Grauer Sumpf

Lajos Parti Nagys Roman "Meines Helden Platz"

Von Klaus BonnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Bonn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den zeitgenössischen ungarischen Autoren dürfte Lajos Parti Nagy der deutschen Leserschaft kaum bekannt gewesen sein, bis zur Publikation von "Meines Helden Platz". In Ungarn ist der 1953 geborene Nagy vor allem mit seinen Theaterstücken, Gedichten und kleineren Prosaarbeiten an die Öffentlichkeit getreten. "Meines Helden Platz" indes, im Original bereits 2000 erschienen, ist nicht sein erster Roman, der erste allerdings, der nun in deutscher Sprache vorliegt. Bei seiner Schreibarbeit gehe es ihm um "diese Welt, in der das Groteske wie auch das Absurde eine Wirklichkeit aus Fleisch und Blut ist", hat Nagy einmal in einem Selbstporträt verlauten lassen. Nimmt man den Text zur Hand, dann mag einem darin manches schon nach den ersten Sätzen grotesk oder absurd vorkommen. Ahnungen von Prätexten wie Orwells "Animal Farm" oder Kafkas "Verwandlung" stellen sich ein, Pirandellos Vexierspiel um einen Autor und seine Figuren, aber auch Hitchcocks "The Birds" drängen sich auf. Ein völlig kontrastives Bild zum einst idyllisch anmutenden Entenhausen um Onkel Dagobert und seine Familie zeichnet sich da im Prototyp der stupid faschistoiden Taube ab, dem "Oberrassenvizepräsidenten", dem "Rassenführer der Lebenspalomistischen Bewegung" Cäsar Tubitza, seiner sex- und kognakkirschsüchtigen Gattin und ihrer Gefolgschaft der "Rassengenossen". Dass Tubitza die Welttaubenherrschaft anstrebt, den Untergang der Menschheit heraufbeschwört, mag grotesk und absurd, auch lächerlich erscheinen. Dabei bedient der "Hobbygenchirurg" sich jedweder gentechnischer Finessen, um die Taubenart durch abenteuerliche Klons auf die Übernahme der Weltmacht vorzubereiten. "Kolibripitbulls" streunen durch die Gegend und attackieren Passanten, "Greifterrier" gibt es, eine Sorte schneller Eingreiftruppe, die "Adlerboys" der Leibgarde, Henrietta Kis, eine zur mal wachsenden, mal schrumpfenden Henne umfunktionierte Polizistin, jetzt "außerordentliche Spreuselektorin", dann den ehemaligen Scharfschützen Lajoska Balatony und schließlich die in ihrer Wohnung zurückgelassene figurative Gestalt des Erzählers, der "Held" des Buches, dem Tubitza in einer waghalsigen Operation hat Flügel einpflanzen lassen, um aus ihm ein erstes Exemplar der Menschentaube heranzuzüchten. So gesehen kann man den Aufstieg und Fall des Cäsar Tubitza als Geschichte einer Form von gentechnisierten science-fiction-comics ohne Bilder typisieren.

Es passt in dieses Genre, dass der Mutant gegen den "Führer" insgeheim aufbegehrt, zuerst dessen Frau erwürgen und dann Tubitza selbst eliminieren lässt. Man kann das alles, wie es der Klappentext des Buches suggeriert, als eine satirische Parabel lesen. Das wäre aber nur ein trivialer Aufguss von bereits bestehenden literarischen Bemühungen auf diesem Gebiet. Über zweihundert Seiten vulgärer Taubenjargon, Taubenschwachsinn, gesteigert zur Burleske. Man kann staunen über die Blüten, welche die deutsche Sprache unter der Hand der Übersetzerin Terézia Mora treibt.

All das wäre bloß unterhaltsam, skurril, vielleicht halbherzig moralistisch zu nennen. Die Pervertierung einer der Taube zugedachten Symbolik der Liebe, des Heiligen Geistes und Friedens ist eine Sache. Die Szenerie ist aber in Budapest angesiedelt, wo neben Blei- und Kohlendioxidemissionen besonders der ätzende Taubenschiss der Bausubstanz der alten Bürgerhäuser und Kulturdenkmäler zu schaffen macht. Nagys aufgemotztes Taubengeschwader kommt als Allegorie des schleichenden Niedergangs, der Dekomposition daher.

"Als Schriftsteller", notiert der Erzähler zu Beginn des Romans, "interessiert mich alles, was deformiert und verdorben ist, alles, wovor es mir mit meinen 'zivilen' Reflexen graut oder was ich auch nur mit Vorsicht zu genießen wage". Ein guter Teil der Faszination des Textes liegt in der allmählichen Absonderung des "Helden" von seinem Erfinder, seiner stetigen Entwicklung eines Eigenlebens, das letztlich in die Tyrannei mündet. Der Erzähler, dem 'real' kuriose, 'irreale' Taubendinge widerfahren sind, verlässt seine Wohnung und überlässt damit ungeahnterweise seinen Wirtskörper seiner Figur Tubitza und dessen Klan, die ihn ganz und gar nicht für eine Fiktion hält.

Im Folgenden berichtet der "Held" in einer Reihe von geheimen E-Mails, die er an den Erzähler schickt, über die aberwitzigen Aktivitäten in der Taubengesellschaft und seine schicksalhafte Vereinnahmung. Als der Erzähler wider die Vorgabe, auf die elektronische Post unter keinen Umständen zu reagieren, verstößt und dem Absender schreibt, er solle "in meinem Namen nicht einmal in meiner Fiktion tätig" werden, antwortet der vor Tubitza in Gefahr geratene Abkömmling: "Wenn du mich erfunden hast, was immer noch deine fixe Idee ist, warum hast du mich denn als so einen kleinen Wichser erfunden?"

Tauben können zwischen Realem und Fiktivem nicht unterscheiden; für sie ist's einerlei. Figuren aus einer Kurzgeschichte des Erzähler-Schriftstellers machen sie ausfindig, operieren sie um und machen sie sich dienstbar. Oder sie stopfen sie aus und stellen sie ins Museum. Am Ende steht der Erzähler auf verlorenem Posten. Er wartet auf seinen zum Führer der "palomistischen Bewegung" avancierten "Helden", der ihn abholen wird. Seine Hinterlassenschaft umfasst die gesammelten E-Mails, eine Einführung in die Unfasslichkeit der Geschehnisse und einen knappen Schlusskommentar, zusammengenommen das Buch "Meines Helden Platz".

Auf einer der letzten Seiten liest man: "Der einstige Redakteur dieses Skriptkonvoluts wird wahrscheinlich tausend Fragen haben, die ich dann nicht mehr werde beantworten können." Eine verantwortliche Person des Pester Magvetö Verlags muss die Manuskriptseiten dieses eschatologischen Jahrtausendwenderomans aufgespürt und seine deutschsprachige Agentin Mora sie dann dem kleinen Luchterhand Verlag in den weiten Hallen von Random House unterbreitet haben. Fragen bleiben auch nach dem Lesen des Romans, doch das Rätselhafte, unheimlich Unausweichliche, das der Text aussetzt, macht seine Qualität aus.


Titelbild

Lajos Parti Nagy: Meines Helden Platz.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Terézia Mora.
Luchterhand Literaturverlag, München 2005.
301 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3630871585

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