Grauen in austarierter Sprache

Renate Dorresteins Roman "Ein Herz aus Stein"

Von Ulrich KargerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Karger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Grabstein hat in etwa die Form eines Herzens. Die eingravierten Namen zählen nahezu die ganze Familie auf: Vater, Mutter und drei Kinder. Nur zwei haben überlebt, Ellen und Carlos. Während jedoch Carlos schon bald von einer Pflegefamilie aufgenommen wurde, musste Ellen bis zuletzt ihre Kindheit im Waisenhaus verbringen. Jetzt ist Ellen fast vierzig und erwartet ihr erstes Kind. Mit Hilfe eines übriggebliebenen Fotoalbums tastet sie sich zurück in die Vergangenheit: An die Tage vor der Geburt ihrer jüngsten Schwester Ida, mit der die Tragödie begann, und an die Tage danach...

Kaum ein Autor vermag wie die Niederländerin Renate Dorrestein in einer so wunderbar austarierten Sprache dem Grauen des Alltags Stimme zu verleihen. Waren es in ihrem letzten Roman ("Was keiner sieht") noch die scheinbar paradoxen Gemeinsamkeiten zwischen sehr jung und sehr alt, vertieft sie diesmal die Erkenntnis: "Verrückt: Niemand hat jemals die Möglichkeit erwähnt, dass es auch eine ganze Menge Gutes gab, auf das ich zurückblicken könnte."

Die Tonlage der Ich-Erzählerin Ellen ist von nahezu homerischer Lakonie, und die Spannung wird bis zuletzt gehalten, denn Ellen läßt sich immer nur bruchstückhaft auf ihre Vergangenheit ein. Dorrestein setzt hierfür die Überblendungstechnik ein, mit der sie wohldosiert Erinnerungen und Gegenwart ihrer Heldin miteinander zu verbinden weiß. Sie und die Leser haben dadurch erst am Ende des Buches das ganze Schreckenspanorama vor Augen - und zugleich eine hoffnungsvolle Option auf "ein Leben danach".

Titelbild

Renate Dorrestein: Ein Herz von Stein.
Kindler Verlag, München 1999.
288 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3463403552

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch