Der Augenkitzel des Krieges

Mit Bildkommunikation und Krieg beschäftigt sich der neue Sammelband von Thomas Knieper und Marion G. Müller

Von Anne UlrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Ulrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Kriege ohne Bilder existieren in der öffentlichen Wahrnehmung nicht", sagen die Kommunikationswissenschaftler Thomas Knieper und Marion G. Müller. Welcher Logik gehorcht dann die visuelle Kriegsberichterstattung? Wie wurde sie historisch geprägt und welche Tendenzen sind besonders nach dem jüngsten, oft als expliziter Bilderkrieg bezeichneten Irakkrieg 2003 abzusehen? Fragen wie diese stellen sich Knieper und Müller in "War Visions. Bildkommunikation und Krieg", in dem sie in bewährter editorischer Teamarbeit die Beiträge einer gleichnamigen Fachtagung aus dem Jahr 2003 versammeln und sie um weitere ergänzen. Damit erheben sie zu Recht den Anspruch, den aktuellen Forschungsstand zu repräsentieren.

Der Band ist vielseitig, dicht, detailreich und bietet eine Fülle an Deutungen und Anregungen. 19 Aufsätze von 26 Autorinnen und Autoren - meist aus der Medien- und Kommunikationswissenschaft, aber auch aus der (Kunst-)Geschichte oder dem praktischen Journalismus - zeigen, dass die Bildkommunikation im und über den Krieg nun wirklich im Begriff ist, sich als eigenständiges Gebiet der Bildwissenschaft zu etablieren. Vier Überschriften strukturieren den Band und damit das weite Feld der Kriegsbildkommunikation: erstens "Das Bild vom Krieg im historischen Wandel", zweitens "Visuelle Kriegsberichterstattung", drittens "Kriegsbilder in der Populärkultur" und viertens "Täter und Opfer: Die Ikonisierung des Krieges". Aus Platzgründen können hier leider nur stellvertretend einige Beiträge besprochen werden.

Im Bereich der Theorie konkurrieren die von Peter Ludes postulierten 'Schlüsselbilder' mit den 'Medienikonen' um den Pokal des tragfähigsten Konzepts zur Beschreibung und Deutung transkultureller sowie über Epochen hinweg tradierter Bildkommunikation. Während die Schlüsselbilder als Konzept besonders für leitmotivische Standbilder oder Sequenzen in der Berichterstattung geeignet sind, scheinen Kathrin Fahlenbrach und Reinhold Viehoff mit dem Begriff der Medienikonen und besonders der "Ikonisierung der primären Wahrnehmung" eine adäquate Beschreibung der Karrieren erfolgreicher Visualisierungsstrategien gefunden zu haben. In ihrem fundierten Beitrag über den ikonoklastischen Sturz der Hussein-Statue in Bagdad entlarven sie auf dieser Theoriegrundlage die symbolische Entthronung Saddam Husseins als kurzfristig geglückte, bei der Verankerung ins kollektive Gedächtnis jedoch gescheiterte visuelle Inszenierung.

Die Aufsätze zum Irakkrieg und den Anschlägen vom 11. September 2001 konstatieren unterschiedliche Tendenzen in der Berichterstattung: Demnach werde die Kriegsberichterstattung generell globalisiert und ökonomisiert, hybridisiert, narrativiert beziehungsweise metakommunikativ reflektiert. Insbesondere bei der von Sebastian Köhler konstatierten "narrativistischen Tendenz" wird jedoch deutlich, dass sich manche Autoren nicht streng auf die Analyse des Visuellen beschränken, sondern die Interpretation der Bilder durch die Verbalsprache stillschweigend voraussetzen. Wie sonst können aneinander montierte Filmsequenzen oder die monothematische Einstellung eines sprechenden Auslandskorrespondenten ohne weiteres als Erzählungen interpretiert werden? Sicherlich ist der Fernsehtext als Ensemble von Bild, Schrift, Ton und Montage ein "komplexes Quellenkorpus", dessen Ebenen nicht einfach isoliert betrachtet werden können - doch zumindest die analytische Trennung sollte in einem Band über Bildkommunikation im Krieg gegeben sein. Sonst passiert es schnell, dass Deutungen nicht aus dem Bildprogramm selbst entwickelt, sondern aus anderen Kontexten einfach auf die Bilder appliziert werden, wie das etwa bei Petra Dorsch-Jungsbergers Studie über die inszenierte Kriegsheldin Jessica Lynch der Fall ist. Lynchs blonde Haarfarbe ist auf der abgebildeten Newsweek-Coverfotografie schlichtweg nicht zu erkennen. Dieses Bild eignet sich daher denkbar schlecht als Ausgangspunkt für eine kulturwissenschaftliche Blondinen-Assoziation - auch wenn die Beobachtung im Inszenierungskontext nicht uninteressant erscheinen mag.

