- und Abführungsstriche quasi, Dinge überblenden, gleichzeitig laufen lassen kann. Ich bin irgendwie so sozialisiert worden - so ein Pop-Sommer-1982-Typ -, dass das Zitat in dem, was ich mache, eine ganz große Rolle spielt. Ich habe ein großes Misstrauen gegenüber der Eingebung und dem Genie, an das ich eh nicht glauben möchte, verfahre selbst lieber mit Versatzstücken, Zitaten, mit - und jetzt werde ich wieder modisch - Samples. Das alles ist bei meinem Schreiben ähnlich wie beim Plattenauflegen, nur ist da kein Plattenkoffer, sondern ein Bücherregal, Kisten mit Büchern oder Büchertürme auf dem Fußboden, neben mir oder auf dem Tisch, und da ziehe ich mir das so raus, wie es mir passt, in einer bestimmten Reihenfolge, die schon auch intuitiv abläuft. Natürlich will ich dann etwas erzählen, wie auch ein guter Discjockey eine Erzählung liefert. Es ist ja keine Rockmusik, es hat keinen Spannungsbogen, keine Erlösung, keine Klimax, spritzt sozusagen nicht ab, sondern geht mit dem immer gleichen Pegel-Top durch. Das ist ein Unterschied, den viele nicht begreifen, bei dieser Art zu schreiben, die dann denken, das sei alles austauschbar, oder die sich fragen, wann ein solcher Text vorbei sei. Bei mir geht so ein Text in derselben Lautstärke los wie er aufhört, der wird nicht langsam eingeblendet und wieder ausgeblendet, es gibt eben auch nicht dieses Freak-Out-Klimax-Moment.

Das sind alles Ähnlichkeiten, die eher mit dem Arbeiten als Discjockey zu tun haben. Ich muss dazu sagen, dass ich eher Radio-DJ als Club-DJ bin. In Clubs lege ich nicht so oft auf. Letztes Wochenende hat "DJ Hell" seine neue Platte "Munich Machine" in München, im "Ultraschall", vorgestellt und mich gebeten, auch ein paar Stunden aufzulegen. Das kommt auch vor, fällt mir aber fast schon schwer, weil ich darin nicht sehr gut bin. Aber ich sehe andere, die das wahnsinnig gut können, die wahnsinnig gut mit dem Pult und den Plattenspielern umgehen, und das finde ich beeindruckend. Das hat mich so beflügelt, wie vielleicht die Beat-Generation durch die Charlie-Parker-Spielweisen beflügelt worden sind.

Wissen Sie schon in der Vorphase oder anfänglichen Schreibphase, wohin der Plot des Romans führt, oder entscheidet sich das erst eigendynamisch beim Mischen des Textmaterials, wie etwa ein DJ sein Set nach der Atmosphäre im Publikum ausrichtet?

Das entsteht natürlich auch eigendynamisch beim Schreiben, aber auch das Set eines DJ ist nicht unbedingt eine Reaktion auf das Publikum, sondern auf das, was dort aus dem Pult herauskommt. Klar ist es gut, wenn viele Leute tanzen, aber ein richtig guter DJ achtet nicht nur darauf, die Masse zum Kochen zu bringen - das wäre ja dann schon wieder "Rock". Das finde ich gar nicht so interessant, ich finde es interessanter, wenn man wie beim Jazz arbeitet, wenn das Set eine Struktur bekommt, wenn es bestimmte Abläufe gibt, man danach aber wieder herunterfährt und dabei in Kauf nimmt, dass sich die Tanzfläche leert.

Das direkte Interagieren mit dem Publikum fällt beim Schreiben natürlich weg, man muss es sich da einbilden. Der Ablauf eines Romans entwickelt sich einfach so. Man packt sich sozusagen die Plattenkiste vorher und nimmt bestimmte Platten erst gar nicht in den engeren Auswahlkreis. So ist das bei mir dann auch: Ich nehme mir für ein Buch ein Thema vor und arbeite mich da durch. Aber dieses Durcharbeiten durch den Stoff wird praktisch abgebildet. Es ist nicht so, dass ich ein Resultat vorher schon habe. Vielmehr habe ich die Bücher, die ich da neben mir liegen habe, eventuell noch gar nicht gelesen und lese sie erst, wenn mein Manuskript schon 150 Seiten hat. Oder lasse sie dann doch ganz weg, viele stehen da ganz umsonst.

Zu Ihrem Verhältnis von Autorschaft und Thema haben Sie gesagt, dass ein Autor Ihrer Facon nicht "Meister über das Material" ist, sondern "die Dinge selbst zum Sprechen" bringt. "Entsubjektiviertes Schreiben" nennen Sie das, auf den Punkt gebracht. Welche Vorstellung von Autorschaft steht hinter dem "entsubjektivierten Schreiben"?

Im Endeffekt ist das auch eine gewisse "Meisterschaft über das Material", wenn man es nur ordnet oder zu bestimmten Formationen organisiert. Insofern bin ich natürlich schon der, der das Ding zum Entstehen bringt, auch ästhetisch hervorbringt. Ich würde nur gerne im Prozess des Lesens dann später meine Position als Autor gerne klein halten. Ich erzähle nicht viel von mir. Die Summe alles dessen, was da passiert, bin ich dann vielleicht, oder ist aus mir gekommen, aber eher durch mich hindurch geflossen. Insofern nämlich, als ich ganz viele Lektüre- und sonstige Partikel als solche durch mich hindurch sprechen lasse. Ich brauche sie noch nicht einmal unbedingt ganz zu verstehen, um sie zu Papier zu bringen. Ich kann einfach begeistert sein und denken: Das ist es jetzt im Moment. Daher bin ich nicht so sehr Herr all dieser Gedanken, und möchte das auch nicht mit einer solchen Autorenherrlichkeit vorführen, wie es viele ja tun: als "Grand Wizard" da das Zeug zu servieren, Beeindruckungsprogramme abzufeuern.

Macht Ihnen die Tatsache, dass die Musik zumindest einen gleich hohen Stellenwert in Ihrem Leben einnimmt wie die Literatur, den Umgang mit Literaturkritik einfacher?

Könnte wahrscheinlich so sein, nicht nur bezogen auf Literaturkritik sondern auch auf andere Mechanismen im Literaturbetrieb, die mich dann vielleicht nicht so treffen können, weil ich nicht nur Schriftsteller bin sondern auch Radio-DJ und Musiker. Zum Beispiel war das Buch "The Church of John F. Kennedy" schon 1992 fertig geschrieben, lag dann aber wegen diverser Widrigkeiten noch ewig bei den Verlagen, zuerst bei Kiepenheuer & Witsch, dann später bei Suhrkamp, und kam erst 1996 heraus. Da haben schon viele Leute gedacht, ich schriebe gar nicht mehr. Zu denen gehörte ich in gewissem Sinne auch, da ich dachte, dass, wenn es keiner druckt, ich auch nicht schreiben muss. Ich habe dann um so mehr Zeit in Plattenläden verbracht, mir Bands oder DJs angehört, bin mit meiner Band in Amerika auf Tournee gegangen. Es wäre nicht der Untergang der Welt, wenn es keiner lesen oder verlegen würde. Ich muss nicht für die Schublade schreiben, oder eben, um nicht verrückt zu werden. Tagebuch würde ich wahrscheinlich schon weiter schreiben - das ist so wie Rauchen, eine schlechte Angewohnheit, aus der man nicht so leicht herauskommt.

Aber ansonsten kann mich vieles nicht so berühren. Als ich zum Beispiel letztes Jahr in Klagenfurt beim Bachmann-Wettbewerb gelesen habe, haben mich viele vorher gewarnt, weil man da so vernichtet werden könne. Da hatte ich keine Angst vor, habe schon durchaus damit gerechnet, dass ich mehr Kontra bekomme, als ich dann bekommen habe. Klagenfurt ist natürlich noch ein anderes Ding: Da muss jeder wissen, dass der, der sich da hin begibt, hinterher nicht klagen darf. Das ist eine ganz schlappe Rolle, wenn man hingeht und später auf die Jury schimpft. Das muss man einfach vorher wissen und darf erst gar nicht so viel Respekt entwickeln.

