"Wunderbare Stoffe"

Literaturvermittlung durch Frauenzeitschriften oder: Wie Elke Heidenreich und die "Brigitte" einer alten weiblichen Kulturtechnik zu neuem Glanz verhelfen

Von Urte HelduserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Urte Helduser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem zu Weihnachten erschienenen letzten Heft ihres Jubiläumsjahrgangs 2004 lieferte die Frauenzeitschrift Brigitte ihren Leserinnen eine besondere Beilage: Auf dem Din-A4-formatigen Zeitschriftenheft klebte ein kleines gelbes Heftchen - Nr. 8002 der altehrwürdigen, Brigitte-LeserInnen noch aus Schulzeiten vertrauten Reclam Universal-Bibliothek: Heinrich von Kleists "Die Marquise von O...", bis auf das kleine rote "Brigitte"-Logo auf dem Cover zunächst nicht vom Original zu unterscheiden. Ein origineller Werbegag, der seinen Effekt nicht verfehlte: Das "Brigitte"-Heft wurde zum Gegenstand spöttischer Kolumnen der deutschen Tagespresse und avancierte zum begehrten Sammelobjekt, das inzwischen im Internet-Antiquariats-Buchhandel für ansehnliche Preise gehandelt wird. Kulturgut statt Kosmetikproben als Beilage passen zum Image von Deutschlands intellektuell ambitioniertester Frauenzeitschrift: "Brigitte-Leserinnen sind begeisterte Buch-Fans, sie lesen viel und gern, und wir schenken ihnen für die Feiertage noch zusätzlich zur Brigitte anregenden Lesestoff", freut sich Chefredakteur Andreas Lebert.

Während "taz"-Kommentatorin Susanne Lang sich bemüßigt fühlte, das "Missverständnis" aufzuklären, wonach den Leserinnen hier ein Text über eine Vergewaltigung als Beilage zu einem Dossier über die "große Liebe" untergejubelt werde ("taz" vom 13.12.2004), nahm das Literaturprojekt der "Brigitte" volle Fahrt auf. Das beigegebene Reclam-Heftchen bildete nur den Auftakt zu einer breiten journalistischen Offensive in Sachen Literaturvermittlung, die im Frühjahr zunächst mit der Hörbuch-Edition "Starke Stimmen" fortgeführt wurde und nun mit der "Brigitte"-Buchedition ihren Höhepunkt erreicht hat: Seit August 2005 bis August 2006 erscheint alle 14 Tage, mit jedem neuen Heft ein neuer Band, insgesamt 26 Titel. Die neben den Kurzgeschichten Dorothy Parkers und Gedichten von Wislawa Szymborska vorwiegend aus Romanen bestehende Auswahl bildet ein Potpourri bekannter und weniger bekannter Autoren und Titel von T.C. Boyles "Amerika" über Marlen Haushofers "Die Wand" bis hin zu Radek Knapps "Herrn Kukas Empfehlungen". Dass "Brigitte" zusammen mit dem für den Vertrieb zuständigen Hanser-Verlag damit einen regelrechten Coup landete, dessen Verkaufserfolg wohl sämtliche vergleichbaren Projekte von SZ bis BILD übertreffen dürfte, wird vor allem der Werbewirksamkeit der Literatur-Entertainerin und langjährigen "Brigitte"-Kolumnistin Elke Heidenreich zugeschrieben, die die Buchauswahl zusammengestellt hat und jeden neuen Band im aktuellen "Brigitte"-Heft vorstellt.

