Das älteste Verbrechen der Welt

Ein Sammelband über Täter und Opfer des Frauenhandels

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der in Deutschland auszurichtenden Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 fiebern nicht nur die Anhänger des Ballsports entgegen, sondern mindestens ebenso sehr Zuhälter, Bordellbesitzer und Frauenhändler. Versprechen sie sich doch aufgrund von Erfahrungen mit ähnlichen Veranstaltungen einen weiteren Aufschwung in einem der florierendsten 'Geschäfte' nicht nur der organisierten Kriminalität. Denn nach Schätzungen des Deutschen Städtetages werden zu dem sportlichen Großereignis zwischen 30.000 und 40.000 Zwangsprostituierte nach Deutschland verschleppt werden, die hier den Fans aus aller Herren Länder zu Willen sein sollen. Den Ballheroen in der deutschen Nationalmannschaft scheint dies allerdings ziemlich gleichgültig zu sein. Jedenfalls reagierten sie gar nicht erst auf eine Bitte des Deutschen Frauenrates, dem Frauenhandel öffentlich 'die Rote Karte zu zeigen'. Die Funktionäre des DFB wiesen das Anliegen gar ausdrücklich zurück. Rühmliche Ausnahme unter den Sportlern: Jens Lehmann, der das Thema seinen Kollegen gegenüber immerhin ansprechen will.

Es böte sich vielleicht auch an, ihnen und den Herren Funktionären ein Buch in die Hand zu drücken. Lea Ackermann, Inge Bell und Barbara Koelges haben es verfasst. Sie berichten eindrücklich vom Schicksal der Opfer des Frauenhandels, den 'Geschäfts'praktiken der Schleuser und Zuhälter sowie über die Misogynität der Bordellbesucher. Alle kommen sie selbst zu Wort: die Menschenhändler und ehemalige Zwangsprostituierten in ausführlichen Gesprächen und Interviews; die Freier werden ausgiebig mit ihren anonymen Beiträgen in einschlägigen Chatrooms und Internetforen zitiert, in denen sie ihre Menschenverachtung ohne jede Scham in Worte fassen. Ansonsten bleiben sie hingegen lieber im Dunkeln. Die schätzungsweise alleine in Deutschland 12 Millionen Angehörigen dieser lichtscheuen Spezies spülen Bordellbetreibern und Zuhältern hierzulande jährlich etwa 6 Milliarden Euro in die Kassen.

Noch immer behandeln deutsche Richter Menschenhandel nahezu als Kavaliersdelikt und sprechen - wenn es denn überhaupt einmal zu einer Hauptverhandlung mit Verurteilung kommt - gerne Bewährungsstrafen aus. Charakteristisch ist da etwa ein Prozess, in dem ein Frankfurter Gericht einen rumänischen Menschhändler Anfang des Jahres 2006 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilte. Den drei befreiten Zwangsprostituierten sprach das Gericht jeweils 1.000 Euro Schmerzensgeld zu. Kommen die Angeklagten meist mit Bewährungsstrafen davon und werden die Opfer, wenn überhaupt, dann mit zynisch geringen Summen 'entschädigt', so gelangen die wirklich großen Fische im Geschäft kaum einmal vor den Kadi. Und die größte Tätergruppe bleibt sogar gänzlich unbehelligt: die Freier. Einfach, weil ihr Handeln nicht unter Strafe steht. Hierzulande jedenfalls nicht. In Schweden etwa ist das anders.

Auch Lea Ackermann betont, dass Freier ebenso wie Schlepper, Schleuser und Zuhälter zu den Tätern zählen, während Koelges lapidar konstatiert "Wo keine Nachfrage, ist auch kein Markt!" Denn das "menschenverachtende Konsumverhalten der Kunden" ist die "Grundlage für das Geschäft mit der Ware Frau". Dass den Freier neben den Opfern und den Tätern ein eigenes Kapitel gewidmet wird, liegt also nicht etwa daran, dass die Autorinnen diese nicht zur Tätergruppe rechnen würden, sondern ergibt sich aus dem Umstand, dass der Blick bislang meist auf Zuhälter, Menschenhändler und Prostituierte fokussiert war. Dass Interesse auch auf die Freier zu richten, ist zwar nicht ganz so neu wie Lea Ackermann im Vorwort meint - so hat etwa die kanadische Wissenschaftlerin Lenore Kuo, die den Nancy's Chair in Women's Studies in Halifax innehat, bereits zur "client motivation" gearbeitet und publiziert -, doch waren Rolle und Selbstverständnis dieser Tätergruppe zumal im deutschsprachigen Raum bislang zweifellos sträflich unterbelichtet. Und was hierzulande in jüngster Zeit - etwa von philosophischer Seite - zum Thema Freier gesagt wurde, ist eher dazu angetan, einem die Haare zu Berge stehen zu lassen.

Wie Barbara Koelges im ersten Teil des vorliegenden Bands berichtet, werden nach Schätzungen der UN alleine in Europa jährlich 500.000 Frauen zur Prostitution gezwungen. Von den laut Bundeskriminalamt 140.000 osteuropäischen Prostituierten in Deutschland wurde jede sechste "mit Gewalt gekidnappt und über die Grenze geschafft". Die meisten der Frauen sind keine zwanzig Jahre alt und kaum eine von ihnen ist älter als fünfundzwanzig. Auf dem Weg in die Zwangsprostitution wird ihnen alles genommen: "ihr Selbstvertrauen, ihre Lebensfreude, ihre seelische Unversehrtheit". "Sie werden geschlagen, vergewaltigt, ausgebeutet und seelisch zugrunde gerichtet - für die Befriedigung der Freier, für die Gewinnsucht und die Profitgier der Schlepper und Zuhälter." Einige dieser Frauen lässt Koelges erzählen.

Inge Bell richtet ihren Blick hingegen auf diejenigen, die von dem Leid der Verschleppten leben, "brutal, skrupellos, gewissenlos, eiskalt": auf die Zuhälter und Menschenhändler. In ihren osteuropäischen Heimatländern sind sie nicht etwa Ausgestoßene, sondern vielmehr "voll integrierte und durchaus beliebte Mitglieder der Gesellschaft ihres jeweiligen Wohnorts und Wirkungskreises", die von "keinerlei Unrechtsbewusstsein" belästigt werden. Nicht übersehen werden sollte, dass auch Frauen als "Täterinnen im Menschenhandelsgeschäft" ihr Unwesen treiben. Um eine besonders "infame Instanz" handelt es sich Bell zufolge bei der "Puffmutter", die den Prostituierten gegenüber einen die Brutalitäten der Zuhälter ergänzenden "subtilen Psychoterror" ausübe. Dritte im Bunde sind korrupte osteuropäische Polizisten, "die sich von den Menschenhändlern oft "in Naturalien" bezahlen lassen, "d.h. sie können als Freier im Bordell ein- und ausgehen".

In den beiden letzten Kapiteln stellt Lea Ackermann zunächst die von ihr gegründete Organisation Solwodi (Solidarity with women in distress) vor, die seit den 1980er Jahren gegen Zwangsprostitution arbeitet und heute mit bundesweit zehn Beratungsstellen die größte deutsche Hilfsorganisation für Opfer von Frauenhandel ist. Anschließend widmet sich Ackermann zusammen mit Barbara Koelges der Frage, was "jede und jeder" gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution tun kann, und welche Rolle die Gesellschaft, also "wir alle", in dem "Geschäft mit der Ware Frau" spielt. Menschenhandel und Zwangsprostitution, so die beiden Autorinnen, eröffnen die Frage nach dem in einer Gesellschaft herrschenden Frauenbild. Wenn Frauenhandel und Zwangsprostitution erfolgreich bekämpft werden sollen, müsse "die ganze Gesellschaft" ihr Frauenbild hinterfragen. Denn die Prostitution beruhe auf einem "äußerst fragwürdige[n] Frauenbild, das die Frau zur Ware degradiert und als Sexualobjekt herabwürdigt". Das trifft zweifellos zu. Doch gilt auch umgekehrt, dass die Selbstverständlichkeit, mit der Freier Prostituierte aufsuchen, gemeinsam mit der Mär von der Prostitution als dem 'ältesten Gewerbe der Welt' und ihrer Propagierung als 'ganz normalem Beruf' ein sexistisches Frauenbild forcieren. Es besagt unter anderem, Frauen stünden Männer jederzeit zur sexuellen Befriedigung zur Verfügung. Vielleicht nicht jede einzelne von ihnen, aber eben 'irgend eine' und somit Frauen schlechthin - sei es auch notfalls gegen Bezahlung.

Keineswegs ist Prostitution das älteste Gewerbe der Welt, sehr wohl aber sind 'Frauenraub' und -handel, neben der mit ihnen stets einhergehenden Vergewaltigung, deren älteste Verbrechen - und zwei der verabscheuungswürdigsten obendrein. Wobei selbst noch der Begriff Frauenraub unterstellt, nicht die entführten Frauen seien die Geschädigten, sondern ihre 'rechtmäßigen Besitzer', die Männer.

Und die von interessierter Seite gerne vorgebrachte Behauptung, es handele sich bei der Prostitution um einen 'Beruf wie jeder andere', wird schon alleine durch die Tatsache schlagend widerlegt, dass Jahr für Jahr Tausende von händeringend nach irgendeiner Arbeit suchende Frauen aus aller Welt mit Lug und Trug und falschen Versprechungen nach Westeuropa gelockt werden, wo sie mit Drohungen, Erniedrigungen, Erpressungen, Folter und andauernden Vergewaltigungen dazu gezwungen werden, dieser angeblich so normalen Tätigkeit nachzugehen. Davon handelt das vorliegende Buch.

Nachtrag: Nachdem die Rezension bereits geschrieben und ins Netz gestellt war, wurde bekannt, dass sich die Funktionäre des DFB nach zunächst schroffer Ablehnung der Bitte des Deutschen Frauenrates, sich gegen Zwangsprostitution während der Fußballweltmeisterschaft auszusprechen, nun doch noch dazu durchgerungen haben, den Namen ihrer Organisation für die gegen Zwangsprostitution gerichtete Kampagne "Abpfiff" zur Verfügung zu stellen. Offenbar zeichnete sich ab, dass andernfalls der Imageschaden zu groß gewesen wäre.


Titelbild

Lea Ackermann / Inge Bell / Barbara Koelges: Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen. Das große Geschäft mit der Ware Frau.
Kösel Verlag, München 2005.
176 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3466306914
ISBN-13: 9783466306916

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