Weder Huren noch Unterworfene - sondern Feministinnen

Frauen und Mädchen im feministischen Widerstand gegen islamisch-patriarchalische Unterdrückung in Französischen Vorstädten

Von Renate RauschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Rausch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weder Huren noch Unterworfene (NPNS - Ni Putes ni Soumises) lautet der Titel eines Manifests und einer Bewegung aus den französischen Banlieues, die von Fadela Amara mitbegründet und in diesem Buch gemeinsam mit Sylvia Zappi beschrieben wird. Das Außergewöhnliche an dieser Bewegung "Weder Huren noch Unterworfene" ist ihre Entstehungsgeschichte, nämlich als Protestbewegung muslimischer Mädchen gegen die Unterdrückung durch ihre algerisch-maghrebinischen Herkunftsfamilien. Diese Unterdrückung nimmt mit der Ghettoisierung der Einwandererfamilien in den französischen Vorstädten, aus denen sich der Staat weitgehend zurückgezogen hat, zu und wird verschärft durch den so genannten "Kellerislam" dessen Vertreter islamistische Imane sind, die sich in den Vorstadtvierteln als "soziale Vermittler" niedergelassen haben, während sich die jungen Männer als "kollektive Hüter" der Mädchen in den Vierteln aufspielen und ihre Frustration und Wut an ihnen auslassen. Das Verdienst der Autorin und ihrer Koautorin ist die eingehende Analyse dieser Zusammenhänge, deren Entwicklung sich über sechs Etappen zwischen 1980 und 2003 erstreckt:

1) Den Anfang machten die in den 1950er und 60er Jahren aus Algerien eingewanderten Arbeitsmigranten und die von ihnen gegründeten muslimischen Familien (aus einer solchen stammt auch die 1964 geborene Autorin). Ihre Grundlage stellt die traditionelle patriarchale Geschlechterordnung dar. Die größte Autorität besitzt der Vater, der die Regeln des Zusammenlebens bestimmt und Konflikte zwischen Brüdern und Schwestern schlichtet. Bezüglich ihrer Töchter haben die Eltern nur die eine Sorge, nämlich dass sie bis zur Hochzeit jungfräulich bleiben. 2) Mit der Massenarbeitslosigkeit Anfang der 1990er Jahre verloren die Väter als Einwanderer als erste ihre Arbeit, womit sich das hierarchische Gefüge in den Familien veränderte. Die väterliche Autorität wurde erschüttert. Alle ihre Vorrechte gingen an die ältesten Söhne über. Der älteste Sohn kommandierte von da an die Familie, er übernahm die Rolle des Vaters als Beschützer und Unterdrücker. 3) "Nachdem sich die Jungen die Autorität innerhalb der Familie angemaßt hatten, übten sie dies auch im Viertel aus. Ihre Mission war klar: Die Schwestern vor Verehrern zu beschützen und sicherzustellen, dass sie bis zur Hochzeit ihre Jungfräulichkeit bewahrten." Das Kommen und Gehen der Mädchen wurde strikt kontrolliert, ihre Möglichkeiten auszugehen schwanden völlig, von Jahr zu Jahr wurden sie immer mehr dazu gezwungen, ihre Zukunft als Hausfrau zu akzeptieren. 4) Im nächsten Schritt weitete sich die männliche Kontrollmacht auf die Gesamtheit der jungen Männer aus und es entstand ein undurchlässiges Überwachungssystem. Es war dann nicht mehr nur der große Bruder für die Überwachung seiner Schwestern zuständig, sondern alle Jungen des Viertels erhoben sich zu kollektiven Hütern der Jungfräulichkeit der Mädchen. 5) Danach radikalisierte sich das Verhalten der jungen Männer, besonders derjenigen, die keine Arbeit hatten und in den Vierteln vor den Wohnblöcken herum lungerten, immer unter sich blieben und nur mit ihrer eigenen Frustration und ihren Misserfolgen beschäftigt waren. Den Mädchen wurde verboten, sich so zu kleiden oder zu schminken, wie sie wollten, die Jungen setzten ihre Reglementierungen über das Erscheinungsbild der Mädchen durch. "Diese Jungen eignen sich die Macht über ihr Viertel an, so als würde die Tatsache, dort zu wohnen, den Besitz all dessen, was sich darin befindet, mit sich führen, die Mädchen inbegriffen."

Doch sobald diese jungen Männer das Viertel verlassen, um Arbeit oder eine Wohnung zu suchen, spüren sie, dass sie ausgegrenzt und marginalisiert sind, als hätten sie ein Schandmal auf ihrer Stirn. Die Autorin schreibt, dass das Leben dieser jungen Männer beinahe schizophren ist: "In der Familie sind sie der König, draußen sind sie nichts und niemand. Die mangelnde Anerkennung innerhalb der Gesellschaft trägt stark zu ihrem Gefühl bei, ausgeschlossen und abgelehnt zu sein. Sie empfinden eine große Ungerechtigkeit, die sich besonders bei den Einwandererkindern der dritten Generation in dem Gefühl niederschlägt, nicht zur Nation zu gehören." In ihrer Wut und als Reaktion auf ihre Machtlosigkeit gegenüber der erlittenen Ausgrenzung wenden sich die Jungen jedoch nicht gegen die Gesellschaft und die Symbole der Republik, sondern üben ihre Unterdrückung gegen ihre Schwestern und die Gesamtheit der Mädchen im geografisch begrenzten Raum des Viertels aus, dem einzigen Raum, den sie meinen, zu beherrschen.

Die Mädchen reagieren auf diese Entwicklung auf verschiedene Art und Weise. Entweder sie unterwerfen sich den von ihnen erwarteten traditionellen Verhaltensweisen oder sie eifern den jungen Männern nach, indem sie Mädchenbanden gründen, Schutzgelder erpressen und genauso oder noch gewalttätiger vorgehen wie die Jungen. Eine dritte Strategie besteht darin, sich "unsichtbar" zu machen. Das Leben dieser Mädchen findet nicht im Viertel statt, sie durchqueren es wie einen bedeutungslosen Raum, um den Weg von zu Hause zur Schule oder zur Uni zurückzulegen. Sie nehmen nicht am öffentlichen Leben des Viertels teil und engagieren sich nicht in Organisationen. 6) Eine weitere Verschärfung der Situation trat dadurch ein, dass der sog. fundamentalistische "Kellerislam" vermehrt in die Viertel einzog und sich Imane als "Vermittler" in den Wohnblocks niederließen, die mit ihrer einseitigen Auslegung des Korans in Bezug auf die Rolle der Frau den jungen Männern den theoretischen Rahmen und die Werkzeuge zur Unterdrückung der Mädchen an Hand gaben. Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen bis hin zu Gruppenvergewaltigungen sind an der Tagesordnung.

Im Anschluss an diese Vorgeschichte beschreibt die Verfasserin, wie es zu der Entscheidung kam, einen "Marsch der Frauen aus den Vorstädten für Gleichheit und gegen Ghettoisierung" zu organisieren, ihn am 1. Februar 2003 zu beginnen und nach 23 Etappen am 8. März 2003, dem internationalen Frauentag, in Paris enden zu lassen. Am Anfang waren es acht Personen, die den Marsch begannen, nach fünf Wochen unermüdlichem Einsatz in Diskussionsveranstaltungen, Versammlungen, Pressekonferenzen und Einzelgesprächen waren es 30.000 Menschen, die in Paris ankamen und von Premierminister Jean-Pierre Raffarin empfangen wurden. Ihm und seinen MinisterkollegInnen konnten sie ihre fünf wichtigsten Vorschläge darlegen, nämlich die Erstellung eines Leitfadens zur Erziehung der Jugendlichen zum Respekt; die Bereitstellung von Notunterkünften für junge Frauen in Bedrängnis; die Einrichtung von Anlaufstellen bei örtlichen Polizeirevieren für Opfer männlicher Gewalt; die Gründung von "Frauentreffs" in den Vierteln und einer Sommeruniversität der Bewegung, um Frauen für die Vereinsarbeit in den Vorstädten zu schulen. Die Autorin schreibt dazu: "An diesem Tag hatten wir das Gefühl, wirklich gehört zu werden. Sehr bald nach diesem Treffen wurde ein ministerienübergreifendes Komitee unter der Leitung von Nicole Ameline (der Ministerin für Gleichstellung und gleiche Berufschancen) gegründet, um unsere Vorschläge umzusetzen."

Aber die Initiatoren des Marsches sahen das Ergebnis auch mit gemischten Gefühlen und eigentlich erst als Anfang neuer feministischer Kämpfe um Gleichberechtigung und Chancengleichheit vor allem für die Mädchen aus den Vorstädten.

Fadela Amaras Bericht über die Entstehung der Bewegung "Weder Huren noch Unterworfene" ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Aus soziologischer Sicht ist es eine spannende Geschichte, die Entwicklung einer sozialen Bewegung aus den sozioökonomischen Verhältnissen der französischen Vorstädte zu verfolgen, bei der junge muslimische Frauen ihre Opferrolle ablegen, ihre Passivität aufgeben und als Subjekte in der Bewegung aktiv werden. Gerade diese Veränderung ist auch aus feministischer Sicht höchst bemerkenswert, geht doch die Autorin davon aus, dass ohne feministische Aufklärung eine solche Bewegung nicht denkbar ist. Aus religionssoziologischer Sicht ist das Vordringen des so genannten "Kellerislam" in die Vorstädte mit seiner frauenfeindlichen Koraninterpretation und die Verdrängung des eher toleranten Islam der zweiten Einwanderergeneration, der die Autorin angehört, interessant. Sozialpsychologisch wird die Entwicklung der jungen Männer, die in der Familie die Autorität der Väter aushebeln und sich in den Vierteln zu gewalttätigen Männerbanden zusammenschließen, die weder vor Vergewaltigungen noch mafiosen Machenschaften zurückschrecken und so ihr mangelndes gesellschaftliches Selbstwertgefühl kompensieren, nachvollziehbar.

Zu Recht weist Seyran Ates, eine Berliner Rechtsanwältin mit türkisch-kurdischem Hintergrund, in der Einleitung zu dem Text darauf hin, dass es viele Parallelen zwischen den Verhältnissen in den französischen Vorstädten und den deutschen Ghettos der türkisch-muslimischen Einwanderer gibt, es aber leider keine aus MigrantInnen bestehende Bewegung gibt, die mit Frankreich vergleichbar wäre, obwohl es längst dafür Zeit ist.

Der Text liest sich flüssig und ist teilweise recht spannend. Sarah Dornhof hat eine gut lesbare adäquate Übersetzung vorgelegt.


Titelbild

Fadela Amara: Weder Huren noch Unterworfene. Mit einem Vorwort von Seyran Ates. In Zusammenarbeit mit Sylvia Zappi.
Übersetzt aus dem Französischen von Sarah Dornhof.
Orlanda Verlag, Berlin 2005.
120 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3936937265

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