Neben Jürgen Wilke und Gerhard Paul, die sich mehrfach mit der (Medien-)Geschichte von Kriegsvisualisierungen beschäftigt haben, untersucht Elke Anna Werner im historischen Teil die Geschichte der visuellen Inszenierung von Augenzeugenschaft von der Belagerungsikonografie der Frühen Neuzeit bis hin zur fernsehgerechten Präsentation der 'embedded journalists' im Irakkrieg. So gelingt es ihr zu klären, unter welchen Bedingungen auch heute noch ein Bild als authentisch empfunden wird.

Der recht heterogene Teil zur visuellen Kriegsberichterstattung zeigt zunächst einmal, dass momentan ein Mix aus quantitativen und qualitativen Methoden angesagt ist, um den Potentialen der Kriegsbilder am besten auf die Spur zu kommen. Besonders beschäftigt die Autoren, dass die globale Massenkommunikation nun nach transkulturellen Bildern verlangt und dass technische Innovationen wie halbautomatische Bilderfassungen ebenfalls die Standardisierung von Schlüsselbildern vorantreiben. Die Konvergenzthese weitet sich in der Kriegskommunikation also auf den Globus aus. Einen weiteren roten Faden bildet die visuelle Rhetorik. Begriffe wie die 'Unmittelbarkeits- oder Neutralitätsrhetorik' zeigen, dass die strukturelle Nicht-Darstellbarkeit von Krieg vor allem über das Visuelle wieder ausgeglichen werden soll. Das heißt, gerade Fotografien und Fernsehbilder sind dafür verantwortlich, den eigentlich schon verlorenen Glauben an die Darstellbarkeit von Krieg aufrecht zu erhalten. Agnes Matthias lotet in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten der Kriegsfotografie im Zeitalter der Echtzeitberichterstattung aus und kommt zu dem Schluss, dass künstlerische Post-Reportagen in der Gegenwart zu einer ähnlichen Ästhetik finden wie Roger Fentons Fotografien aus dem Krimkrieg: Sie zeigen Spuren des Kriegs, die vom Betrachter erst entschlüsselt werden müssen.

Wer sich mit dem Visuellen auseinandersetzt, merkt sehr schnell, dass es eigene Fragestellungen provoziert. Eine dieser Fragen ist diejenige nach dem 'richtigen' Gebrauch schockierender Bilder. Damit hat sich Susan Sontag in ihrer letzten Monografie auseinandergesetzt, und um diese Auseinandersetzung kommen auch die Beiträger des Bands nicht herum. Vielen Stimmen ist eine kritische Perspektive eigen, die bildwissenschaftliche Analysen "zur Freisetzung emanzipatorischer Kräfte gegenüber einem allseits präsenten 'Regime der Bilder'" (Frohne, Ludes, Wilhelm) einsetzen will. Auch die Spruchpraxis des Deutschen Presserats angesichts der immer wieder beschworenen "visuellen Rüstungsspirale" (Paul) ist eigens Gegenstand eines Beitrags von Stefan Leifert. Marion Müller geht in ihrem Schlussplädoyer sogar so weit, eine "visuelle Damnatio memoriae" gegen Echtzeitbilder des Folterns, Tötens oder deren Folgen auszusprechen. Ein verständliches Postulat, das Müller dadurch unterstreicht, dass sie die besagten Bilder durch verbale Beschreibungen evoziert, ohne sie in ihrem Beitrag selbst zu präsentieren. Doch wenn sie nicht wahrgenommen und nicht erinnert werden, gibt es sie dann überhaupt? "Terror ohne Bilder existiert in der öffentlichen Wahrnehmung nicht", möchte man in Anlehnung an das Knieper-Müller'sche Diktum vom Anfang sagen und fragen, ob eine Darstellungsverweigerung dann nicht doch zu sehr dem phobischen Potential des Bilds erliegt, anstatt den gebotenen Denkraum (vielleicht auch in den Massenmedien) zu erringen.


Kein Bild

Thomas Knieper / Marion G. Müller (Hg.): War Visions. Bildkommunikation und Krieg.
Herbert von Halem Verlag, Köln 2005.
432 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-10: 393160683X

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