Glanzstücke

Claudia Benthien und Inge Stephan stellen Meisterinnenwerke vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Feministische Kanonrevision und -kritik sind so alt wie die feministische Literaturwissenschaft selbst. Und noch immer unabgeschlossen. Dies auch, weil Werke von Schriftstellerinnen in der literarischen hall of fame "nur in Ausnahmefällen angemessen vertreten" sind. Zu einer "kleine[n] Revision dieses Sachverhaltes" möchte die von Claudia Benthien und Inge Stephan herausgegebene Essay-Sammlung zu "Meisterwerke[n] deutschsprachiger Autorinnen im 20. Jahrhundert" beitragen und zwar auf zweifache Weise: Werke von Frauen werden nicht nur zu Meisterwerken erklärt, es wird zudem der Begriff der Meisterschaft selbst "kritisch hinterfragt", ironisch zitiert und spielerisch umgedeutet.

So soll dem (auch) im deutschsprachigen Raum durch die Werke männlicher Autoren geprägten Kanon ein Textkorpus entgegengestellt werden, der zeigt, dass Autorinnen einen Beitrag zur Entwicklung der Literatur geleistet haben, "ohne den unsere Wahrnehmung des literarischen Lebens im 20. Jahrhundert unvollständig bleibt".

Die Beiträge des vorliegenden Bands sind nach der alphabetischen Folge der Autorinnennamen geordnet, führen in das vorgestellte Werk ein, stellen es in den Kontext des Œuvres der jeweiligen Schriftstellerin und beleuchten seine literarischen "Traditionsbezüge". Darüber hinaus wird die eine oder andere originelle Interpretation geboten, was wenig Wunder nimmt, haben die Herausgeberinnen doch einige der namhaftesten deutschsprachigen LiteraturwissenschaftlerInnen für ihr Unternehmen gewonnen, darunter ausgewiesene KennerInnen der behandelten Werke wie etwa Sigrid Weigel, deren Beitrag sich - wie könnte es anders sein - Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" (1971) widmet. Weigel liest ihn als ein "Gegenstück zur Autobiografie", in dem den Figuren nicht der "Status" von "personalen Instanzen" zukomme. Die Struktur des autobiografischen Genres werde reflektiert und unterlaufen. So handele es sich bei dem Werk nicht einfach um eine "Anti-Biografie", viel mehr werde hier die Gattung "in gegenläufige[r] Richtung" gestaltet und zwar "im buchstäblichsten Sinne". Zudem habe Bachmann mit "Malina" die Struktur des Meisterwerks "gleichsam umgekehrt", indem sie dessen "Herstellung" demonstriert habe.

Wohl nicht ganz so namhaft wie Ingeborg Bachmann und Sigrid Weigel sind Anne Duden und Anne-Kathrin Reulecke. Dennoch haben beide aus gutem Grund Eingang in das Buch gefunden. Die eine als Autorin ihres meisterhaften Romans "Das Judasschaf" (1985) und die andere als dessen kenntnisreiche Interpretin. Reulecke führt zunächst in Thema und Struktur des Romans ein und hebt "zwei signifikante Charakteristika" von Dudens "Schreibweise" hervor: "den Entwurf eines topographischen Handlungsbegriffs und die Konstruktion der Ich-Figur als eine andere Form der Subjektivität". Darüber hinaus stelle Duden mit der "Verkehrung von Aktion und Passion" den erzähltechnischen Begriff der "Handlung" fundamental in Frage. Brillant sind Reuleckes instruktive Überlegungen zur "Bildlektüre als literarische[r] Kulturkritik" in Dudens Roman.

Wie die Germanistin Christine Kanz einmal bemerkte, zählen Bachmanns "Malina" und Dudens "Judasschaf" zu den "Standardwerken jeder feministisch orientierten Bibliothek". Kanz führt noch drei weitere deutschsprachige Autorinnen des 20. Jahrhunderts an: Marieluise Fleißer, Unica Zürn und Marlen Haushofer. In dem vorliegenden Buch sind sie natürlich alle vertreten. Anne Fleig stellt Marieluise Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt" (1926) vor und Dagmar von Hof Unica Zürns "Dunkler Frühling" (1969). Ulrike Vedder liefert eine erhellende "Parallellektüre" von Haushofers "Wir töten Stella" (1958) mit Goethes beiden Versionen seines Stücks "Stella" (1776 und 1816) und konstatiert, "dass Haushofers Blick in den Abgrund der Idylle meisterhaft ist".

Hervorzuheben ist auch Alexander Košeninas Beitrag zu Veza Canettis Roman "Die gelbe Straße" (geschrieben 1932-1933, veröffentlicht 1990). Zu Recht verteidigt er das Werk gegen einige feministische Stimmen, die das "tragische Leben" der Autorin und ihre "schwierige Ehe" mit dem sexistischen Egomanen Elias Canetti interessanter finden als ihr literarisches Schaffen. Aus ebenso guten Gründen stimmt er jedoch andererseits der feministischen Kritik an Elias Canetti zu, der das Werk seiner Frau über ihren Tod hinaus behandelte, "als wäre es nichts", und zugleich mit den eben zitierten Worten die Mär verbreitete, sie selbst sei es gewesen, die mit ihren Schriften zeitlebens so verächtlich umgegangen sei. Tatsächlich aber war er es, der ihre Stücke und Texte - wie Košenina bemerkt - auch noch mehr als dreißig Jahre nach Veza Canettis Tod "nur unter dem Druck der Öffentlichkeit" und dann auch nur "nach und nach" freigab.

Natürlich dürfen in einer Sammlung wie der vorliegenden die Nobelpreisträgerinnen Nelly Sachs und Elfriede Jelinek nicht fehlen. Sachs ist mit "Fahrt ins Staublose" (1961) vertreten, das von Annette Jael Lehmann vorgestellt wird. Eine Wahl, die man durchaus nachvollziehen kann. Hingegen überrascht es, dass von Jelinek nicht etwa ihr opus magnum "Die Kinder der Toten" (1995) aufgenommen wurde, auch nicht ihr wohl bekanntester Roman "Lust" (1989) sondern das Werk, mit dem sie bereits einige Jahre zuvor den endgültigen Durchbruch erlangt hatte: "Die Klavierspielerin" (1983). Tilo Renz fokussiert seine Interpretation auf die sprachliche Text-Konstruktion des Romans und deren "Funktion für eine Lektüre".

Claudia Benthin und Inge Stefan haben eine glänzende Sammlung literaturwissenschaftlicher Beiträge zu glänzenden Büchern herausgebracht - und nicht nur darum, weil jene sich im Glanze dieser spiegeln.


Titelbild

Claudia Benthien / Inge Stephan: Meisterwerke. Deutschsprachige Autorinnen im 20. Jahrhundert.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
413 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3412213055

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