Heine halbiert

Kerstin Decker macht aus Deutschlands witzigstem Autor einen politisch handzahmen

Von Markus JochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Joch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer zum 150. Todestag Heinrich Heines eine umfassende Darstellung zu Leben und Werk vorlegt, steht vor dem Problem, dass seit dem 200. Geburtstag gerade mal acht Jahre verstrichen sind - ein Wimpernschlag, was Klassiker-Revisionen betrifft. Am 1997ff. angestiegenen Wissensstand des biografischen Genres muss sich jeder als neu annoncierte Zugang messen lassen. Vom Bekannten hebt sich die Abhandlung der Berliner Journalistin Kerstin Decker in zwei Abschnitten vorteilhaft ab.

Der eine kreist um Heines Verhältnis zur Ehefrau Mathilde, die, weil selbstbewusst ungebildet, bei inner- wie außerakademischen Forschern nie gut weggekommen ist. Decker steuert gegen, indem sie das vermeintlich abgestandene Motiv Hassliebe unverkitscht genau entfaltet. Mathilde, die Gefährtin aus der Pariser Unterschicht, wusste den späten, sterbenskranken Heine mit Lautstärke und Verschwendungssucht durchaus zu peinigen ("Ja, du bist mein Fegefeuer"). Allein, wenn sie sich weigerte, an die Unheilbarkeit ihres Mannes zu glauben, galt ihr seine größte Verehrung und sein wohl anrührendster Satz: "Ich liebe sie mit einer Leidenschaftlichkeit, die über meine Krankheit hinausragt, und in diesem Gefühle bin ich stark, wie matt und lahm auch meine Glieder." Nebenbei arbeitet Decker heraus, dass Mathildes berüchtigtes Gebaren als Hausdrache mit der Angewohnheit des noch halbwegs gesunden Dichters zusammenhing, bei Auftritten in der Pariser Hautevolee die unstandesgemäße Partnerin zuhause zu lassen. Man könnt' sich ja blamieren. Derlei Anekdoten sind keine Döntjes, sie sind Sozialgeschichte konkret.

Eine andere lesenwerte Passage handelt von der Audienz des angehenden Poeten beim greisen Goethe (1824), die zum Fiasko geriet, weil der Besucher sich mit der Mitteilung, ebenfalls an einem "Faust" zu schreiben, als eine Art Co-Autor vorstellte. Was man meist als Anmaßung oder Instinktlosigkeit verbucht hat, wird hier plausibel dem Bedürfnis nach Nähe zugeschrieben. Denn es sprach ein großer Goethe-Verehrer, den es umso mehr kränkte, dass der Olympier an den schon vor Jahren zugesandten Gedichten kein Interesse zeigte. Dass er "nie antwortet, wahrscheinlich nicht einmal liest", kommentiert Decker, "hätte Heine sich denken können. Und kann es sich nicht denken, denn er ist jung. Wer sich so etwas denken kann, ist uralt." Wahr gesprochen.

Aus der Goethe- und der Mathilde-Episode hätte Decker eine Glosse, vielleicht einen Essay machen und es damit bewenden lassen sollen. Die restlichen gut 400 Seiten kommen zwar schmissig daher ("Er legt sich ins Bett, steht nie wieder auf, spekuliert an der Börse und beschwert sich bei Gott"), nur ändert das wenig am Haken. Das Gute ist nicht neu, und das Neue ist nicht gut.

Wie der ganz junge Heine von den Cousinen abgewiesen und aus Liebesleid Lyrik wird, wie er die Gefühligkeit des Erlebnisgedichts mit distanzierenden Schlusszeilen auch schon mal zerschneidet und damit zeitgenössische Kritiker verstört, wie er die deutsche Prosa kraft einer unerreichten Pointenfrequenz revolutioniert, aber allen literarischen Ruhms ungeachtet von der reichen Hamburger Verwandtschaft weiter als armer Verwandter, respektive Kindskopf behandelt wird - das alles und mehr kann man auch der 97er Biografie von Jan-Christoph Hauschild und Michael Werner entnehmen. Die Dopplungen indes sind noch das kleinste Problem.

Ein größeres besteht in der Eröffnung überflüssiger Schaukämpfe. Heines geschichtsphilosophische Grundthese, wonach den deutschen Geistesrevolutionen (Kant, Hegel) eine politische Umwälzung, die Entmachtung des Adels, folgen könne, wenn denn die Landsleute endlich vom französischen Praxissinn lernten, ist bereits von den 68ern rituell ausgezeichnet worden. Statt es zur Kenntnis zu nehmen, wiederholt Decker das Geläufige, um zu verkünden, ein "besonders dummer Allgemeinplatz der Heine-Forschung" laute: "Heine war kein Denker". Behaupten kann man vieles, auch Wunderliches.

Nun wäre der Hang, offene Türen einzurennen, nicht weiter tragisch, löste Decker nur ihren Anspruch ein, dem ganzen Heine gerecht zu werden, samt seiner Ambivalenzen. Geht es um den politischen Schriftsteller, ist leider das Gegenteil der Fall.

Spannend am "Sohn der Revolution" (so die Selbstbeschreibung) ist ja noch heute, dass er als Linker Lust hatte, die Linke unbrillant zu finden. Zum Beispiel eine anti-bourgeoise Ansprache des Frühsozialisten Blanqui zu rühmen und dann einen kleinen Hintergedanken nachzuschieben: "Es war eine Rede voll Geist, Redlichkeit und Grimm; doch der vorgetragenen Freiheit fehlte der freie Vortrag." Auch berührte ihn nichts peinlicher als Volksverklärung. Er bezweifelte hellsichtig, dass die Kommunisten künstlerischen Eigensinn in Ehren halten werden.

Und doch, bei allem ästhetischen Vorbehalt gegen die Fortschrittsmänner trieb es ihn an ihre Seite. Einmal, weil der jüdische Autor, der antisemitische Ausgrenzung massiv zu spüren bekam, ihren Kosmopolitismus schätzte: "Aus Haß gegen die Nationalisten könnte ich schier die Kommunisten lieben." Zum anderen war da der Hass auf die "Bourgeoisie, die eben so wenig taugt wie jene Noblesse, an deren Stelle sie trat, mit demselben Egoismus". Ihr sagte er im gleichen Atemzug den wohlverdienten Untergang voraus ("Denkschrift", 1840), dem bekanntlich "Zuckererbsen für jedermann" folgen sollten.

Wer mag, kann die egalitären Hoffnungen illusorisch finden. Aber sie einfach ausblenden und nur die Vorbehalte erwähnen, wie Decker, die von einem strammen "Antikommunisten" phantasiert, gar einem "Monarchisten", "überhaupt nicht radikal"? So verdirbt man die Pointe. Heine verstand das Bürgerkönigtum des Juste-Milieu als Fortschritt gegenüber dem verfassungslosen Deutschland, ohne die Kehrseite einer verdeckten Kapitalherrschaft zu verschweigen. Als ihn einmal ein "Justemillionär" auf die Verhungernden in den Straßen von Paris aufmerksam machte, um zu erklären, sie simulierten und seien von den Radikalen bezahlt, um die Regierung in Misskredit zu bringen, entgegnete er: "Dieses Handwerk muß jedoch schlecht bezahlt werden, da viele dabei wirklich vor Hunger sterben." Von solchen Spitzen erzählt die laut Klappentext lebensunmittelbare Biografie - nichts.

Man weiß nicht, was soll es bedeuten: Verdankt sich die halbierende Darstellung dem bewussten oder dem unbewussten Wunsch, im Mainstream weichgezeichneter Heine-Bilder mitzuschwimmen? In stilistischer Hinsicht wenigstens haben die Versimpelungen ihr Gutes. Normalerweise spricht Decker etwas merkwürdig: "Ein metaphysischer Nachmetaphysiker. Ein lachender Melancholiker. War der Mann kompliziert? Wenige waren so einfach wie Heinrich Heine. Wenige waren sich selbst so treu wie er. Wenige waren so objektiv wie der Subjektivist Heine. Man nennt ihn einen Zerrissenenen. Er war der Ganzeste." Der syntaktische Schluckauf verliert sich nach und nach, weicht lesbaren Perioden, je mehr die Autorin ihrer Obsession nachgibt, den Sohn der Revolution zu entschärfen.

Einen ähnlichen Effekt hat Heine am Beispiel von Ludwig Börne beschrieben. Auch der tendierte, folgt man den unvergesslichen Erinnerungen seines jüngeren Rivalen, zur "unerträglichen Monotonie" der "kurzen Sätze". Geriet er jedoch ins Eifern, strömt(e) "die entzügelte Leidenschaft nothgedrungen in weitere, vollere Rhythmen über". Mit Börne teilt Decker nicht nur diesen Zug, auch beider Sichtweisen, so weit sie vorderhand auseinander liegen, ergänzen sich. Der eine sprach dem Künstler Heine die politische Ernsthaftigkeit ab, um ihn zu tadeln, die andere verfährt genauso ("er gibt den Revolutionär"), um ihn zum Helden eines neoliberalen Wintermärchens zu machen. Beide haben einen Dichter missverstanden, der sozialrevolutionärem Sprechen Esprit und Formbewusstsein injizierte, das scheinbar Unvereinbare vereinbarte. Schön besang er eben nicht nur die Loreley.


Titelbild

Kerstin Decker: Heinrich Heine. Narr des Glücks.
Propyläen Verlag, Berlin 2005.
448 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3549072597

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