Bleib mir weg von der Politik

Kay Sokolowsky über "Michael Moore - Filmemacher, Volksheld, Staatsfeind"

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bush zitterte. Die Erbe bebte. Schweigen legte sich über das Kodak Theatre. Eine Milliarde Menschen sahen zu, als der linksdrehende Teddybär auf die Bühne gestampft kam und artikulierte, was sich eingeprägt hat: "Shame on you, Mr. Bush".

Er sagte noch ein paar andere Sätze, aber nicht viele. Nach 55 Sekunden war Michael Moore mit seiner Oscarrede fertig. Es dürften die grandiosesten 55 Sekunden seiner Karriere gewesen sein. Sein heiliger Krieg, vor einem riesigen Publikum, das nur darauf wartete, dass er wieder was Verrücktes tut. Dann holte die Regie Moore von der Bühne, Moderator Steve Martin riss einen Witz, die Buhrufe, der Beifall und die Gegenbuhrufe im Publikum hörten auf.

Natürlich, der Skandal war provoziert, und sicher von der Academy nicht anders erwartet worden. Immerhin war es Michael Moore, der da einen Oscar bekam. Der Mann kann nicht anders.

Das war damals, als der Irak-Krieg noch neu war und Michael Moore zwar nicht in der Lage, den wütenden Mob bis zum Weißen Haus zu treiben, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, aber immerhin in Buchläden, Kinos und überfüllte Säle, wo er seine One-Man-Show-Lesung abziehen durfte. "Jeder hat zu ihm eine Meinung", schreibt Kay Sokolowsky in seinem Buch "Michael Moore - Filmemacher, Volksheld, Staatsfeind". Dem Allgemeinplatz schiebt er gleich nach "Oder auch zwei". Besser kann man es kaum sagen. Die Meinungen haben sich verschoben. Der Antiamerikanismus der Alten Welt hat sich weitgehend gelegt, seit sein Alphatier Moore nichts mehr von seinem gerechten Zorn hören lässt. Seit Bushs Wiederwahl ist es ruhiger geworden um ihn, der Antagonist hat die erste Runde gewonnen. Moore macht erst mal Mittagspause.

Sokolowsky nutzt die Zeit für ein Porträt. Aber nicht das politische Phänomen Moore interessiert ihn - ohnehin ist Moores Wirkung auf die Politik immer schon denkbar gering gewesen, behauptet er. Seine Shows für das amerikanische Fernsehen mögen satirisch brillant gewesen sein. Politik haben sie nicht gemacht. "Roger & Me" konnte die Stadt Flint nicht vor dem wirtschaftlichen Untergang bewahren. "Fahrenheit 9/11" hat laut Untersuchungen amerikanischer Medieninstitute keine Wähler für Kerry mobilisieren können, sondern höchstens die Fronten noch verhärtet.

Sokolowsky interessiert sich für das Medienphänomen Moore, mit all seinen Widersprüchen und Unauflösbarkeiten. Sein Porträt ist eine Quellensichtung, in der es keine richtigen oder falschen Geschichten gibt. Meistens gibt es drei oder mehr Varianten, kommt darauf an, wer erzählt. Oder wann erzählt wird. Allein Michael Moore hat zu verschiedenen Anlässen mindestens drei verschiedene Versionen des Skandals mit der Oscarrede erzählt. Dazu kommt noch, was seine Feinde und natürlich auch seine Befürworter so denken. Mal ganz abgesehen von Freunden, Lehrern, ehemaligen Klassenkampfbrüdern, Nachbars Katze und sämtlichen verfügbaren Medien.

Die ersten zwei Drittel des Buches gehen so: Stück für Stück montiert Sokolowsky das Leben des Medienmenschen Moore, sammelt akribisch alles, was über ihn an die Öffentlichkeit gelangt ist und kommentiert es. Das ergibt tatsächlich ein Bild Moores. Das Bild eines ideologiebetriebenen Egomanen und begnadeten Entertainers, der sich für sein höheres Ziel auch mal die Fakten so hinbiegt, wie er sie haben möchte. Der aber damit so Unrecht vielleicht gar nicht hat.

Er wollte eigentlich objektiv sein, schreibt Sokolowsky. Aber: "Ich hätte besser auf meine Ahnung hören sollen: dass dies selbst dann nicht funktioniert hätte, wenn Moore schon hundert Jahre tot wäre". Also ist Sokolowsky gnadenlos subjektiv. Was nichts als konsequent ist. Alles, was er so eingesammelt hat, ist subjektiv. Und Moore ist der König des Subjektiven. Sokolowsky versteckt seine Sympathien nicht. Die "beste Parallelmontage seit 'Der Pate'" sei in "Roger & Me" zu finden, schreibt er. Und politisch war Michael Moore "wie geschaffen für den Job, den Linken eine Stimme zu leihen". Man kann über so etwas streiten. Muss man aber nicht.

