Aus dem Leben gegriffen

Heino Jaegers Leben und Werk schenkt uns einen aberwitzigen Blick auf die Welt

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn der Satiriker, Maler und Zeichner Heino Jaeger heute noch unter den Lebenden weilte, nähme er zwischen den unzähligen Spaßmachern immer noch eine Sonderrolle ein. Denn der vor knapp zehn Jahren verstorbene anarchische Kauz aus Hamburg-Harburg war weder ein politischer Kabarettist noch ein x-beliebiger Comedian. Jaeger war Komiker. Seine Bühnen- und Rundfunkauftritte waren im doppelten Sinne des Wortes "komisch". Sie reizten unweigerlich zum Lachen, und sie waren zutiefst sonderbar. Aber er war kein Komiker vom plumpen Hallervorder'schen, sondern eher vom absurden (Helge) Schneider'schen oder vom sinnverdrehenden (Olaf) Schubert'schen Schlage. Einer, der ein offenes Ohr und ein waches Auge für die Absurditäten des Alltags hatte und daraus in seinen Hör- und Schriftstücken eine zutiefst komische Welt formte.

In dieser Fantasiewelt ist er auch privat versunken und später wegen schwerer Depressionen nicht mehr aus eigener Kraft aufgetaucht. Dieses Bild vermittelt zumindest sein langjähriger Freund und späterer Vormund Joska Pintschovius, der nicht nur Jaegers Bilder und Texte herausgegeben, sondern auch eine launig-melancholische, fast schon intime Lebensbeschreibung des Ausnahmehumoristen dazugepackt hat. Sie gewährt Einblicke in eine verschrobene, aber doch liebenswürdige Seele, die im Normalen das Absonderliche suchte und fand. Was Pintschovius bei den gemeinsamen Treffen und Exkursionen als abstoßend oder nervenaufreibend empfand, war für Jaeger einfach nur faszinierend. Dem spröden Charme einer städtischen Kantine konnte er ebenso viele Erkenntnisse abgewinnen wie den endlosen Lebensbeichten eines Hinterwäldlers.

Mit Jaeger gab es immer etwas zu erleben, aber nie etwas, womit man auch nur annähernd hätte rechnen können. Das galt für sein Privatleben genauso wie für seine Radio- und Bühnenauftritte. Auf beiden Seiten seines Daseins herrschte kreatives Chaos. "Im Hirn dieses Mannes", so Pintschovius, tobte "eine explosive Kraft von Stimmungen und Wahrnehmungen". Die bündelte sich in seinen fiktiven Moderationen und Dialogen, die trotz ihrer absurden und grotesken Sprunghaftigkeit immer wieder einem Leitgedanken folgten: Jedes Wissen ist relativ.

Kein Wunder also, dass er immer wieder in die Rolle des vermeintlichen Experten schlüpfte, der auf alles eine Antwort und für jeden einen guten Rat übrig hatte. Jaeger ließ kein Sujet aus: Er schwadronierte ebenso kenntnisreich wie eloquent über "Herrenpöms", das "Flutlichtgesetz" oder "Trockenatmung" und trug mit aller Ernsthaftigkeit das Absurdeste vor. Besonders in seiner Radiokultsendung "Praxis Dr. Jaeger" reizte er diesen Kontrast voll aus. Dass "Dr. Jaeger" die Frau eines passionierten Zollbeamten, der im Ruhestand nun seine Familie und Gäste mit Passkontrollen terrorisierte, darauf hinweist, dass ihr Ehemann laut Passgesetz sogar dazu verpflichtet sei, zeigt, wie nah Ernst und Lächerlichkeit beieinander liegen. Dass die Frau sich für diesen Hinweis pflichtschuldigst bedankt, setzt dem Ganzen die krönende Pointe auf.

Dieses absichtsvolle, immer neu variierte Missverstehen hat bei Jaeger Methode und ist zugleich das Geheimnis einer Komik, die wir in Deutschland bislang nur bei Loriot kennen gelernt haben. Jaegers Humor ist aber noch anarchischer und wendet sich im Grunde gegen jede Form von Festlegung. Sein Standpunkt war der, keinen zu haben und für alles offen zu sein und zu bleiben. So spiegelt sich in seinen Stücken ein tiefes Misstrauen gegenüber den Ideologien der Zeit. Nicht nur gegen Verherrlichungen oder Verdammungen richten sich seine Texte, sondern auch gegen die Selbstverständlichkeiten.

Doch zuviel ideologiekritische Verve darf man diesem Kind der 60er und 70er Jahre und seinen Arbeiten auch nicht andichten. Seine Stücke leben ebenso von der Leidenschaft am sprachlichen Verwirrspiel und der puren Lust an der Provokation, die frei von jeglichem politischen oder philosophischen Tiefgang ist. Jaeger hat mit seinen satirischen Miniaturen nicht die Welt aus den Angeln heben, aber sicherlich den Blick für die aberwitzigen Seiten unseres Denkens und Handelns schärfen wollen. Für alle Interessierten gilt also: Zu Risiken und Nebenwirkungen des Alltags lesen Sie dieses Buch oder fragen Sie Dr. Jaeger.


Titelbild

Heino Jaeger: Man glaubt es nicht. Leben und Werk.
Herausgegeben von Joska Pintschovius.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2005.
480 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3036951407

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