Geheime Weisheit

Die Korrespondenz des Illuminatenordens 1776-1781

Von Andreas KorpásRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Korpás

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Epoche der Aufklärung hat in den vergangenen Jahren im Lichte der Forschung ihr Gesicht nachhaltig verändert. Die Forschung hat gezeigt, dass nicht die Vernunft allein diese Epoche bestimmte, sondern etwas Anderes hinzutrat, etwas das bisher sehr ungenügend mit den Begriffen "dunkle Seite" oder das "Andere der Vernunft" bezeichnet wurde. Die Erforschung des 18. Jahrhunderts hat weiterhin die Erkenntnis zu Tage gefördert, dass dieses namenlose Dunkle oder Andere nicht unbedingt im Gegensatz zur Epochenpräferenz der Vernunft stehen musste. Ganz im Gegenteil gehen Vernunft und Anti-Vernunft oft gemeinsame Wege, nisten sich ein in gemeinsamen Zirkeln, wohnen zusammen unter einem Dach.

Ein wichtiger Beitrag zur Aufklärungsforschung ist im Herbst 2005 im Niemeyer-Verlag in Tübingen erschienen. Es handelt sich um den ersten Band eines mehrteilig konzipierten Briefbands zur "Korrespondenz des Illuminatenordens". Er enthält "die von der kurpfälzischen Regierung zum Zweck der Diskreditierung des Ordens und besonders seines Gründers in zwei Bänden publizierten Briefe", aber auch eine Reihe bislang nur schwer zugänglichen Materials und "zahlreiche bislang unveröffentlichte Dokumente".

Insbesondere die Briefe des Constanzo Marchese di Constanzo verweisen auf die bislang wenig bekannte Bedeutung des Italieners für die frühe Verbreitung des Ordens. Er war es auch, der den berühmten Freiherrn von Knigge anwarb, ein für die europaweite Ausdehnung des Ordens kaum zu unterschätzender Gewinn. Im besonderen Maße interessant und sicherlich ein Meilenstein für die zukünftige Freimaurer- bzw. Illuminatenforschung ist die vorbildlich recherchierte Einleitung Reinhard Markners, die einen kenntnisreichen Wissenstand über die Quellenlage und den Verbleib der Ordenspapiere vermittelt. Im Anhang der Edition findet sich eine ausführliche Zusammenstellung der Aktenvermerke, welche im Anschluss an die Hausdurchsuchungen bei den frühen Illuminaten Wieland und Zwackh am 11. und 12. Oktober 1786 angefertigt wurden. Weiterhin wurde der Inhalt des sogenannten "Geheimen Hausarchivs", sowie der Nachlass Friedrich Kunstmanns, der in der Universitätsbibliothek München aufbewahrt wird, als Übersicht im Anhang abgedruckt. Die Herausgeber Reinhard Markner, Monika Neugebauer-Wölk und Hermann Schüttler sind ausgewiesene Spezialisten der Freimaurerforschung des 18. Jahrhunderts. Die Edition entstand im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts zur "Aufklärung im Bezugsfeld neuzeitlicher Esoterik" und ist angesiedelt am "Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung" der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Damit ist das Projekt eingebettet in ein weit gespanntes Forschungsvorhaben, welches nicht nur die Freimaurerkultur oder den Illuminatenbund im Auge hat, sondern sich der Erforschung einer Tradition widmet, welche das gesamte 18. Jahrhundert durchzieht und immer wieder aufleuchtet, durch die einseitige Fixierung auf die Vernunft und die Französische Revolution bislang zumeist ausgeblendet wurde.

Warum aber gerade ein Briefband? "Der Grund dafür war die Überlegung, dass die Briefe, die die Mitglieder des Geheimbundes miteinander ausgetauscht haben, von ihrer Entstehungssituation her dem tatsächlichen Denken und den ganz persönlichen Intentionen der Betroffenen am nächsten kommen." Der Band beabsichtigt keine neuen Theorieentwürfe über die Ziele des Illuminatenordens. Er möchte auch nicht den zumeist literarisch motivierten Spekulationen über eine illuminatische Weltverschwörung neue Nahrung geben. Er lässt die Betroffenen vielmehr selbst in ihren überlieferten Zeugnissen sprechen. Dadurch wird ein Bild gezeichnet, welches häufig sehr wenig mit einem geheimnisvollen Orden zu tun hat, welcher die Weltherrschaft an sich reißen möchte. Vielmehr sind die ersten beiden Jahre zwischen der Gründung im Mai 1776 bis 1778 angefüllt von Eifersüchteleien um den Führungsanspruch bis hin zu Streitereien um die kaum gefüllte Kasse des Ordens, die schließlich zur Gründung des Führungsgremiums, des sogenannten Areopagits, führten.

Ja, der Leser blickt hinter die Kulissen und sieht einem kleinen "Verein" bei der sprichwörtlichen "Vereinsmeierei" zu. Die rasante Ausbreitung des Ordens bis zum Verbot in Bayern (1785/85, 1787) beginnt erst um 1780 und fällt im Wesentlichen in die Zeit nach 1781. Deshalb wird sie in den hier abgedruckten Briefen kaum gespiegelt. Gerade die häufige Unbeholfenheit der Akteure, das Provisorische des Ordens, der in diesen Jahren eher einem Projekt als einer nach außen gefestigten Institution gleicht, macht diese Edition besonders lesenswert. Hinter den Namen steigen Menschen mit all ihren Schwächen empor und werden dadurch (be)greifbar. Ein wiederkehrender Inhalt der Briefe sind Ermahnungen zur fleißigeren Arbeit, Aufforderungen zur Anwerbung neuer Mitglieder, Änderungsanzeigen von Ordensnamen und Vorschläge zur Einrichtung oder Änderung von Regularien. Das Provisorische des Ordens war dem Gründer Adam Weishaupt, Professor für Staats- und Kirchenrecht an der Universität Ingolstadt, durchaus bewusst: "Ist das ganze System einmal besser reguliert, so kann erst mit Ernst auf die Regierungsforme gedacht werden, die ins künftige seyn soll." (Weishaupt an Zwackh und Hertel, Oktober 1778). Nicht einmal über den Ordensnamen bestand von Beginn an Einigkeit. Der heute weithin bekannte und im 19. Jahrhundert wieder aufgegriffene Ordensname war also mehr ein Zufallsprodukt oder Platzhalter und entstand mangels besserer Alternativen.

Das Ziel des Ordens ist mit Verbreitung der Aufklärung und Herrschaft der Vernunft grob umrissen, aber nicht exakt bestimmt. Das Ordensstatut beschreibt die Aufgabenstellung in mehreren Punkten. Demzufolge "verbreitet" der Orden "Wissenschaften, Künste, Industrie, gesellschaftliche Neigungen und Tugend, und hindert, was ihnen entgegensteht.". Gleichfalls interessant und typisch für die Freimauerkultur nicht nur des 18. Jahrhunderts ist der ausgesprochene Gleichstellungsanspruch, denn: "Unter Ordensbrüdern allein aber verschwindet aller Unterschied des Stands, den man in der bürgerlichen Gesellschaft hat, und gelten bloß allein Alter und Charakter, den man im Orden hat." Name und Stand des Illuminaten bleiben im Verborgenen. Jedes Mitglied erhält einen eigenen Ordensnamen. Der des Gründers Adam Weishaupt war "Spartacus". Weishaupt, ehemaliger Jesuit, stand der übrigen Professorenschaft der Universität isoliert gegenüber. Sein recht egozentrisches Wesen mag dazu beigetragen haben. Andererseits wurde gerade die juristische Fakultät von jeher von Jesuiten kontrolliert, was Weishaupt, der mit dem katholischen Orden gebrochen hatte, ein Stachel im Fleische gewesen sein muss. Es ging also zunächst um die Ausweitung und Sicherung des eigenen, inneruniversitären Einflussbereichs, aber auch langfristig um eine politische Neuorientierung der deutschen Staaten, ja ganz Europas, die von Bayern ihren Ausgang nehmen sollte. Noch vor der Verkündigung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung hatte also ein Jura-Professor in einer bayrischen Kleinstadt beschlossen, die Aufklärungsideale auf politischem Wege durchzusetzen. Die lokalen Angaben des Ordens wurden nach einem geheimen Katalog bestimmt. Es wurden Provinzen mit eigenen Präfekturen und einem Direktorium eingerichtet. Der Bayerische Kreis z. B. erhielt den Namen "Griechenland", das Herzogtum Bayern bekam den Namen "Achaia" und das Zentrum dieser Verwaltungseinheit (Direktorium) hieß "Athen" (München).

Der Ausgangspunkt des Ordens, das bayerische Ingolstadt, wurde in den Briefen der Ordensmitglieder "Eleusis" genannt. Selbst der Kalender wurde, entsprechend dem uralten Zoroastrischen Kalender, umgestellt. Die Organisationsstruktur gehorchte einer strengen Hierarchie und äußerster Geheimhaltungspflicht. Jedes Mitglied kannte jeweils nur die Ordensnamen fünf weiterer Mitglieder auf derselben Ebene und ein Mitglied auf der nächst höheren Ebene. In regelmäßigen Abständen musste jedes Mitglied eine Art Rechenschaftsbericht, "quibus licet" genannt, an ein bestimmtes ranghöheres Mitglied übergeben. Darin wurden die Fortschritte auf dem Weg zur Tugend, aber auch Gefahren, die es zu umschiffen galt, und Fehltritte beschrieben. Zugleich war jedes Mitglied dazu angehalten, auch über andere Mitglieder Bericht zu geben. So entstand ein sehr dichtes Netz der gegenseitigen Kontrolle, welches trotz der Gegnerschaft zu den Jesuiten von diesen kopiert wurde und das Vorbildcharakter für die Sicherheitssysteme späterer Diktaturen haben sollte. Da ein solcherart streng organisiertes System einer Art Staat im Staate mit sehr einflussreichen Persönlichkeiten wie J. W. Goethe, J. G. Herder, F. H. Jacobi, K. T. A. Dalberg, den Philosophieprofessoren K. L. Reinhold, J. H. Feder und C. Meiners, dem bekannten dänischen Dichter J. Baggesen, dem Mediziner C. W. F. Hufeland, dem Minister in Braunschweig und späteren preußischen Staatsminister Karl August Fürst von Hardenberg-Reventlow oder den Herzögen Ernst II. von Sachsen-Gotha und Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach natürlich auch eine gewisse Gefahr für die innere Stabilität eines Staates darstellen kann, vor allem dann, wenn die Frage der Loyalität nicht mehr eindeutig zu beantworten ist, reagierte Karl Theodor, der regierende Fürst von Bayern, entsprechend hart. Als durch nähere Untersuchung einer politischen Affäre die Verstrickung des Ordens bekannt und die Existenz des Illuminatenordens damit ruchbar wurde, erfolgten in den Jahren 1784/85 mehrere Verbote, die von Verhaftungen und Ausweisungen begleitet waren. Ab 1787 wurde die Anwerbetätigkeit für den Orden in Bayern unter Todesstrafe gestellt. Weishaupt, der wegen einer inneruniversitären Angelegenheit zuvor bereits die Universität Ingolstadt verlassen musste, floh über Regensburg nach Gotha in die Obhut des Fürsten und Bruders Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha. An dessen Hof lebte er als Hofrat bis an seine Lebensende. Jedoch wurde der Illuminatenorden im Untergrund weitergeführt bzw. in den "Bund der deutschen Freimaurer" überführt und kam wohl erst zehn Jahre später ganz zum Erliegen. Nachfolger Weishaupts wurde der seinerzeit bekannte Komponist, Übersetzer und Verleger J. J. C. Bode, ein in Freimaurerkreisen bereits etablierter Kopf. Überhaupt ist das Verhältnis des Illuminatenordens zur Freimaurerei nicht ganz eindeutig. Nachweislich gibt es zahlreiche Doppelmitgliedschaften, denn die Mitgliedschaft in einem Freimaurerorden stellte nach der von dem weithin bekannten Publizisten Knigge inspirierten Reform des Ordens 1780 eine Voraussetzung für die Aufnahme dar. Aus den ursprünglich drei Graden der "geheimen Weisheitsschule" - "Noviziat", "Minervale" und "Illuminatus minor" wurden sechs Stufen, welche auf die drei klassischen Freimaurergrade "Lehrling", "Geselle" und "Meister" den Grad des "Illuminatus maior" ("Schottischer Novize"), "Illuminatus dirigens" ("Schottischer Ritter") und die beiden Mysterienklassen ("kleine" und "große Mysterien" = "Priester", "Regent", "Prinzeps" und "Magus" / "Philosophus" bzw. "Rex" / "Docetus") folgen ließen. Knigges unermüdliche Arbeit war es eigentlich, welche den Orden aus seiner Provinzialität herausholte und zu einem "Staat im Staate" werden ließ. Nach eigenen Angaben hat er allein über 500 neue Mitglieder angeworben. Umso größer muss die Verbitterung nach seinem Streit mit Weishaupt und dem anschließenden Austritt 1784 gewesen sein. Die Phase des Beitritts Knigges und seines ersten "quibus licet" ist jetzt durch den ersten Band der "Korrespondenz des Illuminatenordens" sehr gut nachvollziehbar. Andererseits stellte sich der Orden gegen das in der deutschen Freimaurerei vorherrschende System der "Strikten Observanz", das nach dem Wilhelmsbader Konvent und dem Tod des Begründers, Karl Gotthelfs von Hund und Altengrottkaus, 1782 massiv an Einfluss zu verlieren begann. Die Illuminaten selbst verstanden sich als eine Elite der Freimaurerei, nicht nur der deutschen, sondern der gesamteuropäischen. Logen bestanden in Italien, Dänemark, Russland, Ungarn und ab Mitte der 1780er Jahre wohl auch in Frankreich.

Über die Zahl der Mitglieder des Ordens gibt es unterschiedliche Angaben. Sie schwanken zwischen 1500 und 2500 zum Zeitpunkt der weitesten Verbreitung. Die maximale Zahl der Niederlassungen wird mit 70 angegeben. Die Illuminaten hatten, entgegen den freimaurerischen Gepflogenheiten, ausgesprochen politische Ziele. Außerdem bestand die Geheimhaltungspflicht der Mitgliedschaft in einem viel stärkeren Maß als in bestehenden Freimaurerzirkeln. Die Illuminaten versuchten das vorhandene System der Freimaurerei zu unterlaufen und für ihre Zwecke zu nutzen. Der Mythos von der illuminatischen Verschwörung, die zum Ausbruch der Revolution in Frankreich geführt hätte, entstand bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wurde von ehemaligen, nach der Veröffentlichung der Ordensakten in Bayern enttäuschten Illuminaten selbst verbreitet. Hierbei tat sich vor allem in Frankreich Augustin Barruel ("Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus", 1800) hervor. In der Tat sind Verbindungen zwischen französischen Illuminaten und Jakobinerclubs nachweisbar, die aber wohl mehr zufälligen, denn historisch notwendigen Charakter haben. Die Geschichtsphilosophie Weishaupts betont zwar die Rechtmäßigkeit des Eingreifens des Menschen in den Gang der Geschichte. Die Morphologie der Geschichte wird dadurch nicht gestört, der handelnde Eingriff ist ein Teil der Entwicklung. Der gewaltsame Umsturz aber widerspricht dem Prinzip des Ordens, welcher auf Bildung und Vereinnahmung des Staatsapparates durch Infiltration ausgerichtet ist. Die gezielte Verleumdung des Illuminatenordens besonders in Frankreich stand auch mit einer Namensgleichheit in Zusammenhang. Dort hatte sich um 1770 unter Martinez des Pasqually und dessen ehemaligem Privatsekretär Louis Claude de Saint-Martin ein System des sogenannten "Illuminisme" verbreitet, welches aber eine den deutschen Illuminaten entgegengesetzte, spiritualistische und gegenaufklärerische Tendenz verfolgte. Dieser "Illuminisme" stand vielmehr den deutschen "Gold- und Rosenkreuzern" nahe, die von den Illuminaten heftig bekämpft wurden.

Die allgemeine Forschungslage zum Illuminatenorden hat sich seit den 70er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ständig verbessert. Stellte Richard van Dülmens Veröffentlichung "Der Geheimbund der Illuminaten" (1975) so etwas wie einen Neubeginn der Illuminatenforschung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg dar, so kamen mit den Veröffentlichungen Jan Racholds (1984), Manfred Agethens (1984), Hermann Schüttlers (1991) und Müller-Seidels (2005) eine Reihe weiterer unterschiedlich motivierter Arbeiten hinzu. "Die Korrespondenz des Illuminatenordens. Band I: 1776-1781" bildet den bisherigen Abschluss dieser Forschungslinie. Wichtige Leitlinien, Decknamen und Symbole sind nun in ihrer chronlogischen Entwicklung vom Vorschlag bis zur Eingliederung in den Ordensritus nachvollziehbar.

Der Band ist über die neuen Einblicke in die Ordensstruktur hinaus ein wertvolles Dokument für die Erforschung des 18. Jahrhunderts. Er richtet sich vor allem an ein an der Geschichte, Politik und Philosophie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts interessiertes Fachpublikum. Interessierte und gut informierte Laien dürften jedoch gleichfalls ihre Freude an diesem Band haben. Die zukünftige Freimaurer- und Illuminatenforschung wird an dieser Edition nicht mehr vorbeikommen. Auf das baldige Erscheinen des zweiten Bands bleibt ausdrücklich zu hoffen.


Titelbild

Die Korrespondenz des Illuminatenordens. Band 1. 1776-1781.
Herausgegeben von Reinhard Markner, Monika Neugebauer-Wölk und Hermann Schüttler.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005.
484 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3484108819

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch