Schnee nach Rezept

"Schneeflocken - Juwelen des Winters"

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Text- und Bilderbuch "Schneeflocken" stellt den Versuch dar, Naturwissenschaft, Fotografie und Literatur an einem gemeinsamen Thema zusammenzubringen. Das funktioniert nach Rezept: Man nehme einen Naturwissenschaftler, eine Fotografin und einen Dichter und mische das Ganze gut durch. Da wäre zunächst Kenneth Libbrecht. Gestatten, Physikprofessor. Er erklärt, wie eine Schneeflocke entsteht, dass es gedeckelte Säulen, Teil- und Spaltsterne, Kristallreif, Diamantenstaub und Sterndendriten gibt. So lernt man zum Beispiel von ihm, dass Dendriten stets als "Einzelkristall mit einheitlicher molekularer Ausrichtung vor[kommen]. Die Winkel zwischen den verschiedenen Zweigen sind immer Vielfache von 60 Grad und alle Seitenzweige verlaufen genau parallel zu den benachbarten Hauptarmen."

Libbrecht bleibt aber nicht lang allein. Denn da kommt ja schon Patricia Rasmussen mit ihrem speziellen Mikroskop, die das Bild in das Buch gebracht hat, indem sie Schneelandschaften und Schneeflocken fotografiert hat. Für ihre Bilder hat sie Farbfilter eingesetzt, die die filigranen Schneeflocken in den Farben des Winters strahlen lassen: eisig hellblau, pastell-violett und mintgrün.

Wahrscheinlich wissen Libbrecht und Rasmussen, dass man mit Theorie und schönen Bildern von Schneeflocken doch nicht so weit kommt, zumindest in den Ländern, wo die Menschen einen eher gefühlsmäßigen Zugang zum Schnee haben. Wenn es schneit, schimpfen sie oder stöbern durch die weiße Pracht. Während die eine selbstvergessen zum Fenster auf das eifrige Treiben hinausschaut, fängt jemand anders fröhlich eine Flocke auf dem Mantelärmel. Denn der Schnee verändert die Wahrnehmung. Es riecht sogar anders. Also braucht ein Buch über die "Juwelen des Winters", wie es im Untertitel heißt, jemanden, der den Schnee erlebbar, spürbar machen kann. Diese Rolle übernimmt Lars Gustafsson, Philosophieprofessor und berühmter Schriftsteller. Seine kleinen Geschichten, meistens Erinnerungen aus seiner Vergangenheit, wehen dem Leser "unzählige, bösartige trockene Kristalle" in die "Falten des Wollschals" und von dort aus in den Nacken. "Das alles war sehr schwedisch", erzählt der Dichter weiter. Und die Vorstellung von tief verschneiten einsamen Fichtenwäldern lässt einen frösteln.

Gustafsson hat dem Buch auch einige Gedichte überlassen, übersetzt von Verena Reichel, manchmal auch von Hans Magnus Enzensberger. In Verbindung zum Schneethema findet man in diesen Gedichten immer wieder das Motiv der Zeit zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit. Aber auch Leichtigkeit und Zartheit im Schneetreiben scheinen ihn besonders zu faszinieren, so beispielsweise im Gedicht: "Ich sehe meiner Tochter Spur im Schnee", wo es heißt:

"Sie ist so leicht, von ihrem Schritt besteht
nur dieses zarte Blau, dort, wo der Schatten steht.
Alles schwebt, wo meine Tochter geht. [...]
Wie eigentümlich launisch gehen unsre Uhren!
Und Schnee das einzige, was bleibt von ihren Spuren."

Zusammengenommen deckt das Autorentrio das Schneephänomen umfassend ab: Der Physiker erklärt und ist leicht zu verstehen. Die Fotografin zeigt mehr, als mit dem bloßem Auge zu sehen ist. Wegen dem Schriftsteller lohnt es sich, das Buch zu lesen. Insgesamt kann man sich aber des Eindrucks nicht verwehren, dass das Buch durch seine vermeintliche Vielschichtigkeit an Charme eher verloren hat. Es ist zu glatt und bleibt dadurch irgendwie kalt. Das Timbre des Kommerziellen macht es den Lesern und Leserinnen nicht leichter, vom Charakter des Buches überzeugt zu sein. Fehlt vielleicht etwas?

Da kann der Verlag Sanssouci aushelfen. In seiner Presseinformation wird geworben: "Kaufen Sie dazu das passende Nonbook: 'Juwel.' Schneeflocke aus Filz. Ein Baum- oder Schlüsselanhänger in Schneeflockenform, aus naturweißen Filz mit Lederband und Perle." Es bleibt zu fragen: Wer ist denn da die Zielgruppe?


Titelbild

Lars Gustafsson / Kenneth Libbrecht: Schneeflocken. Juwelen des Winters.
Übersetzt aus dem Englischen von Rainer von Savigny.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
68 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3725413746

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