Schön aufgemacht, in Pastelltönen mit orange-rotem Halbleineneinband und Lesebändchen erscheinen sie wie zeitgemäße Varianten der legendären Goldschnitt-Bändchen (wen wunderts, dass der "Brigitte"-Taschenkalender seit Jahr und Tag in Gold eingebunden ist), die als Geschenkbücher für ein exklusiv weibliches Publikum im 19. Jahrhundert den literarischen Markt eroberten und damit die Klage der Autoren der literarischen Moderne über eine drohende 'Verweiblichung' der Literatur auslösten. Solche Traditionslinien werden zielsicher bedient. Statt den bildungsbürgerlichen Kanon praktisch im Paket nach Hause zu liefern, wie vergleichbare Projekte deutscher Tageszeitungen versprechen, wirbt die "Brigitte"-Buch-Edition mit einem höchst unanstrengenden - höchst weiblichen? - Literaturbegriff: Die Auswahl biete das pure Lesevergnügen. Lesen, so Heidenreich, ist "vor allem wunderbar subjektiv". Und "wenn Sie alle Bände in der richtigen Reihenfolge ins Regal stellen, entdecken Sie ein kleines Geheimnis." ("Wohnen mit Büchern" lautete passenderweise ein "Brigitte"-Thema in Heft 2/2006.)

Solche Glücksversprechen rechnen sich auch auf dem Buchmarkt. Konnte schon die Hörbuch-Edition mit 56.000 Vorbestellungen zwei Tage vor Erstverkauf sämtliche Rekorde auf dem umkämpften Markt brechen, so übertraf die Buch-Edition diesen Erfolg noch einmal. Was "taz"-Feuilletonchef Gerrit Bartels befürchtete ("taz" vom 26.8.2005), trat dann auch prompt ein: Bereits mit dem ersten Band, Per Olof Enquists "Der Besuch des Leibarzts", erklomm die "Brigitte"-Edition im August 2006 Platz eins der Bestseller-Listen im "Focus" und im "Spiegel".

Der offenbar von der Kombination "Brigitte" und "Heidenreich" vorprogrammierte Erfolg der Reihe wurde im bundesdeutschen Feuilleton mit einer Mischung aus Neid und Spott registriert, was sich besonders in lästernden Kommentaren zu Heidenreich - laut "Spiegel" der "Buchratschlägerin der Nation" (16/2005) entlud: Heidenreich sei die "ungebremste Vorleserin mit dem Ausrufezeichen in der Stimme" hieß es in der "FAZ" (20.10.05), "Heidenreich preist Bücher und das Lesen an wie ein Marktschreier" in der Berliner Zeitung (26.8.05), "Heidenreich führt uns zu einem prächtigen Literatur-Buffet, das jeden satt macht" in der "Welt" (26.8.05).

Diese Polemiken bringen vor allem eines zum Ausdruck: Die offenbar nicht tot zu kriegende kulturkritische Rede von der Kommerzialisierung der Literatur durch die Frau. Sie ist so alt wie die Geschichte der weiblichen Lesens und der für ein weibliches Lesepublikum bestimmten "Moralischen Wochenzeitschriften" des 18. Jahrhunderts, in deren Nachfolge "Brigitte" ja steht - worauf Hannelore Schlaffer aus Anlass des 50. Geburtstags auch hingewiesen hat (Die Zeit Nr. 20 vom 6.5.2004). Die weibliche Codierung von Trivialliteratur ist gewissermaßen die Kehrseite des feministischen Projekts, mit dem weibliche Lektüre spätestens seit Marie von Ebner-Eschenbach ("Als eine Frau lesen lernte, trat die Frauenfrage in die Welt") verknüpft wird. Für die Hüter des männlichen Kanons waren deshalb emanzipatorische und Unterhaltungs-Frauenliteratur - George Sand und Eugenie Marlitt - schon immer eins. Dass diese Verwechslung auch einen Verkaufserfolg garantiert, wurde nie offenbarer als durch den so genannten neuen deutschen Frauenroman der Gaby Hauptmanns und Hera Linds.

Umso erfolgreicher wird das ambivalente diskursive Muster von "Brigitte" bedient: Die emanzipatorische Rhetorik wird bei den gegenwärtigen Literaturvermittlungsbemühungen mitunter zitiert ("starke Stimmen - starke Frauen"), aber nie strapaziert. Heidenreichs Buchauswahl hat auch fast gar nichts mehr mit dem Kanon feministischer Frauenliteratur zu tun. Wer Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek oder Virginia Woolf sucht, wird hier nicht fündig. Zwar dürfte der Anteil an Autorinnen erheblich über dem Durchschnitt vergleichbarer Editionen liegen, dennoch sind gerade mal neun der 26 ausgewählten Autoren weiblichen Geschlechts. Insgesamt handelt es sich wohl eher um ein Sammelsurium dessen, was auf dem Markt der Lizenzen gerade wohlfeil zu haben war. Angepriesen wird diese Auswahl jedoch wie der letzte Schrei: "Elke hat wunderbare Stoffe ausgewählt, die unseren Leserinnen Freude machen werden", jubelt Chefredakteur Andreas Lebert - die Verwechslung von Literatur und Mode scheint gewollt. Anders gesagt: Ein bisschen Buch steht jeder Frau.

