Im Westen(d) nichts Neues

Die Zeitschrift "Westend" vermag keine neuen Impulse zu geben

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor Jahren monierte Leo Löwenthal, dass die von Max Horkheimer initiierte "Kritische Theorie" als Gegenentwurf zur "traditionellen Kritik" der damals herrschenden akademischen Meinung zu einer "Frankfurter Schul-Industrie" mutiert sei. Im Zuge der Akademisierung der Neuen Linken in Westeuropa und den USA grenzte sich die neue akademische Generation in einer ödipalen Revolte vor allem gegen Theodor W. Adorno ab, um dessen Thesen zur Kulturindustrie, die in der "Dialektik der Aufklärung" und den "Minima Moralia" sowie in Aufsätzen aus den 1960er Jahren zu finden waren, in Abrede zu stellen. In Zeitschriften wie "New German Critique" und "Telos" unternahmen die "angry young men & women" auf dem Campus den Versuch, die Kritische Theorie im Zuge der postmodernen Wende in den achtziger Jahren nicht gänzlich über Bord zu werfen, sondern die vorgeblich emanzipatorischen Potenziale der Pop-Kultur freizulegen.

Mittlerweile ist die Kritische Theorie weitgehend zum Beutestück linksautoritärer Rackets geworden, deren Häuptlinge die Arbeiten von Horkheimer & Company zur machttechnischen Rechtfertigung der autoritären Strukturen im gesellschaftlichen Untergrund instrumentalisieren, oder sie wird von akademischen Nachlassverwaltern "bewahrt", die es nicht vermögen, das kritische Projekt in der Gegenwart fortzuführen. So verbreitet die "Zeitschrift für kritische Theorie", die vom Verlag Dietrich zu Klampen in der finsteren niedersächsischen Steppe (die Hans-Jürgen Krahl wohlweislich in Richtung Frankfurt am Main verlassen hatte) herausgegeben wird, nicht mehr als epigonale Exegesen und gepflegte akademische Langeweile. In den einschlägigen KT-Discountern (die oberflächlich noch als Buchhandlungen erscheinen) wird sie als starre Nachgeburt feilgeboten und von längst verfänglich im Falschen verstricken Agenten des Immergleichen im Feuilleton als Monument gegen den Ausverkauf der kritischen Gesellschaftstheorie verhökert. Den toten Blättern soll zwanghaft neues Leben eingehaucht werden.

Einen anderen Ansatz verfolgt die vom Frankfurter Institut für Sozialforschung neu gegründete Zeitschrift "Westend": Sie möchte der kritischen Gesellschaftstheorie neue Impulse geben und tritt an, die Tradition der legendären "Zeitschrift für Sozialforschung" (in der bis 1941 viele der grundlegenden Aufsätze von Horkheimer, Adorno, Herbert Marcuse, Friedrich Pollock und anderen Mitglieder des alten Instituts für Sozialforschung erschienen) fortzuführen. So legen die Herausgeber die Messlatte hoch an und müssen sich daher dem Vergleich mit ihren Vorgängern stellen. Die Zeitschrift möchte "die intellektuelle Öffentlichkeit" als Leser gewinnen, vermelden die Berichterstatter des linksliberalen Feuilletons wohlwollend, ohne näher auszuführen, aus welchem Personal diese "intellektuelle Öffentlichkeit" realiter bestehen soll.

Im vorletzten Heft beschäftigte sich die Zeitschrift mit dem Schwerpunkt "Liebe und Kapitalismus". Zwar führt Axel Honneth in seiner Einleitung Adornos Beobachtung aus "Minima Moralia" an, dass "die Liebe" durch den wachsenden Einfluss ökonomischer Erwägungen allmählich ausgezehrt werden könnte, um schließlich zu diagnostizieren, dass sich Paare heute eher als "partnerschaftliche Zweckverbände" verständen, "in denen individuelle Akteure um die Wahrung ihrer jeweils eigenen Ansprüche besorgt sind". Dies freilich ist eine Allerweltsweisheit. Auch die empirischen Beiträge zu diesem Thema von Eva Illouz, Cornelia Koppetsch und anderen erbringen keinen erkenntnistheoretischen Mehrwert. Die banale Wahrheit ist, dass die Warenbeziehungen in jede Pore des Daseins vordringen. Worin aber das Neue dieser "neuen Zeitschrift für Sozialforschung" bestehen soll, bleibt unbeantwortet. Interessant wäre eine Analyse der Veränderungen gewesen, welche durch das Internet mit seinen verschiedenen Ausprägungen der Kommerzialität und Beziehungsgeflechte hervorgebracht wurde, wie die Warenbeziehungen die Verhältnisse vom Anfang bis zum Ende durchdringt.

Auch formal und sprachlich können sich die Beiträge von "Westend" kaum mit den Aufsätzen der "Zeitschrift für Sozialforschung" messen. Vielleicht sollten die aktuellen AutorInnen doch einmal wieder einen Blick in Adornos "Minima Moralia" werfen. "Anständig gearbeitete Texte sind wie Spinnweben", heißt es dort: "dicht, konzentrisch, transparent, wohlgefügt und befestigt." All dies lässt "Westend" vermissen.


Titelbild

WestEnd - Liebe und Kapitalismus. Neue Zeitschrift für Sozialforschung.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
178 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3878779917

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