Mit dem Willen zum Scheitern

Thomas Bernhards Roman "Ja" in einer Neuauflage anlässlich seines 75. Geburtstags

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"JA wäre am besten als weisses Buch, schwarz beschriftet", schreibt Thomas Bernhard am 22.11.1977 an seinen Verleger Siegried Unseld. Nun ist der eindrucksvolle Roman, der erstmals 1978 erschien, bei Suhrkamp in einer Neuauflage erschienen, versehen mit einem kurzen Nachwort von Raimund Fellinger - und der Außentitel leuchtet diesmal warngelb auf schwarzem Grund.

Das macht vor allem dann Sinn, wenn man weiß, dass sich das "Ja" der Perserin, eine von Bernhards wenigen positiven Frauenfiguren, in diesem Roman als ein nüchternes "Ja" zum eigenen Selbstmord entpuppt: Auf die Frage des Erzählers, ob sie sich eines Tages umbringen wolle, "hatte sie nur gelacht und Ja gesagt", heißt es nämlich gegen Ende des schmalen Buchs. Das ist es wohl, was man eine klassische "unerhörte Begebenheit" nennt.

Es ist gleichwohl einer der schönsten Romane Bernhards, in dem das Lachen über die Verzweiflung aus apodiktischen Feststellungen wie der folgenden resultiert: "Es gibt ja nur Gescheitertes. Indem wir wenigstens den Willen zum Scheitern haben, kommen wir vorwärts und wir müssen in allem und jedem immer wenigstens den Willen zum Scheitern haben, wenn wir nicht schon sehr früh zugrunde gehen wollen".

Wohl wahr. Es sind natürlich die typischen Bernhard-Themen, die hier wiederkehren. Allein schon das manische Gespräch mit dem Immobilienmakler Moritz in dessen "Leitzordnerzimmer", der Beginn des Buchs und eine Bernhard-Kult-Szene sondergleichen, ist voller autobiografischer Anspielungen auf die Freundschaft zu Bernhards Ohlsdorfer Nachbarn Karl Ignaz Hennetmair.

Wer dessen im Jahr 2000 im Residenz Verlag erschienenes 1972er Tagebuch gelesen hat, verfügt bereits über einschlägige Hintergrundinformationen und ahnt, von was für alltäglichen Situationen in "Ja" die Rede ist, wenn der Erzähler beschreibt, wie er aus seinem "kalten und finsteren Haus heraus durch den dichten und dumpfen Wald auf den Moritz wie auf ein lebensrettendes Opfer gestürzt" sei, um ihm gegenüber rücksichtslos alles über sich zu erzählen, was "aufzudecken gewesen war".

Knapper und zugleich deutlicher als in seinen vorangegangenen Romanen beschreibt Bernhards Text die Depression seines Erzählers, der mit seinen naturwissenschaftlichen Studien in eine hoffnungslose Sackgasse geraten ist, explizit: "Ich wachte auf und wachte in einen vollkommenen Lebensüberdruß hinein auf", heißt es da. "Wenn ich am Morgen etwas in Gang gebracht habe, war es nur der immer gleiche Mechanismus der Lebensunfähigkeit und der Lebensüberdrüssigkeit und an eine, auch nur die geringste Arbeit, war nicht mehr zu denken gewesen, was die Deprimation von Tag zu Tag verschlimmerte".

Derartige Sätze können, wie auch der erste des Romans, schon einmal über 67 Zeilen gehen. Und am Ende liest man, naturgemäß, die üblichen lakonischen Befunde geistigen Totalstillstands: "Anstatt arbeiten zu können, saß ich tagelang, wochenlang, monatelang über meinen Schriften, ohne mit ihnen auch nur das geringste anfangen zu können. Ich wachte auf und fürchtete mich vor meinen Schriften".

Für Bernhard'sche Verhältnisse ist in dem 141 Seiten kurzen Text jedoch das Auftauchen der besagten Perserin ungewöhnlich, die dem Buch zunächst sogar den Titel geben sollte. Eine werkgeschichtliche Information, die wir dem Nachwort Fellingers entnehmen können, das übrigens auch ein Faksimile des zitierten Briefs an Unseld enthält.

Mit der Perserin unternimmt der Protagonist Spaziergänge im Lärchenwald, führt dabei mit ihr lange Gespräche und findet schließlich so aus seiner eigenen Isolation hinaus. Dies ist zumindest bei Bernhards misogynen Misanthropen-Helden in den vor 1977 geschriebenen Romanen eine noch nicht zu findende Aufgeschlossenheit, um nicht zu sagen: Kontaktfreude - wenn sie auch in "Ja" Folge eines eindrücklich geschilderten Leidensdrucks des Erzählers ist. Den eigens angekündigten Tod seiner neuen Freundin, die von ihrem schweizer Mann in einem kalten, von Moritz erworbenen Haus alleingelassen wird, kann er jedoch am Ende nicht mehr verhindern.

Angesichts dieser bitteren Geschichte ist es nur logisch, dass im Roman einmal mehr Arthur Schopenhauers pessimistische Philosophie, namentlich sein Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" (1818/1819), vom Erzähler über den grünen Klee gelobt wird: "Mit diesem Buch war ich immer glücklich gewesen", behauptet er.

Und es gehört zu den typischen Paradoxien moderner Literatur, dass auch Bernhards tiefschwarzer Roman zu denjenigen zählt, die wir am Ende mit tiefster Befriedigung aus der Hand legen. Wer das noch nicht ausprobiert hat, sollte die neue, handliche Ausgabe von "Ja" einmal zum Anlass nehmen, den kühnen Selbstversuch zu wagen.


Titelbild

Thomas Bernhard: Ja.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
155 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3518417657

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