Beschriebene Schreibhemmung

Georg Jansen untersucht Thomas Bernhards 'intertextuelle Destruktionen'

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ging Thomas Bernhard "hemdsärmelig" mit der Weltliteratur um? Der Literaturwissenschaftler Georg Jansen meint: ja. Nach seinem Dafürhalten ist die Frage nach der Intertextualität im Werk des österreichischen Schriftstellers, der einen Roman auch schon einmal mittels flüchtiger Notizen auf einer Waschmaschinenanleitung entwerfen konnte, zumindest nur dann schlüssig zu beantworten, wenn man den 'auslöschenden', 'verstümmelnden' Gestus in Bernhards zitierendem Schreiben ernst nehme.

In seiner Dissertation "Prinzip und Prozess Auslöschung. Intertextuelle Destruktion und Konstitution des Romans bei Thomas Bernhard" kommt der Autor zum Schluss, Bernhards Spätwerk "Auslöschung. Ein Zerfall" (1986) entstehe "vor einem Panorama der Schriftlichkeit, das in dem Verständnis einer im Text ausgetragenen Zwiesprache mit den kanonischen Schriften der deutschen und der europäischen Literatur nur eingeengt wahrgenommen werden" könne.

Bernhards Protagonist Franz-Josef Murau, der nach einer früheren Zählung des Literaturwissenschaftlers Joachim Hoell im Romantext immerhin "49 Autoren und 22 Werke" zitiert, 'verstümmele' laut Jansen die aufgerufenen Geistesgrößen und ihre Werke dabei derart, "dass für ihre Anführung kaum eine thematische Relevanz reklamiert werden kann". So jedenfalls lautet der abschließende Befund im mit zweieinhalb Seiten für eine Dissertation geradezu rekordverdächtig knappen Schlusswort der Studie. "Die Destruktion aber der Referenztexte im Moment der Bezugnahme markiert die Stelle, von der aus die Konstitution des neuen, des 'unerhörten' Werks ihren Ausgang nimmt", schließt der Autor.

Dass Bernhards Zitatismus jenseits der Nennung bloßer Autornamen und Buchtitel zumindest auf den ersten Blick keine tiefere Bedeutung habe, ist allerdings in der Bernhard-Forschung, um es einmal knapp zu formulieren, als Arbeitshypothese keine große Neuigkeit. Mittlerweile liegen nämlich schon eine ganze Reihe intertextueller Untersuchungen zum Bernhards Werk vor, die sich sinnfälliger Weise meist mit "Auslöschung" beschäftigen, Bernhards umfangreichstem und mit den meisten expliziten literarischen Verweisen gespicktem Roman.

Auch Jansen reiht sich also nun hier ein und geht dabei tendenziell auf Distanz zu Hoells Studie von 1995 ("Der 'literarische Realitätenvermittler'. Die 'Liegenschaften' in Thomas Bernhards Roman 'Auslöschung', Berlin 1995). Diese Arbeit, die übrigens wie auch die Jansens bei Anke Bennholdt-Thomsen an der Freien Universität Berlin entstand, bemüht sich redlich, hinter den in Bernhards Roman auftauchenden literarischen Verweisen mehr Anhaltspunkte für die konkrete Interpretation aufzufinden, als ein bloßes und dubioses name dropping. "Eine 'Präsenz der Prätexte' ist bloße Präsenz in der Vorstellung des Lesers, deren Aktualisierung im Phänotext selbst nicht vorliegt, sondern allenfalls das Signal an den Leser, diese zu leisten", urteilt dagegen Jansen.

Sein Interesse gilt deshalb weniger der Frage nach der "überbordenden Fülle an intertextuellen Signalen auf andere Autoren und Texte", die sich in Bernhards letztpubliziertem Roman finden, als den "in der erzählten Welt von 'Auslöschung' genannten Schriftideen und Texte" Muraus selbst, die "bisher nicht Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchung geworden sind".

Besonderes Augenmerk richtet Jansen zudem auf genuin ästhetische Zusammenhänge zwischen dem Thema und dem Vorgang des Schreibens bei Franz Kafka, vor allem im "Process", und Bernhards "Auslöschung". In Josef K.s hilflos angestrebter "Eingabe" bei Gericht und Muraus scheiternder Schrift 'Auslöschung', die sich in Bernhards Roman erst im letzten Satz für den Leser durch eine plötzlich angedeutete Herausgeberfiktion als das vorliegende Fragment des Werks selbst herausstellt, erkennt Jansen ähnliche Prinzipien moderner Literaturkonstitution.

Statt der geplanten Schrift wachsen demnach sowohl in Kafkas als auch in Bernhards Text "die Notate über den Umgang mit dieser nicht zu verwirklichen Idee, die Überlegungen zu den Bedingungen ihrer Möglichkeit an und zeitigen Ihrerseits eine Schrift, die nicht mit der geplanten verwechselt werden darf", jedoch "dennoch zu ihr in einem eigentümlichen Bedingungsverhältnis" stehe. Genauer: Das Scheitern werde hier "als nicht zu überwindende Bedingung solchen Schreibens schließlich anerkannt und von beiden Autoren auf ähnliche Weise im Sinn des dennoch zu schaffenden Werks umgedeutet und für dasselbe produktiv gemacht".

Diese einleuchtende Kongruenz zwischen dem Schreiben Bernhards und Kafkas genauer dargestellt und untersucht zu haben, ist denn wohl auch der Hauptverdienst von Jansens Studie, die ansonsten eher als routinierte Stilübung in einem sich unangreifbar gerierenden, staubtrocken klingenden Seminarsprech daherkommt. Das amüsanteste an Jansens Arbeit sind tatsächlich noch die müden Insiderwitze in der vorangestellten Danksagung, in der der Autor u. a. einem Freund "für die vielen Steilpässe aus trübem Mittelbau zurück auf Augenhöhe" und zwei weiteren "für die wunderbare Schlussphase auf dem polnischen Hochstand" dankt - was auch immer sich dort im Einzelnen abgespielt haben mag.

Ein Umstand, den man einer fachwissenschaftlichen Dissertation freilich schwer vorwerfen kann. Sehr wohl monieren könnte man allerdings die über weite Strecken der Studie feststellbare, merkwürdige Totalverknappung der einzelnen Argumentationsabschnitte, die auch schon einmal dazu führen kann, dass ein Unterkapitel gerade einmal 6 Zeilen kommentierenden Texts enthält, der sich um ein bescheidenes Bernhard'sches Kurzzitat drängt.

Irgendwie fehlt diesem einsilbigen Buch, einmal abgesehen von dem das Lesevergnügen dann doch auf Dauer stark mindernden Wissenschaftsjargon, selbst über weite Passagen jene größere inhaltliche Substanz, die an Bernhards 'hemdsärmeligem' Zitatismus konstatiert wird. Das liegt jedoch ganz einfach daran, dass Jansens nett gemeinte Thesen nicht gerade zu einer Revision der bisherigen Bernhard-Forschung führen dürften.

Jansens bescheidene literaturwissenschaftliche Ergebnisse in der gegebenen Kürze abzuhandeln, war da wohl unumgänglich, um im Verlagshause Königshausen & Neumann einer größeren Papierverschwendung entschlossen vorzubeugen. Dafür, und nicht zuletzt für die großzügige Ersparnis unserer kostbaren Lesezeit, sei dem Autor nochmals recht herzlich gedankt.


Titelbild

Georg Jansen: Prinzip und Prozess Auslöschung. Intertextuelle Destruktion und Konstitution des Romans bei Thomas Bernhard.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2005.
214 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3826031415

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