Dennoch: Den Vorwurf, Literatur als Lifestyle-Trend einzusetzen und auf der derzeitigen Zeitschriften-Editionen-Welle zu reiten, kann man "Brigitte" nicht machen. Denn Literaturvermittlung hatte in der Zeitschrift schon immer ihren Platz: "Die Liste der Autorinnen und Autoren, die exklusiv für Brigitte schreiben und geschrieben haben, ist endlos: Sie geht von Patricia Highsmith über Sebastian Haffner und hört mit Isabel Allende, Haruki Murakami und Elke Heidenreich längst nicht auf. In keiner anderen Frauenzeitschrift hat Kultur eine so große Bedeutung", konstatierte Angela Wittmann, Ressortleiterin für den Bereich Kultur und Unterhaltung anlässlich des 50jährigen "Brigitte"-Jubiläums im Jahr 2004. Im letzten Herbst vergab "Brigitte" zum dritten Mal ihren Romanpreis, ausgelobt im Rahmen eines Debütanten-Wettbewerbs. Die Mischung aus Mode, Diät und Kulturtipp ist gewissermaßen das Markenzeichen von Deutschlands größter Frauenzeitschrift und prägte den gern als unverwechselbar bezeichneten "Brigitte"-Stil. Die Herausgabe einer eigenen Buchreihe lag deshalb für das Blatt nur allzu nahe - zumal wenn man über eine hauseigene Kolumnistin verfügt, deren Buchmarketing sich zur Zeit einer solchen medialen Beliebtheit erfreut.

Diese zwingende Logik macht auch verständlich, warum die Buchedition das deutsche Feuilleton zu solch süffisanten Bemerkungen antreibt. Die Kombination von Heidenreich, "Deutschlands oberster Buchempfehlerin, die Auflagen mit ein, zwei netten Sätzen in die hunderttausende treiben kann" und der Medienmacht von "Brigitte", "Deutschlands auflagenstärkste Frauenzeitschrift (Verkaufsauflage 770.000), die mit ihren Buch-Tipps mehr Einfluss auf den Verkauf von Büchern hat als alle Großfeuilletons zusammen" (Gerrit Bartels in der "taz" vom 26.8.2005) ist das, was wirklich Unbehagen bereitet. "Die Welt" frohlockt, dass "Brigitte" mit Elke Heidenreich das gelungen sei, woran Hans-Magnus Enzensberger mit seiner geplanten Edition für die "FAZ" aus rechtlichen Gründen scheiterte: "Die Kulturnation hat ihre Herausgeberin" stellt Eckhard Fuhr fest ("Die Welt" vom 26.8.2005) und streut damit Salz in die Wunden der Konkurrenz - klagt man doch gerade bei der "FAZ" und dem "Spiegel" schon seit längerem über die Feminisierung von Medien und Kultur.

