Theorie der Anerkennung

Axel Honneths spannende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Verdinglichung

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Besonders durch die neuere Literatur wird uns ein Begriff erneut ins Bewusstsein gebracht, der lange Zeit eine Art Schattendasein führte:Verdinglichung. Raymond Carver, Harald Brodky und Elfriede Jelinek, um nur drei Beispiele zu nennen, schaffen in ihren Werken eine Atmosphäre, in der Personen miteinander umgehen, als seien sie füreinander nichts anderes als Sachen, als Objekte.

Verdinglichung ist ein vor allem von Georg Lukács in Bezug auf die Analyse des Alltagslebens im Kapitalismus verwendeter Begriff. Ausgehend davon versucht Honneth jedoch, den Horizont dessen, was heute mit Verdinglichung gemeint sein könnte, weiter zu fassen. Die Beschäftigung mit Martin Heideggers Begriff der "Sorge" weist Honneth zufolge darauf hin, dass es im menschlichen Welt- und Selbstverständnis etwas geben könnte, was vor allen anderen bewussten Bezugnahmen als sozusagen Ur-Bezüglichkeit immer schon da ist. Zum Menschen gehört die "Sorge", er "ist" in der Sorge, ohne diese extra zu thematisieren. Honneth ersetzt nun den Begriff "Sorge" durch den der "Anerkennung" und erklärt, dass die Menschen als handelnde Wesen anerkennend auf die Welt bezogen sind und in diesem Bezogensein auch in einem vorgängigen Verstehen existieren. Die Werthaftigkeit der Welt wird ursprünglich erfahren und nicht normativ gesetzt. Erkenntnis setzt Anerkennung voraus und schafft sie nicht.

Am Beispiel des heranwachsenden Kinds zeigt Honneth, wie sich erst durch eine Art affektiver Anteilnahme ein Blick auf die Welt entwickelt. Das Kind muss sich einbezogen fühlen in die Art, wie ein Erwachsener existiert. Nur dann lernt es, sich dessen Perspektive zu Eigen zu machen. So funktioniert die viel berufene Nachahmung.

Honneth untersucht weiterhin verschiedene Formen der Anerkennung. Diese ereignet sich zwischen einzelnen Menschen, bezieht sich aber auch auf die dingliche Umgebung. Also auch Dinge vermag ich nur dann wirklich zu erkennen, wenn sie in gewisser Weise existenziell affektiert sind. Ebenso wichtig ist die Anerkennung, die ich auf mich selbst richte. Auch mich selbst muss ich zunächst anerkennen, um einzelne Züge meiner Individualität erkennen zu können.

Verdinglichung im Sinne Honneths entsteht dann, wenn Anerkennung in Vergessenheit gerät. Verdinglichung ist ein Prozess des Vergessens. Die Ursachen hierfür liegen aber nicht nur in den Verdinglichungserscheinungen des Kapitalismus, wie von Lukács behauptet, sondern sind weiter zu fassen. Phänomene wie die Messung der Begabung von Kindern anhand verdinglichender Tests wie auch zum Beispiel die verdinglichende Typisierung von Menschen in Frauen oder Juden usw. werden von Honneth unter anderem angeführt. Hier eröffnet sich ein weites Feld der Beobachtung und Klärung.

Honneths Studie liest sich ungemein spannend. Sie führt in kleinen, klar strukturierten Schritten in das Zentrum unserer Gegenwart. Honneths Sprache ist sehr genau, nie überfrachtet mit fachwissenschaftlichen Ausdrücken. Der Text des Frankfurter Philosophen regt zum Nachdenken und Weiterdenken an: ein Glücksfall und vor allem auch den Studentinnen und Studenten in die Hand zu geben. Man kann Honneth zuschauen beim Denken. Sehr empfehlenswert!


Titelbild

Axel Honneth: Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
109 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3518584448

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