Ich bin in letzter Zeit ja auch relativ gut weggekommen in der Literaturkritik. Aber wenn ich jetzt plötzlich von Leuten, auf deren Meinung ich viel gebe, unter der Gürtellinie beschossen würde, dann würde mich das sicherlich auch mürbe machen können. Das ist mir Gott sei dank bisher noch nicht widerfahren. Es gab auch gar nicht so viele schlechte Rezensionen zu meinem neuen Buch. Und wenn, dann in Stadtzeitungen. Das ist wieder so ein Symptom dafür, dass in den bürgerlichen Feuilletons mittlerweile Dreißigjährige "Popisten" sitzen. In den Stadtzeitungen aber sitzen teilweise welche, die es dann doch zu anstrengend finden, was ich da mache. Das hat sich umgekehrt: Früher wäre ich von den Stadtzeitungen noch verstanden worden, und die bürgerlichen Feuilletons hätten es verrissen. Jetzt ist es so, dass es denen in den Stadtzeitungen zu wenig flott, zu wenig lustig, zu wenig "easy-going" ist. Von da kamen ein paar Verrisse, und außerdem noch von der F.A.Z. interessanterweise. Aber im ganzen habe ich da mehr Zuspruch bekommen, als ich erwartet hatte. Ich glaube, dass viele noch über den Humor-Aspekt mit an Bord kommen, die gar nicht unbedingt gemeint sind.

Ihr Stil ist wesentlich von einem hochkomplexen, hypotaktisch gebauten Satzsystem geprägt, das von einem Rhythmus, einer unterlegten Musikalität durchzogen ist. Das hat einige Rezensenten an den Thomas Mannschen Stil erinnert. In der Rezeptionsgeschichte Ihrer Bücher haben sich nun im wesentlichen zwei Pole herausgebildet: Einerseits wird Ihnen unterstellt, mit Ihrem Stil ein Mangel an Phantasie zu überspielen und sich das Erzählen einfacher zu machen. Andere erkennen darin eine subtil ausgelotete Ironie, mit der Sie etwa die "Tomboy"-Figuren satirisch einfärben möchten. Inwiefern hängt Ihrer Einschätzung nach Ihr Stil von dem Schreibverfahren, dem DJ-technischen Schreiben ab? Muss die Komplexität des Sujets mit der Komplexität des Stils aufgefangen werden?

Ja, so würde ich das sehen wollen. Auf der anderen Seite hat die Ironie auch etwas mit einer Distanz zu tun, die ich dauernd durch antiquierte, komplizierte, umständliche und seltsame Formen, Sprachformen erzeuge. Also auch durch hypotaktische Manierismen und Zuschreibungsorgien etwa: Dauernd sind die Leute dunkelblond oder ein Meter achtzig groß oder Halbamerikaner. Das ist noch eine bestimmte Technik, um den Gegenstand nicht zu nah an mich herankommen zu lassen, um - speziell jetzt bei "Tomboy", wo es ja um Zuschreibungen geht - immer im Bewußtsein zu führen - auch für den Leser -, dass ich das auch mache und nicht anders kann, dass ich auch einer bin, der die ganze Zeit konstruiert. Dieses Konstruierte wird in einer ziemlich künstlichen, manierierten Sprache immer im Bewußtsein gehalten. Außerdem kommen komplizierte Dinge auch kompliziert bei mir herüber - bis hin zur Grenze dessen, was ich selbst überhaupt noch begreifen kann, das bilde ich auch noch mit ab und bemühe mich daher auch nicht um Souveränität. Ich lasse die Sprache auch mal auf die Fresse fallen, ziemlich oft sogar. Dadurch entsteht so ein gewisser Slapstick-Effekt, eine gewisse Komik, die natürlich selbstironisch ist, weil ich vorführe, dass ich es auch nicht anders kann als die, die ich da die ganze Zeit behandle. Das ist schon Ironie, aber manche Leute haben einen komischen Ironie-Begriff, der ungefähr so funktioniert wie: das Gegenteil von dem meinen als man sagt. Die denken dann, dass hier etwas ridikülisiert wird, und dagegen würde ich mich verwehren. Wenn etwas ridikülisiert wird, dann meine Position, die des Schreibenden in gewissem Sinne, zumindest ironisiert. Das möchte ich klar machen. Da ist Selbstironie dabei. Mir ist es auch Gott sei dank bei dem neuen Buch bisher nicht passiert, dass ich zum Beispiel von Feministinnen angegriffen worden wäre, als einer, der sie verarschen würde. Es ist offenbar doch immer klar geworden, dass die Position des Erzählenden komisch ist. Die Komik liegt in der Sprache, nicht darin, dass da irgend jemand vierzig Mal auf der Bananenschale ausrutscht. Die Sprache rutscht selber sozusagen, ihre Reifen drehen durch, Beschleunigungen führen nicht zu einer Fortbewegung. Darüber machen sich die Leute aber oft nicht richtig Gedanken. Es gab vor allem ein paar Männer, die gedacht haben, dass hier Feminismus lächerlich gemacht wird.

Könnten Sie sich vorstellen, Romane mit anderen Stilen, etwa realistisch oder experimentell zu schreiben?

Ich habe ja nie nach einem Stil gesucht, aber ich fürchte, dass das jetzt gerade mein Stil ist. Der ist in Bewegung. Meine ganz frühen Texte waren totale Thomas Bernhard-Epigonen. Davon bin ich jetzt schon ein bisschen weg. Aber man merkt erst hinterher, wo man inzwischen ist. Ich kann mich nicht einfach entscheiden: Den nächsten mache ich in einem anderen Stil. Das ist eine gewisse Errungenschaft für mich, mit einer bestimmten Technik zu arbeiten. Die könnte ich nicht einfach durch eine andere ersetzen. Vielleicht wird sich so etwas entwickeln, so dass ich am Ende doch Realist bin.

"Ich habe es gerne, wenn es groovt. [...] Ich nehme manchmal nur des Grooves halber 'falsche' Wörter. [...] Das ist mir wichtiger als man vielleicht bemerkt", heißt es in einem Interview von Ihnen. Heißt das, dass Sie im Zweifelsfall die Präzision des Klangs der Präzision des Inhaltes vorziehen würden?

Das muss ich dauernd abwägen. Es ist immer ein Widerstreit zwischen Sound und Bedeutung beim Schreiben da. Das richtig Falsche würde ich dann wahrscheinlich doch nicht nicht verwenden. Aber es gibt ja eben viele Zwischenbereiche: Manchmal ist etwas nicht ganz passend, klingt aber besser, und das nehme ich dann auch. Da muss ich dauernd abwägen und herumfummeln, was man vielleicht gar nicht so merkt, weil der Inhalt an der Stelle so banal oder umgangssprachlich ist. Es hat sich auch schon manchmal verselbständigt: Ich habe einmal einen ganzen Text abgebrochen, weil ich nur noch in Jamben geschrieben hatte. Das war Terror, da war ich wirklich kurz vor dem Durchdrehen. Ich kam da nicht mehr heraus und musste deshalb einfach einen ganz neuen Text anfangen.

Vergleicht man Ihre frühen Kurzgeschichten "Mit der Kirche ums Dorf" mit den zuletzt erschienenen Romanen, kann man eine Veränderung bezüglich der Quelle der Inhalte feststellen. In den kurzen Satiren scheint es noch mehr aus Ihrer Phantasie heraus zu wachsen, wohingegen der Inhalt von "Tomboy" klar von seinem theoretischen Diskurs dominiert wird. Ist diese Konzeptionsänderung möglicherweise auch daraus entstanden, dass Sie sich nicht mehr dem Druck der Idee unterwerfen wollten?

Ich habe das Gefühl, auch bei den Kurzgeschichten nichts wirklich erfunden zu haben, nur geschieht da die Montage in einer Verdichtung. Aber alles, was ich damals in die Kurzgeschichten geschrieben habe, war gefunden: Zeitungsmeldungen, aufgeschnappte Anekdoten, die ich so zusammengeführt und verschachtelt habe, als ob Nachrichten synchron durch sechs Sprecher vorgetragen würden. Es war also eher eine Art Synchronizität von sich gegenseitig eigentlich Ausschließendem, was ich auf kürzestem Zeit- oder Papierraum zusammengedampft habe. Nur war die Haltung ein wenig anders, das waren eher so polemische Texte im 80-er Jahre Kontext, die mit den damaligen Lifestyle-Auseinandersetzungen zu tun hatten. Dem habe ich mich dann aber auch entzogen. Spätestens, als "Tempo" und "Wiener" auf den Markt kamen, habe ich aufgehört, diese kleinen Geschichten zu schreiben. Ich wollte nicht der sein, der auch irgendwo seine lustige, zynische Kolumne hat, die ich ja im Grunde hatte im Feuilleton der "Zeit". Auch wenn ich die damals wochenlang nicht wahrgenommen habe, hatte ich doch in den Jahren von 1982 bis 1987 bestimmt rund vierzig solcher Dinger in der "Zeit". Das war eher ein Grund, da etwas zu ändern, es etwas schwieriger, spröder, komplizierter, schwerfälliger zu machen, nicht so sehr entertaining vielleicht, um nicht in die Rolle des 80-er Jahre postmodernen Unterhalters zu geraten, wie es viele meiner Generationsgenossen geworden sind. Es war also eher die Idee, mehr Sand ins Getriebe zu streuen. An sich aber sind die frühen Anekdoten gar nicht so anders als das, was in meinen neusten Texten passiert: Eine Gruppe von Leuten unterhält sich über Themen, wobei die Einzelnen durcheinander reden. Es war auch einfacher, diese Anekdoten zu schreiben, und das war mir auch unheimlich, nachdem ich das fast zu einer Methode entwickelt hatte, so einen drei Minuten-Text nach einem bestimmten Schema abzufassen. Ein längerer Text erfordert ein anderes Timing, eine andere Dramaturgie - auch wenn ich eigentlich so etwas wie Dramaturgie, im klassischen Sinne, nicht habe. Ich klebe ja vorher keine Zettelchen an die Wand. Aber trotzdem hat man einen anderen Rhythmus, man atmet anders, wenn man geht statt zu rennen.

Die Pop-Bewegung ist also angetreten, um die Festung der sich abschließenden Hochkultur zu stürmen. Mittlerweile aber gehört die Pop-Literatur augenscheinlich längst zum literarischen Etablissement: "Den Gegensatz zwischen sog. Popliteratur und jenen pittoresken Ruinen der Hochkultur gibt es [...] nicht mehr", schrieb etwa Andreas Bernard in der Süddeutschen Zeitung. Wie wird sich die Pop-Literatur ohne diesen Antagonismus weiterentwickeln? Wie kann die Pop-Literatur weiterhin die Diskurs-Schleusen für jedermann offenhalten, ohne dabei vom literarischen Establishment als "everyone's darling" überspült zu werden?

Ich habe damit immer ein bisschen Probleme, Pop als Movement zu sehen. Pop darf sich eigentlich gar nicht strategisch als Ganzes verhalten, sondern besteht aus unheimlich vielen, schnellen, unberechenbaren Einzelprozessen. Was mir in der Diskussion über die Pop-Literatur manchmal schief vorkommt, ist, dass Pop irgend etwas homogenes sei, das sich jetzt irgendwie verhalten müsse, reagieren müsse auf Vereinnahmungsstrategien des bürgerlichen Lagers. Ich finde, dass Pop gar nicht erst ein eigenes Manifest haben darf. Rainald Goetz, Andreas Neumeister und ich - um mal die Suhrkamp-Autoren zu nennen -, wir verstehen uns natürlich unter diesem Begriff "Pop". Auf der anderen Seite haben schon allein wir drei völlig andere Interessen damit und kommen auch aus unterschiedlichen Löchern. Am liebsten würde ich Pop nur als eine Art Diagnose für irgend etwas akzeptieren, nicht aber als Prognose. Daran liegt mir gar nichts. Wenn es mit Pop nicht funktioniert, dann war es das eben mit Pop. Ich würde nicht mit dem Banner durch die Welt gehen wollen, und deshalb ist es mir relativ Wurst, was da jetzt so passiert. Ich definiere mich nicht über Pop, das ist vielmehr eine Zuschreibung, die mir immer widerfährt. Ich bin ja Pop-Ist sozusagen, auch geprägt durch Pop und beschäftige mich auch total viel damit, würde aber nicht sagen, dass meine Art zu schreiben Pop-Literatur sei. Ich freue mich, wenn Leute zu mir kommen, die sonst Platten hören - und in der Regel ist es so, dass ich mich mit denen am besten unterhalten kann -, würde daraus aber kein Fähnchen nähen wollen.

Wenn man hinter der Pop-Bewegung das Bestreben erkennt, die Diskurse einem größeren Publikum zu eröffnen, dann könnte man in der Pop-Literatur etwa im Stil eines Andreas Neumeisters eine Gegenbewegung beobachten: Indem er in seinem Roman mit zahlreichen Allusionen aus der Musikwelt vorwiegend den "inner-circle" der Pop-Musik-Insider bedient und dadurch gleichzeitig auch deren Revier gegenüber einem "nicht-wissenden" Außen markiert, fördert er ein Sich-Selbst-Verschließen des Pop - so die Diagnose. Reagiert Pop auf Vereinnahmungstendenzen des literarischen Establishments durch Exklusionsmechanismen, ähnlich wie die Techno-Bewegung, die sich zunächst über alle Gesellschaftsschichten ausgebreitet hat, und nun, die Vermassung und den Kommerz beklagend, wieder in die kleinen Clubs einziehen möchte?

Ich habe eher das Gefühl, dass das Schlimmere an Pop nicht der Ausschlussmechanismus, sondern das Gegenteil ist: die Verständigung über gemeinsam Erlebtes. Eigentlich ein Zeichen des Alterns, wenn man sagt: Das waren unsere Platten, lieber Leser, liebe Leserin, erinnerst du dich an "ABC" 1982? Das tun ganz viele Texte, die sich als Pop-Literatur verstehen, Leute über Dreißig verständigen sich mit einer Leserschaft über die gemeinsame Sozialisation anhand von Bandnamen. Das findet man etwa auch bei Matthias Politycki, das ist auch zum Beispiel Nick Hornbys Geschäft. Da ist auch nichts gegen zu sagen, nur finde ich es ein bisschen problematisch, weil es hinterrücks wieder diese schreckliche Gattung "Verständigungstexte" auf den Tisch bringt. Dann darf Pop eher noch als Ausschlussmechanismus funktionieren. Wenn ich zum Beispiel Band-oder Musikernamen im Text verwende, dann dienen sie nicht der Verständigung, sondern eher der Verkomplizierung oder der Darstellung der Komplexität, des unübersichtlich Vernetzten, was ich in anderen Bereichen, sei es feministische Theorie oder anderes, auch verhandele. Das soll aber nicht im Sinne eines Ausschlussverfahrens funktionieren. Ich fände es ganz schlecht, wenn nur derjenige meine Bücher lesen könnte, der oder die die Platten kennt, die dort genannt werden. Das finde ich problematisch. Ich selbst habe Andreas Neumeisters Buch gerne gelesen, aber ich kenne eben auch diese Platten. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, weil das Buch immer betont: Sind wir froh, dass wir so sozialisiert sind. Damit führt es wirklich vor diese geschlossene Gesellschaft. Ich will im Grunde genommen schon über meine Zeit aufklären. Von mir aus soll es auch ein Achtzigjähriger lesen können und gut finden, der noch nie die Namen gehört hat, die da bei mir vorkommen. Bisher hat es auch so geklappt. Silvia Bovenschen zum Beispiel, mit der ich zur Zeit viel zu tun habe und die natürlich den ganzen theoretischen Aspekt, den ich in "Tomboy" verhandele, viel besser als ich kennt, kennt fast gar nichts von den zitierten Musiken, hat deshalb aber überhaupt kein Problem damit, das Buch in seiner message und all dem, was dazwischen passiert, genießen zu können. Das wäre sicherlich ein Manko, wenn man mir attestieren würde, bei mir würde Kennertum ausgebreitet. Dann hätte ich etwas falsch gemacht.

"Unmerklich ist in den letzten Jahren die Theorie zur Literatur geworden. Während das angestrengt Belletristische immer mehr an Boden verliert, hat das Wissenschaftliche immer phantastischere Züge angenommen", hat Helmut Böttiger in der Frankfurter Rundschau diagnostiziert. Sie selbst haben vor Ihrem Roman "Tomboy" gesagt: "Ich möchte ausprobieren, wie man Theorie erzählen kann" und "Heute liest man Theorie wie vor 20 Jahren Belletristik." Liegt das an der schlechten Qualität der Belletristik oder an dem guten Potential oder den neuen Zugangsmodalitäten der Theorieliteratur?

Vielleicht ja an beidem, wobei ich mir aber nicht anmaßen möchte, einen Zustandsbericht der Belletristik abzugeben. Bei mir, ganz subjektiv, merke ich, dass meine Neugier und Impulse in den letzten 20 Jahren ganz verstärkt in theoretischere Gefilde gehen, obwohl ich überhaupt gar kein Wissenschaftler bin und in diesen Diskursen auch nicht zu Hause bin. Ich gehe in eine Buchhandlung, interessiere mich für etwas, nehme das dann mit und quäle mich teilweise da durch. Auf der anderen Seite hat die neuere Theorie oft auch in ihrem eigenen Text etwas selbstreflexives im Sinne von: Lieber Leser, sei dir dessen bewußt, dass hier auch nur erzählt wird. Das macht dann Leuten wie mir Mut, überhaupt erst Erzählerisches mit diesem Stoff zu füttern, im Umkehrschluss quasi, von der Belletristik kommend, Theorie zu erzählen, Gedanken als Handlung zu nehmen, Worte als Taten. Ich glaube, dass es ganz deutlich zu beobachten ist, dass etwa in bohemistischen Zusammenhängen Theorie gelesen wird, mit Lust, mit Spaß am Denken. Das ist kein Universitätsghetto oder Wissenschaftsbereich mehr. Ich habe mich auch davon infizieren lassen, gar nicht besonders schnell. Vieles von dem, was ich in meinem neuen Buch verhandelt habe, habe ich auch erst unverhältnismäßig spät kennengelernt, als alle anderen um mich herum davon schon andauernd redeten.

In Ihren Texten bedienen Sie sich einerseits einer hochkomplexen, an Fremdwörtern reichen Sprache, setzen andererseits aber auch ganz bewusst Alltagssprache, Jargons und Slangs ein, die unter Jugendlichen und Studenten gesprochen werden. Ist dieser Sprachspagat Sinnbild für Ihren Anspruch, sowohl bei einer jugendlichen Zielgruppe als auch bei den Intellektuellen Aufmerksamkeit erlangen zu wollen?

Ja, aber anders herum kann man auch sehen, dass die als zwei verschiedene apostrophierten Zielgruppen sich doch ganz schön überschneiden und auch selber in beiden Jargons unterwegs sind. Ich sehe darin keinen Widerspruch.

Viele Schriftsteller wie Bertolt Brecht oder Thomas Mann wollten sich mit Ihrem Werk ein Denkmal setzen. Sie selbst sagen zu Ihrem Werk "Wenn es in fünf Jahren nicht mehr gelesen wird, schreibe ich etwas neues." Ist der Gedanke, mit dem eigenen Werk etwas Bleibendes zu schaffen, das über den Tod hinausbesteht, nicht auch eine Herausforderung für Sie?

Ich bin ja auch Vater eines mittlerweile neunjährigen Kindes, meiner Tochter Juno, und darin ist eher der Gedanke gewährleistet, dass da etwas eigenes weitergeht, wenn ich nicht mehr da sein werde. Ich merke ja jetzt schon immer, dass, wenn ich ein Buch geschrieben habe und ich dann öffentlich daraus lese - wie im Moment "Tomboy", dessen Manuskript vor einem halben Jahr fertig geworden ist, das seit einem viertel Jahr draußen ist und mit dem ich im Moment drei bis vier Mal die Woche unterwegs bin -, mir dann in dieser Phase die ganzen Schwächen des Textes auffallen. Erst durch das Neu-Lesen merkt man ja erst, was man anders oder besser hätte machen können. Aus diesem Prozess heraus bekomme ich dann auch Lust auf ein neues Buch, und das ist dann mein Baby. Der neueste Text ist immer der geliebte Text für mich, den ich vertrete. Das ist mit "F.S.K." dasselbe: Jede neueste Platte - egal wie Rezensenten sie jeweils beurteilen mögen - ist für mich natürlich die beste, weil wir sie sonst anders gemacht hätten. Das sollte ein dauernder Verbesserungsprozess sein, ich würde einfach gerne in 20 Jahren bessere Bücher schreiben als jetzt. Ob das dann im Endeffekt ein Monument ist, was man sich setzt, interessiert mich im Moment nicht. Dafür ist das alles vielleicht auch noch zu neu für mich. Vielleicht kann ich ja bis 60 noch jung bleiben und dann in die Zeitlosigkeit eintreten.

Haben Sie neue Schreib-Projekte für die Zukunft geplant? Was wird von Ihnen in der Zukunft zu erwarten sein?

Im Moment lese ich sehr viel über die schon in "Tomboy" angeklungene fatale Parallele zwischen Antifeminismus und Antisemitismus, das heißt, dass ich mich zur Zeit sehr intensiv mit Judaica beschäftige. Aber ich habe keine blasse Ahnung - und das ist jetzt nicht kokett -, ob das nächste Buch darüber sein wird. Das wäre ja fast noch heikeler, als Deutscher über Israel zu schreiben als als Mann ein feministisches Buch geschrieben zu haben. Andererseits reizen mich natürlich genau diese Unmöglichkeiten. Der Ahnenpass meines Großvaters endete dann auch bei dem Familiennamen "Israel".

Ich habe noch gar nicht mit etwas Neuem angefangen und fühle mich auch gar nicht unter Druck. Sicherlich wird das dann in 1999 wieder losgehen, das ist schon klar. Aber im Moment bin ich noch so oft unterwegs, und im Februar touren wir mit der Band durch ganz Deutschland, danach geht es noch einmal mit Lesungen weiter. Von daher ist es dann doch schon so ein altmodischer künstlerischer Gärungsprozess - jetzt komme ich doch noch mit den schlappen Mythen heraus: Irgendwann reift es natürlich in einem und der Druck - ich spreche wohlgemerkt nicht von "Leidensdruck" - wird dann so groß, dass das Zeug dann heraus muss, dass ich mir vieles nicht mehr merken kann, das Gedächtnis überlastet ist. Dann beginne ich damit, Zeug aufzuschreiben, Bücher zusammenzustellen, Zettel anzulegen, und dann werde ich irgendwann wieder schreiben.

Der Verlag macht Ihnen keinen Druck?

Nein. Im nächsten Jahr kommt die frühe Erzählung "Holz" bei Suhrkamp als Taschenbuch heraus, wie vor einem halben Jahr der Erzählungsband "Mode und Verzweiflung" erschienen ist - der Verlag hat so ein Bedürfnis, den Back-Katalog zu führen. Es ist für mich wirklich eine ganz fantastische Zusammenarbeit mit dem Verlag.