Zweigeteilte Memoiren

Ost-Berlin, Bilbao und die hispanische Welt der Literatur unter einem Dach. Wie Fritz Rudolf Fries sein Leben und sich selber sieht

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der engen DDR war der 1935 in Bilbao geborene Fritz Rudolf Fries immer von der spanischen Aura seiner Herkunft begleitet. Seinen frühen Roman "Der Weg nach Oobliadooh" - es war nicht sein Erstling, wie oft fälschlicherweise geschrieben wird - hatte er 1966 nur in der Bundesrepublik veröffentlichen können. Bereits 1957 hatte Fritz Rudolf Fries den Roman "Septembersong" verfasst, der erst vierzig Jahre später im Hamburger Rospo Verlag gedruckt wurde. Der junge Fries schlug sich in der DDR als Dolmetscher und Übersetzer durch. Bücher von Cálderon, Cortázar oder Neruda brachten frischen Wind in den Mief des sozialistischen Realismus. Erst in den 70er und 80er Jahren gelang es Fries mit seinen Romanen, eine unverwechselbare Handschrift in der Tradition von Schelmenromanen und pikaresker Fantasie zu etablieren.

Mit "Diogenes auf der Parkbank" legt Fritz Rudolf Fries seine Erinnerungen vor. Auch andere Autoren aus der ehemaligen DDR haben in den vergangenen Jahren ihre Lebensläufe literarisch verarbeitet und es lohnt sich, diese kontrastiv zu studieren: Günter Kunert "Erwachsenenspiele", Günter de Bruyn "Vierzig Jahre", Hermann Kant "Abspann" oder die karnevaleske Variante eines zerrissenen Sascha Anderson.

Alle diese Bücher waren bereits in der neuen Bundesrepublik geschrieben worden und man kann sich fragen, ob sie auch in der noch bestehenden DDR in dieser Form hätten verfasst werden können. Keines von ihnen jedoch hätte in der ehemaligen DDR veröffentlicht werden können. Diese keineswegs banale Vergegenwärtigung trägt sehr viel zum Verständnis dieser Lektüre bei. Beim Zustandekommen dieser Texte jedenfalls hat diese Selbstvergewisserung bei den Autoren eine unterschiedlich gewichtige Rolle eingenommen. Zu DDR-Zeiten jedenfalls war Fritz Rudolf Fries nie so eindeutig aus der Deckung gekommen - zu seinem Vorteil und Nachteil zugleich, wie sich bei der Lektüre zeigt. Bestechend bleibt von der ersten bis zur letzten Zeile eine barock-gewölbte Sprache, klar in den Konturen genauester Beobachtung. Fries kann erzählen, plaudern, unterhalten - die Variationen setzt er spielerisch ein, je nach Bedarf und Laune. Fries ist ein Akrobat der Wortkunst. Ob der alte Jazz-Experte Anleihen aus der Musik nimmt? Ganz sicher: "Be-bop ist da und wird da bleiben"!

Nicht von ungefähr teilen sich die vorliegenden Erinnerungen im Schicksalsjahr 1976, als Wolf Biermann die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen worden war. Von 1942 bis 1976 reichen die "Recherchen einer Jugend und Zeit". Lebhaft schildert Fries die Nachkriegsjahre, seine Zeit an der Universität, Erlebnisse mit Ernst Bloch, Hans Mayer, Uwe Johnson und als Assistent bei Werner Krauss: "Literatur war mehr als Zeitvertreib. Gab sie eine Antwort auf die Fragen des Tages? Sie gab Antwort auf die Fragen des Jahrhunderts".

Teil II der Erinnerungen umspannen die Jahre von 1976 bis 1990: "In einem anderen Land". Und genau dort verstören bei Fries manche Irrlichter. Andrej Sacharov war nicht "in die Politik gegangen", wie Fries mutmaßt, sondern der sowjetische Atomphysiker war lediglich seinem Gewissen gefolgt. In die Politik waren Schriftsteller der DDR, wie z.B. Fritz Rudolf Fries gegangen, die auf dem PEN-Kongress in Caracas 1983 gefügig gegen Sacharov votierten, "wie Diplomaten ohne eigene Meinung". Gewissensentscheidungen werden das kaum gewesen sein.

Gegenüber dem freien Fall der DDR zugunsten einer neuen Bundesrepublik verharrt Fries in einer zurückhaltenden Position.

Zuweilen frappiert eine merkwürdige Indolzenz gegenüber eigenen wie fremden Schicksalsschlägen. Dabei bleibt Weinerlichkeit auf der Strecke, es fehlt aber im Gegenzug ein beherztes offenes Wort, was zum Beispiel Friesens Zuträgerschaft zur Stasi betrifft. Für betroffene Autorenkollegen wie Erich Loest, der Jahre hinter Gitter verbracht hatte, waren die Jahre in der DDR mehr als nur ein kopfschüttelnd wahrgenommener Klamauk. Auch wenn man sich über Fritz Rudolf Fries ärgern kann, so bleiben immer noch seine Romane und Bücher manch hispanischer Autoren, die er für uns an Land gezogen hat. Nach Deutschland!


Titelbild

Fritz R. Fries: Diogenes auf der Parkbank. Erinnerungen.
Das Neue Berlin Verlag, Berlin 2002.
320 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3360009738

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