Dass der Buchmarkt auch ein Feld des Geschlechterkampfs ist, darauf macht "Brigitte" selbst immer wieder aufmerksam - wenn z. B. im aktuellen Heft der Band 14 der Buchedition, Haruki Murakamis Roman "Gefährliche Geliebte", mit der Erinnerung daran beworben wird, dass der Streit über dieses Buch zwischen Sigrid Löffler und Marcel Reich-Ranicki einst das "Literarische Quartett" sprengte. Und erst kürzlich ließ "Brigitte" die Verfasserin des einstigen Kultbuchs der Frauenbewegung, Svende Merian ("Der Tod des Märchenprinzen"), auf die Bestseller-Autorin des neuen Frauenbuchs, Ildiko von Kürthy ("Mondscheintarif"), treffen und über Männer diskutieren (in Heft 14/05). Dem Wandel der Moden auf dem Gebiet der Frauenliteratur ist man sich durchaus bewusst. Aber was bleibt, nachdem sich das Frauenbuch der 70er und frühen 80er ebenso erledigt hat wie der neue deutsche Frauenroman der 90er Jahre? Elke Heidenreich hat zu solchen Projekten von je her Distanz gehalten. Ihre stetige Beschwörung des Lektürevergnügens appelliert an die Frau als Leserin - eine Rückbesinnung auf eine langlebige Platzanweisung im kulturellen Diskurs der Geschlechter. Und hierbei handelt es sich offensichtlich um die eigentliche Retro-Mode auf dem Buchmarkt.

Diesen Trend bestätigt auch ein zurzeit umfangreich beworbener Bildband mit dem vielversprechenden Titel "Frauen, die lesen sind gefährlich", er versammelt Darstellungen lesender Frauen in der Malerei und Fotografie von der Renaissance bis zur Moderne und bemüht damit einmal mehr das Genrebild der Frau als Leserin. Ob Rembrandts "Alte lesende Frau" (1631), Francois Bouchers "Madame Pompadour" (1756), Jan Vermeers "Briefleserin in Blau" (1663/64) oder Edward Hoppers "Hotel Room" (1931) - besonders gefährlich sehen die porträtierten Leserinnen nicht aus, auch wenn Elke Heidenreich das Motto des Titels noch einmal glaubhaft machen will. Auch zu diesem Band hat sie nämlich das Vorwort verfasst und ihm damit ebenfalls besondere Aufmerksamkeit in der derzeitigen medialen Inszenierung weiblicher Lesewut gesichert. Ihr Vorwort ist ein Streifzug durch die Geschichte weiblicher Lektüre und ihrer Verdikte. So verweist sie darauf, dass "im 18. Jahrhundert in die Einbände mancher Romane Faden und Nadel eingelassen [waren], um die Frauen daran zu erinnern, was ihre eigentliche Bestimmung war". Im 18. Jahrhundert, als die Geschichte der Frau als Leserin begann, war Lesen wie Mode Luxus und Verschwendung. Dass heute Literatur wieder als Mode an die Frau gebracht wird, mag hierher rühren.

Stefan Bollmann, der die Bilder des Bands gesammelt und kommentiert hat, stellt eine ganze Typologie von Leserinnen auf: "begnadete", "verzauberte", "selbstbewusste", "empfindsame", "passionierte" und "einsame" - eine kämpferische ist nicht dabei. Umso mehr wird das erotische Moment beschworen, das der weiblichen Lektüre von jeher nachgesagt wird. Mit seiner schicken Aufmachung ist Bollmanns Buch vor allem ein klassisches Geschenkbuch. Auch hier setzt man auf einen altbekannten Effekt auf dem Buchmarkt. Nicht nur sind Frauen als überdurchschnittliche Leserinnen und Bücherkäuferinnen interessant, die Inszenierung von Weiblichkeit und Lektüre - ob als emanzipatorischen Kampfsport, erotische Ersatzhandlung oder modisches Outfit - ist eine effektive Werbestrategie auf dem Buchmarkt. Das Alter solcher Muster tut ihrer Eignung zur modischen Indienstnahme keinen Abbruch. Männliches Lästern dokumentiert nur den Nachholbedarf in Sachen Mode, pardon Literatur. Was lernen wir also daraus? Frauen offenbar gar nichts. Aber für das andere Geschlecht kann die Devise nur lauten: Männer, lest mehr Frauenzeitschriften!

Zum Beispiel:
Brigitte. Das Magazin für Frauen, Heft 6/2006
Gruner + Jahr, Hamburg
ISSN 0931-8763

Brigitte Buchedition
26 Bände, Gruner + Jahr, Hamburg 2005-2006
jeder Band 10,00 EUR

Titelbild

Stefan Bollmann: Frauen, die lesen, sind gefährlich.
Mit einem Vorwort von Elke Heidenreich.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2005.
150 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 393804506X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch