Wiedergeburt eines Standardwerks

Hadumod Bußmanns und Renate Hofs Erfolgsbuch "Genus" in gänzlich umgestalteter Neuausgabe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den letzten Jahren sind zahlreiche Handbücher, Einführungen und Lexika zu feministischer Theorie und zu den Gender Studies erschienen. Etliche davon wurden in literaturkritik.de besprochen (vgl. etwa literaturkritik.de 7/8, 2000, literaturkritik.de 3/2003 und literaturkritik.de 3/2005).

Eines dieser Bücher, das sich zudem schnell als Standardwerk herausstellte, fehlt jedoch. literaturkritik.de trat etwas zu spät ins Dasein, um es noch als Neuerscheinung besprechen können. Die Rede ist von dem handbuchähnlichen Sammelband "[z]ur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften", den Hadumod Bußmann und Renate Hof 1995 unter dem Titel "Genus" herausgegeben haben.

Nach genau zehn Jahren liegt nun eine völlig neubearbeitete Ausgabe vor, die explizit als Handbuch auftritt. Der trotz seiner Kürze heute etwas sperrig wirkenden Titel "Genus" wurde allerdings beibehalten. Drei Gründe führen die Herausgeberinnen hierfür an: Zum einen sei für den englische Begriff gender noch immer kein deutsches Pendant eingeführt und zum anderen habe sich der englische Begriff - ebenso wie Genus - zunächst nur auf das grammatische Geschlecht von Substantiven bezogen. Und schließlich wollen die Herausgeberinnen mit dem Rückgriff auf den alten Titel dazu auffordern, die "notwendige Auseinandersetzung" mit dem "vielschichtigen" Begriff Genus voranzutreiben. Darüber hinaus dürfte für die Beibehaltung des Titels wohl auch der zu erwartende Wiedererkennungseffekt eines eingeführten 'Markenzeichens'' eine gewissen Rolle gespielt haben.

Ist auch der Titel der alte geblieben, hat sich gegenüber der Erstausgabe doch einiges, ja fast alles geändert - und zwar ausnahmslos zum Besseren. Das Format ist größer geworden, das Buch selbst umfangreicher, die Beiträge zahlreicher und das Spektrum der Forschungsfelder breiter. An die Stelle der neun Artikel der ursprünglichen Ausgabe sind nicht weniger als fünfzehn getreten. Denn zu denjenigen über die Kulturwissenschaften sind weitere zu den Sozialwissenschaften hinzugekommen, so dass allenfalls noch die Absenz der Naturwissenschaften beklagt werden kann. Trotz der beträchtlichen Erweiterungen sind doch nicht mehr alle Autorinnen der Erstausgabe anzutreffen. Elisabeth Bronfen, die über Weiblichkeit und Repräsentation "aus der Perspektive von Ästhetik, Semiotik und Psychoanalyse" geschrieben hatte, ist ebenso wenig vertreten wie Leonore Siegele-Wenschkewitz, die seinerzeit für den Theologie-Artikel verantwortlich zeichnete, oder wie Elisabeth Kuppler, die "Weiblichkeitsmythen zwischen gender, race und class" nachgegangen war.

Beibehalten wurden Personen- und Sachregister, die kurzen Inhaltsverzeichnisse zu Beginn der einzelnen Artikel und die teilweise sehr umfangreichen Bibliografien zu deren Abschluss. Neu an diesen Bibliografien ist, dass sie jeweils mit einem kleinen "Vorspann" versehen wurden, "der wichtige Titel aus der Fülle des Gebotenen nach textsortenspezifischen Kriterien (Einführungen, Forschungsberichte, Bibliographien, Zeitschriften u. a.) gliedert und dadurch den Einstieg in die einzelnen Fachgebiete erleichtert".

Die Artikel selbst bieten "Bestandsaufnahmen" der vorgestellten Disziplinen, "die sowohl die bisherigen Ergebnisse der Auseinandersetzung mit der Kategorie Genus/gender resümier[en] als auch offene Fragestellungen in zentralen Forschungsgebieten deutlich mach[en]", wobei die jeweiligen Verfasserinnen - es handelt sich ausschließlich um Frauen - eigene wissenschaftliche Ansätze und Positionierungen durchaus nicht verhehlen.

Zu den neu aufgenommenen Wissenschaften zählen etwa die Ethnologie (unter dem Titel "Zwischen Exotisierung und Homogenisierung: Geschlechterforschung in der Ethnologie" vorgestellt von Susanne Schröter), die Politologie ("Begrenzung und Entgrenzung des Politischen: Geschlechterforschung in der Politikwissenschaft" von Birgit Sauer) und die Rechtswissenschaft ("Die blinde Justitia: Gender in der Rechtswissenschaft" von Ute Sachsofsky).

