Ein Ende des Schweigens und Weg-Schauens

medica mondiale informiert über sexualisierte Kriegsgewalt

Von Nina KöllhoferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Köllhofer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen in Kriegshandlungen, d.h. Vergewaltigung als systematische Kriegswaffe und ihre Folgen, die hier in 20 Beiträgen von 13 Autorinnen behandelt und beschrieben werden, ist aufgrund ihrer enormen Ausbreitung vorwiegend als frauenspezifische Menschenrechtsverletzung zu bewerten. Dies ist die klare Position des vorliegenden Buchs, das seit 2005 unter dem Titel "Violence against women in war. Handbook for professionals working with traumatised women" auch in englische Übersetzung vorliegt. Es arbeitet interdisziplinär und beleuchtet die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln, schließt jedoch Parteilichkeit und Solidarität für die betroffene Gruppe immer mit ein.

Einer interessierten, aufgeschlossenen Öffentlichkeit sowie kritischen Wissenschaften ist die Thematik zwar alles andere als neu, doch ist sie durch die Jahrhunderte und Jahrtausende menschlicher Kriegs- und Gewaltkultur erschreckend konsequent und nachhaltig wie selbstverständlich verdrängt und bagatellisiert worden.

Diesem Vergessen und Verharmlosen solidarisches Engagement entgegen zu setzen, darum hat sich dieser Sammelband allein schon verdient gemacht, aber auch dank seiner gründlichen Dokumentationsarbeit.

Seine aufklärerische Absicht ist glaubwürdig, denn in den Beiträgen kommen professionelle Mitarbeiterinnen der Organisation medica mondiale zu Wort, die Herausgeberin des Bands ist und sich seit 1993 für die Überlebenden der systematischen Verbrechen gegen die Menschenrechte von Frauen engagiert, sensibilisiert durch die massiven Gewaltakte gegen Frauen in Ex-Jugoslawien.

Diese vor allem praxisorientierte Aufarbeitung eines dunklen Kapitels aus den Tiefen der Geschichte menschlicher Kulturen schließt in ihrer sachlich-kritischen Form zumindest für den deutschsprachigen Raum eine Lücke, wie Renate Schmidt in ihrem Vorwort zu Recht sagt.

Zum Kern des Inhalts gehören die Folgen, die Mehrfach-Traumatisierungen, die sowohl die Überlebenden als auch die jeweiligen Gesellschaften, sozialen Verbände und Familien davon tragen. Die Mehrzahl der Beiträge geht darum der Fragestellung nach, wie mit der gesamten Situation im Sinne der Betroffenen konstruktiv umgegangen werden kann.

Die Auswirkungen von Kriegstraumatisierungen auf die Opfer sind oft überwältigend, da sie die Person total umfassen, d.h. ihre physisch-psychische Identität, sowie den gesamten Lebenszusammenhang als soziales und politisches Wesen. Dieser Kontext wird in unterschiedlicher Weise von den Autorinnen immer wieder aufgedeckt und damit versucht, in der Konfrontation und dem Kontakt mit Überlebenden auf die Vermeidung weiterer Traumatisierung hin zu arbeiten.

Angesichts detailreicher Darstellungen der konkreten und potentiellen Traumatisierungssymptomatiken der Betroffenen und insbesondere der gegebenen historischen und kulturellen Dimensionen beschleicht die LeserIn die Frage, ob nicht genau am Punkt der Permanenz einer Tradition gezielter sexualisierter Aggression gegen Frauen sich einer der Ab-Gründe für ein gestörtes Geschlechterverhältnis auftut bzw. sich dabei herauskristallisiert.

Fakt ist: Obwohl seit der UN-Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien die sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen gilt, ist bis heute kein Ende kriegerischer Gewaltakte gegen Frauen und Mädchen absehbar.

Dieser Band schafft eine wichtige Grundlage nicht allein für Praktikerinnen und Fachkräfte aus dem medizinisch-therapeutischen und juristischen Bereich, auch wenn hier eindeutig die Schwerpunkte gesetzt sind. Insbesondere das II. Kapitel, das sich mit den Hintergründen, Funktionsweisen und Ausmaßen sexualisierter Gewalt im Krieg an historischen und zeitgenössischen Beispielen befasst, bietet relevante Fakten und Erkenntnisse, die als Basis z. B. auch für sozialwissenschaftliche und feministische Forschungen und Ansätze dienen können.

Zur Gliederung der Beiträge:

Auf die diachrone und synchrone Beschäftigung mit sexualisierter Gewalterfahrung und ihren Folgen für die Betroffenen und die bisherigen Schritte einer internationalen politischen Aufarbeitung dieses Komplexes von Menschenrechtsverletzungen durch Gerichte und Untersuchungskommissionen folgt ein einführender Überblick auf die bislang realisierten Projekte und Unterstützungsangebote von medica mondiale.

Die hieran anschließenden Kapitel widmen sich allgemein der praktischen Arbeit und dem Kontakt mit betroffenen Frauen und Mädchen in Krisengebieten vor Ort. Es werden Umgangsweisen sowohl mit den Klientinnen thematisiert, als auch die Belastungen der jeweiligen Ansprechpartnerinnen während des Aufarbeitungsprozesses angesprochen. Im Anschluss an die Fokussierung auf die juristische Situation von Flüchtlingsfrauen beschäftigen sich die Autorinnen mit dem praktischen Feld von Behandlung und Begleitung Traumatisierter im Bereich medizinisch-gynäkologischer Gesundheitsversorgung sowie mit der Vorstellung psychosozialer und psychotherapeutischer Ansätze in der Praxis. Das letzte Kapitel ist speziell der Problematik von Zeuginnenaussagen in den Internationalen Strafgerichten gewidmet. Den Abschluss bildet ein Serviceteil mit einem Überblick über die vorhandenen Hilfseinrichtungen für betroffene Frauen und Mädchen sowie eine Länderkarte der aktuellen Kriegsgebiete.

Nicht zuletzt zielen die Herausgeberinnen dieses Buches darauf ab, die von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren endlich juristisch anzuerkennen bzw. sie vor Abschiebung zu schützen.

In diesem Kontext (und nicht nur hier) überschneiden sich die Anliegen der Buchautorinnen mit denen der Aktivistinnen der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Umso merkwürdiger, dass ein Austausch in der Lobbyarbeit beider Organisationen im Buch nicht erwähnt wird.


Titelbild

Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen. Handbuch zur Unterstützung traumatisierter Frauen in verschiedenen Arbeitsfeldern.
Herausgegeben vom medica mondiale e. V.
Mabuse Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
435 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 393596448X

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