Spiel's noch einmal, Hubert

Palette revisited

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein merkwürdiges Völkchen, diese Hamburger. So stolz sind sie auf ihre Sprache, die das Wort "Kirsche" kaum von dem Wort "Kirche" unterscheiden kann. So stolz auf ihre Stadt. Nein, Hamburg ist nicht Deutschland. Hamburg ist Hamburg. Du. Bist. Hanseat.

Hamburg heute: China Lounge, Edelfettwerk, Waagenbau, Roschinskys, Golden Pudel und Frieda B., Rocko Schamoni und Tine Wittler. Hamburg in den späten Fünfzigern: Die Palette und Hubert Fichte.

Die Palette, eine Szenekneipe in der ABC-Straße in Hamburg, ist der Schauplatz für Hubert Fichtes - in den späten 60ern revolutionären - Roman "Die Palette". Die Palette ist die Kneipe, in der die Hauptfigur Jäcki in eine damals sehr niedlich als Gammlermilieu bezeichnete Szene eintaucht. Es gibt sie nicht mehr, weder die Szene noch die Kneipe. Die Szene alterte, ging den Weg ins Retro-Nirwana und wartet auf ihre nächste Inkarnation. Die Palette wurde im November 1964 wegen Drogenhandels und Kleinkriminalität geschlossen. Aber einige der ehemaligen "Palletianer" - diese ganzen Gammler, Existenzialisten und Pseudo-Künstler - gibt es noch.

Ihre Erinnerungen an die Palette und an Hubert Fichte erzählen sie in "Palette revisited" in kleinen Interviews. Dazwischen sind kurze Texte über das Milieu und die Menschen rund um die Palette der 50er und frühen 60er sowie Fotos und lyrische Werke der Palettianer eingestreut. Anfangs ist das etwas sehr chaotisch. Es lässt sich in dem Buch zwar erfahren, wer erzählt. Aber warum, das erfährt man nicht. Und auch die Auswahl der Ausschnitte aus Interviews wirkt erst einmal recht verwirrend und nur sehr lose nach Überthemen sortiert. Aber dann ist es auch wieder egal. Dann steht man als Leser bereits mitten in der Palette und saugt den alles überschwemmenden Eindruck auf, genau wie Jäcki im Roman "Die Palette". "Palette revisited" liest sich ähnlich wie die Palette selbst auf ihre Besucher gewirkt haben muss, verwirrend zwar, aber berauschend. Ein Textstrom zum Aufsaugen wie ein Zug an einem Joint. Nur dass die "Palette revisited" sich dabei selbst und damit ein Hamburger Lebensgefühl erklärt, nicht so sehr durch die Interviews, eher durch die eingefügten Texte.

Hamburg wird sich nie wieder nur von einem Autoren und einem Roman erklären lassen, wie es Hubert Fichte mit der Palette damals tat. Sein Werk ist und bleibt der Hamburg-Roman überhaupt. Und das nicht nur, weil Hamburg so wenige Stadtromane vorzuweisen hat. "Die Palette" - Buch und Kneipe - verdienen das Denkmal, das ihnen die "Palette revisited" baut. "Palette revisited" - auch du bist Hamburg.


Titelbild

Jan-Frederik Bandel / Lasse Ole Hempel / Theo Janßen: Palette revisited. Eine Kneipe und ein Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2005.
189 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3894014679

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