Wiederum gleich mit zwei Artikeln vertreten ist die Literaturwissenschaft. Einer von ihnen gegenüber der Erstausgabe völlig umgearbeitet ("Ein problematisches Verhältnis: Gender und der Kanon der Literatur" von Renate von Heydebrand und Simone Winko), der andere ("Gender als Kategorie einer neuen Literaturgeschichtsschreibung" von Ina Schaber) identisch mit demjenigen von 1995, ergänzt allerdings um einen "Nachtrag: "Gender und Literaturgeschichte 1993-2004".

Den fünfzehn Artikeln vorangestellt ist eine Einleitung von Renate Hof, die einen ebenso informativen wie konzisen Überblick über Entstehung und Entwicklungen sowie über die wichtigsten aktuellen Streitpunkte der Geschlechterforschung und deren künftige Perspektiven liefert. Dabei sind ihre Ausführungen jedoch nicht immer ganz frei von Widersprüchen. Konstatiert sie zunächst eine "Renaissance von biologistischen Erklärungen von Geschlechtsunterschieden", erklärt sie einige Seiten weiter, die "'Naturalisierung'' von Geschlechtsrollen" sei "kein ernstzunehmendes Thema mehr, so daß sich die Kritik an essentialistischen Geschlechterzuschreibungen erübrig[e]". Hier ist nicht nur die Widersprüchlichkeit zwischen beiden Statements zu monieren, sondern auch, dass Hof im zweiten nicht zwischen Biologismus und Essentialismus unterscheidet. Selbst wenn der Biologismus keine Rolle mehr spielte, hieße das nicht notwendigerweise, das dies darum auch für alle anderen essentialistischen Ansätze gelten würde. Neben solchen Unschärfen stören auch die anti-amerikanistischen Anklänge, wenn Hof beklagt, der deutsche Buchmarkt sei "lange Zeit von anglo-amerikanischen Publikationen überschwemmt" gewesen. Faktisch trifft zu, dass die Diskussion jenseits des Atlantiks in Deutschland breit rezipiert wurde und einflussreich war. Bedenklich aber ist Hofs negativ konnotierte Wortwahl. Zutreffend ist ebenfalls, dass seit dem Erscheinen der Erstausgabe von "Genus" "zahlreiche Arbeiten" aus dem deutschsprachigen Raum erschienen sind. Diese, so Hof, signalisierten eine "sehr eigenständige Diskussion". Zweifellos ist dem so. Vom internationalen und US-amerikanischen Diskurs abgekoppelt hat sich die hiesige Debatte - glücklicherweise - allerdings nicht, wie auch Hofs Text deutlich macht, der sich intensiv mit Judith Butlers theoretischer Konzeption auseinandersetzt, wobei Hof sehr zu Recht betont, dass "die Bedeutung des Körpers" entgegen einer in Deutschland unter einigen Feministinnen immer noch zirkulierenden Auffassung von der amerikanischen Autorin "selbstverständlich nicht geleugnet wird". Originell ist, dass Hof mit Anne Fausto-Sterling und Sigrid Schmitz zwei Naturwissenschaftlerinnen für Butlers Konzeption stark macht. Darüber hinaus wendet sie sich mit guten Argumenten gegen die irrige Auffassung, Butlers Ansatz entpolitisiere den Feminismus und betont, dass "Herrschaftskritik" für Butler "durchgängig von zentraler Bedeutung" sei.

Eine der zur Zeit dringlichsten Aufgaben sieht Hof darin, "die Opposition von 'Essentialismus'' und 'Konstruktivismus'' zugunsten eines neuen Verständnisses der Natur/Kultur-Beziehung zu überwinden", denn diese "wenig hilfreiche Opposition" erschwere die notwendige Kritik am sex/gender-System. Auch sei zu fragen, "wogegen sich Subversivität überhaupt richtet". Mögliche Antworten erhofft sie sich nicht zuletzt von neueren theoretischen Entwicklungen innerhalb der Geschlechterforschung, wie etwa deren Hinwendung zur Phänomenologie und zur Systemtheorie.


Titelbild

Hadumod Bußmann / Renate Hoff (Hg.): Genus. Geschlechterforschung / Gender Studies Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Ein Handbuch.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2005.
616 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-10: 3520822016

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