Sokolowsky lässt es sich nicht nehmen, en passant und in bester Moore-Manier die Bigotterie des deutschen Feuilletons vorzuführen. Robert Misik spricht zwar wahr, hat aber nicht den "Schneid" Moores. Der Stern "schlaubergert" so vor sich hin. Und überhaupt: Informiert ist kaum einer richtig, "Recherche kostet schließlich Zeit". Ganz zu schweigen von amerikanischen Medien, die - man ahnt es - prinzipiell böse Maschinen der Werbewirtschaft sind.

Zum Glück ist Sokolowsky dabei anfangs nicht ganz so laut wie Moore, nicht ganz so einseitig. Gerade deshalb gehen die Schläge mitten ins Gesicht. Sokolowsky arbeitet feiner als Moore, und ungleich differenzierter. Seine subjektive Position rechtfertigt die Kritik. Seine Fähigkeit zur Distanz, das eiskalte Offenlegen von Moores weniger positiven Seiten macht sie umso härter.

So gelingt Sokolowsky in den ersten beiden Dritteln das Wunderbare: Über das Porträt des Medienphänomens Moore nebenbei noch die Medien, wie sie über Moore berichten, als Phänomen abzuhandeln und zu kritisieren.

Die akribisch recherchierten und gesammelten Fakten geben all dem den nötigen Rückhalt, mit dem Sokolowsky erreicht, was Moore nie erreicht hat: Subjektiv zu sein. Und fair.

Dann aber macht der Autor alles kaputt. Denn leider gibt es da noch das letzte Drittel des Buches. Da versteigt Sokolowsky sich in Ideologismen. Ab der Kapitelüberschrift "Der letzte linke Held" geraten die zynischen Spitzen gegen die deutsche, nein internationale Medien- und Politiklandschaft zur Hauptsache, nein, zur Schlammschlacht, wird Moore nur noch zum Symptom einer sich selbst zerfleischenden Weltlinken degradiert, verkommen die ersten (wirklich grandiosen) zwei Drittel des Buches zu einer Vorbereitung für die ganz dicken Brötchen, die Sokolowsky schnell noch backen möchte.

Der Niedergang der Linken, der Sieg des Kapitalismus mit all seinen Schweinereien etc., das alles wirkt schlicht fehl am Platz, ist zu groß aufgeblasenes Ideologiegestammel, aufgezogen an Michael Moore, der das so nur mit einiger Herauslesearbeit hergeben kann. Interessanterweise ist das genau ein Punkt, den Sokolowsky im Kapitel "Ego und Eitelkeit" an Moore kritisiert, nämlich das Bedürfnis, jeden noch so riesigen Sachverhalt schnell noch auf zwei Seiten ideologisch aufzuladen und einseitig abzuhandeln. Sokolowksy ist, was Moore angeht, vorbildlich subjektiv-distanziert. Bei der Politik aber lässt er nicht mit sich spaßen. Leider hat Sokolowsky dabei noch nicht einmal die Selbstironie eines Michael Moore, die zwar nichts besser macht, aber erträglicher, weil sie wenigstens noch auf ein paar Pointen hinausläuft. Sokolowsky nimmt seiner Kritik dadurch viel von ihrer Kraft.

Seine schönsten Momente hat das Buch, wenn der Autor von Moores Schabernack berichtet. Und nicht, wenn er der Meinung ist, in aller Kürze noch undifferenziert den desolaten Zustand des Kapitalismus, des Feuilletons sowie der Linken kritisieren zu müssen, und das mit dieser Humorlosigkeit, die typisch dafür ist, wie Linke mit ihren Dogmen umgehen.

Nicht dass Sokolowsky keine Ahnung von dem hätte, was er da schreibt. Nicht dass es nicht nötig wäre, es zu artikulieren. Aber er hätte bei Michael Moore bleiben und die dicken Brötchen woanders backen sollen. Oder es gleich anderen überlassen. Genauso übrigens die Wahl des Untertitels für sein Buch.


Titelbild

Kay Sokolowsky: Michael Moore. Filmemacher, Volksfeind, Staatsfeind.
Konkret Literaturverlag, Hamburg 2005.
199 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3894582383

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